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BND-Präsident Schindler räumte am Donnerstag Fehler ein.
© Gregor Fischer/dpa
Update

NSA-Untersuchungsausschuss: Besondere Rücksichtnahme auf die Amerikaner

Der NSA-Ausschuss hat am Donnerstag den Leiter der Technischen Aufklärung beim BND, Hartmut Pauland, und später den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, vernommen. Beide behaupten, von den umstrittenen Suchbegriffen erst vor wenigen Wochen erfahren zu haben. Am Freitagmorgen wurde zudem bekannt, dass offenbar neue Listen mit Suchbegriffen aufgetaucht sind.

Die Abgeordneten des NSA-Untersuchungsausschusses erhofften sich am Donnerstag weiterhin Aufklärung in der Frage, ob und wenn ja wann die Leitungsebene des Bundesnachrichtendienstes über jenen brisanten Fund informiert wurde, dessen Bekanntwerden die derzeitige Affäre ausgelöst hatte: Mehrere Zehntausend von der NSA gelieferte Suchbegriffe, die sich auf europäische Institutionen und Unternehmen beziehen sollen, fanden BND-Mitarbeiter demnach im August 2013 bei einer Überprüfung der Suchdateien. Sie waren bis dahin nie aussortiert worden.

Der BND-Mann Pauland, seit dem 1. Januar 2013 Leiter der Abteilung Technische Aufklärung, und nach dem Präsidenten gewissermaßen der wichtigste Mann im BND, gab am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss zu Protokoll, dass er von Problemen mit irgendwelchen Selektoren nie etwas gehört habe. Erst in diesem März habe er davon etwas mitbekommen. Das war der Zeitpunkt, zu dem das Kanzleramt nach seiner eigenen Darstellung durch einen Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses darauf gestoßen war, dass die Amerikaner in den Abhörverkehr immer wieder Suchbegriffe einschmuggelten, die sich auf europäische Regierungseinrichtungen und Unternehmen bezogen und deutschen Interessen widersprachen.

Später am Abend vernahm der Untersuchungsausschuss den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler. Auch Schindler blieb laut Netzpolitik.org bei seiner Darstellung, erst im März 2015 von den strittigen Suchbegriffen erfahren zu haben, obwohl erste Probleme bereits 2005 aufgefallen waren und 2010/11 und 2013 auf unteren Ebenen des BND mehrfach Prüfungen stattgefunden hatten. Schindler übernahm dennoch die Verantwortung: "Ich trage die Verantwortung, egal ob ich den Sachverhalt kannte oder nicht", sagte er.

Nicht über das Warum gesprochen

Weder Pauland noch Schindler konnten erklären, warum die jeweiligen Mitarbeiter ihren Fund nie an die Leitung des Nachrichtendienstes weitergegeben haben – obwohl beide die Funde durchaus als meldewürdig einstuften. Pauland will bis heute mit dem betreffenden Mitarbeiter nicht über das Warum gesprochen haben. Schindler mutmaßte allerdings, in der Außenstelle Bad Aibling, wo NSA und BND-Mitarbeiter gemeinsam arbeiten, habe es eine Kultur der besonderen Rücksichtnahme auf die NSA gegeben. Da man so stark von der Kooperation mit den Amerikanern abhängig sei, habe man diese womöglich nicht gefährden wollen. Auch Pauland betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Amerikanern und warb für eine bessere finanzielle Ausstattung des BND, um sich von den Amerikanern emanzipieren zu können.

In der Vernehmung von Pauland und Schindler zeigte sich aber auch, dass das Abhören befreundeter Regierungen im BND durchaus nicht das Tabu war, als das Merkel es im Herbst 2013 mit ihrem Diktum "Ausspähen unter Freunden geht gar nicht" darstellte.

Schindler gibt Fehler zu

Pauland gab zu, dass schon das "Memorandum of Agreement", jener Vertrag, der unter der rot-grünen Regierung und Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier 2002 die Kooperation von BND und NSA begründete, "Ausnahmen" zuließ, unter denen sehr wohl auch europäische Unternehmen und Regierungen erfasst werden durften. Überrascht waren die Mitarbeiter dementsprechend 2013 offenbar auch nicht vom Fund der strittigen Suchbegriffe an sich – sondern über deren schiere Masse. Zehntausende wurden gefunden. Schindler bestätigte, dass er im Herbst einen neuen Umgang mit Begriffen, die sich auf Europäer beziehen, angeordnet habe. Ein Zusammenhang mit Merkels Diktum aber bestehe nicht, seine Weisung habe sich lediglich auf die BND-eigene Erfassung bezogen.

Schindler gab zu, dass die Prüfung der Selektoren bislang unzureichend war. Pauland zufolge wurden die allgemeinen Regelungen aus dem Vertrag mit der NSA nie in konkrete Handlungsanweisungen für jene Stellen gefasst, die die Überprüfung der Suchbegriffe vornimmt. Das habe man nun geändert, so Pauland, es gebe jetzt unter anderem namentliche Listen von Politikern, die nicht mehr erfasst werden dürften.

Patrick Sensburg fordert organisatorische Konsequenzen beim BND

Die Geheimdienst-Spähaffäre muss nach Ansicht des Vorsitzenden des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU), organisatorische Konsequenzen beim BND haben. "Die Praxis kann so nicht weitergehen, dass auch die Sachbearbeiter selber anscheinend gar nicht wussten, nach welchen Kriterien sie suchen müssen, was rausgenommen wird", sagte er am Freitag im ARD-Morgenmagazin.

Offenbar neue Listen mit Suchbegriffen aufgetaucht

Am Freitagmorgen berichtete "Spiegel online", dass neue Listen mit Suchbegriffen aufgetaucht seien. Auf BND-Rechnern in Pullach hätten Beamte in den vergangenen Wochen demnach bislang unbekannte Dateien mit amerikanischen Spähzielen aufgespürt. Die nun identifizierten Dateien aus den Jahren 2005 bis 2008 umfassten 459.000 sogenannte Selektoren, mit denen unter anderem europäische Institutionen, hochrangige politische Persönlichkeiten und Firmen im Ausland ausspioniert werden sollten. Nur 400 Selektoren wurden den Angaben zufolge aussortiert. Die neuen Dateien zeigten demnach, dass das Interesse der Amerikaner an Wirtschaftsunternehmen womöglich weitaus größer war, als bislang angenommen. Bisher war lediglich bekannt, dass die Rüstungsunternehmen EADS und Eurocopter sowie französische Diplomaten von der NSA mit Hilfe des BND überwacht werden sollten.

BND-Chef: Es gab konkrete Verhandlungen über ein "No-Spy-Abkommen"

Wie Schindler betonte, gab es 2013 zwischen Deutschen und Amerikanern durchaus intensive Verhandlungen über ein "No-Spy-Abkommen". "Es gab ein konkretes Angebot unseres Partnerdienstes", sagte er. "Und ich habe konkret verhandelt. Wir haben intensiv verhandelt." Es sei um ein Abkommen zwischen den Geheimdiensten gegangen, nicht um eine völkerrechtliche Vereinbarung. Den Begriff "No-Spy" hätten die Amerikaner bei ihrem Angebot selbst ins Spiel gebracht. "Der Begriff No-Spy ist keine Erfindung der deutschen Seite." Mit einer solchen Vereinbarung sollte abgesichert werden, dass sich US-Geheimdienstler auf deutschem Boden an deutsches Recht halten. Schindler betonte, es seien ernsthafte Gespräche gewesen. "Das waren keine Scheinverhandlungen." Zu den Inhalten der Gespräche wollte sich der BND-Chef nicht öffentlich äußern, auch nicht zu den Gründen dafür, dass die Verhandlungen ergebnislos blieben.

Der Regierung wird vorgeworfen, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben

Gegen die Bundesregierung richten sich Vorwürfe, die Öffentlichkeit im Bundestagswahljahr über die Aussicht auf ein solches Abkommen getäuscht zu haben. Der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) hatte im August 2013 gesagt: "Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten." Medienberichten zufolge hatte das Weiße Haus aber signalisiert, dass es so ein Abkommen nicht wolle.

(mit dpa)

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