Reportage: Das passiert bei einem Kaiserschnitt: Aus dem Bauch heraus
Geburt nach Plan? Klingt gut. Doch ein Kaiserschnitt ist nicht frei von Risiken für Mutter und Kind. Er sollte nur medizinisch begründet durchgeführt werden. Wir haben einen Eingriff begleitet.
Manche glauben, so ein Kaiserschnitt sei doch praktisch: Die Geburt lässt sich exakt terminieren, Wehenschmerzen sind, wenn überhaupt, nur kurz zu spüren, der „Love-Channel“ wird nicht überdehnt oder verletzt und das Krankenhaus bekommt mehr Geld dafür als für eine natürliche Geburt. Trotzdem ist Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Geburtsmedizin des St. Joseph-Krankenhauses in Tempelhof – einer der größten Geburtskliniken Deutschlands –, kein Freund von Kaiserschnitt-Entbindungen auf Wunsch: „Ohne einen medizinischen Grund mache ich das nicht. Und eine bessere Planbarkeit des Geburtstermins oder die vorgebliche Erhaltung des ,Love-Channels‘, wie es zum Beispiel in den USA propagiert wird, sind keine medizinischen Gründe.“
Bei Melanie Kaufmann (Name geändert) gibt es zwei gute Gründe. Zum einen hat das Kind sich zum Geburtstermin nicht gedreht, liegt also mit dem Po statt mit dem Kopf voran zum Geburtskanal. Mediziner nennen das Beckenendlage. Das allein hätte aber für die Entscheidung nicht gereicht, sagt der Geburtsmediziner. „Beckenendlagen sind heutzutage auf natürlichem Wege gut beherrschbar.“ Der zweite Grund: In der Fruchtblase hat sich die Nabelschnur um den Hals des Babys gelegt. Für sich allein genommen wäre auch das kein Hindernis für eine normale Entbindung. Denn erstens kommt eine sogenannte Nabelschnurumschlingung viel häufiger vor, als man denkt, nämlich bei 20 bis 30 Prozent aller geburtsreifen Babys, und zweitens birgt sie nur im Bruchteil aller Fälle das Risiko einer Strangulation während der Geburt. Beide Risikofaktoren zusammen aber begünstigen die Entscheidung für einen Kaiserschnitt. „Wir haben das Paar vorher aufgeklärt, auch darüber, dass man versuchen kann, das Kind vor einer natürlichen Geburt zu drehen, und sich so eventuell auch die Nabelschnur selbst befreit“, sagt Abou-Dakn. Doch den werdenden Eltern war die Gefahr für das Kind zu groß.
Kaiserschnitt-Kinder haben eine höhere Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten
„Die Risiken für mich kannte ich zwar, aber sie spielten dabei keine große Rolle“, erzählt die junge Mutter ein paar Tage nach der Entbindung. Ein Kaiserschnitt ist eine OP mit den entsprechenden Problemen. Dazu zählen neben den Narkoserisiken auch mögliche Infektionen an Gebärmutter und Bauchdecke, Nachblutungen, Thrombosen bis hin zu Embolien oder das Risiko, dass der Arzt nachoperieren muss. Es kann sogar sein, dass aufgrund möglicher Komplikationen die Gebärmutter entfernt werden muss.
Auch für das Baby hat eine „Schnittentbindung“ Nachteile. In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass die per Kaiserschnitt geborenen Kinder eine höhere Anfälligkeit für nichtinfektionsbedingte Krankheiten haben: Darmerkrankungen, Allergien, Lungenerkrankungen, Asthma. Die Haupttheorie, um das zu erklären, bezieht sich auf das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit an Keimen, die im und auf dem Menschen leben und mit diesem in vielfältiger Weise interagieren und dessen Entwicklung und Gesundheit zumeist positiv beeinflussen. Dieses Mikrobiom wird bei der natürlichen Geburt über die Scheide auf das Kind übertragen, aber auch durch Hautkontakt. Bei einem Kaiserschnitt entfällt der Übertragungsweg Scheide, deshalb ist es so wichtig, dass das Kind nach der Entbindung schnell auf die Brust der Mutter gelegt wird – was bis vor Kurzem für die Hygieniker im OP eine Horrorvorstellung war. Das alles zusammengenommen erklärt, warum Chefarzt Abou-Dakn kein Freund von Wunschkaiserschnitten ist.
Der Termin für die Entbindung von Melanie Kaufmann ist festgesetzt. Am Morgen eines sonnigen Tages Anfang August soll das Kind auf die Welt geholt werden. Um fünf Uhr ist das junge Paar – sie 32, er 41 – mit Sack und Pack ins St. Joseph-Krankenhaus gekommen. Zwischen drei und fünf Tage werden sie hier verbringen, zur Beobachtung. Das Baby hat die Geburtsreife fast erreicht: 39. Schwangerschaftswoche. „Viele Studien haben gezeigt, dass der optimale Zeitpunkt für eine Schnittentbindung nach der 39. Woche ist – es sei denn, eine Notsituation wie Blutungen zwingen zu einem früheren Eingreifen“, sagt Abou-Dakn.
Zwei Stunden später ist die Schwangere im Kreißsaal. Die Vorbereitungen nehmen noch rund eine Stunde in Anspruch. Dazu gehört das Legen eines Blasenkatheters, der bis zum nächsten Tag dort bleiben wird, um die kurz nach einem Kaiserschnitt oft auftretenden Probleme beim Wasserlassen zu verhindern. Zudem wird das Kind noch einmal per Ultraschall untersucht, ob alles in Ordnung ist. „Normalerweise – also in etwa 90 Prozent der Fälle – wird etwa eine Stunde vor der Entbindung ein Antibiotikum verabreicht“, sagt Abou-Dakn. „Dadurch gibt es weniger Probleme mit Entzündungen der Gebärmutter oder der Bauchhaut.“
Die werdenden Eltern haben sich aber gegen die vorbeugende Antibiotikatherapie entschieden. Zum Schutz des Kindes. In der Tat gehen Antibiotika durch den Blutkreislauf auf das Kind über. Und manche glauben, dass die Medikamente dort womöglich das Mikrobiom schädigen, noch bevor es richtig entstanden ist. „Aber ob das wirklich so ist, wissen wir derzeit nicht“, sagt Abou-Dakn. „So klären wir die Eltern auch auf. Es ist dann ihre Entscheidung.“
Der Kreißsaal hat sich inzwischen gut gefüllt: zwei Ärzte, eine OP-Schwester, eine Hebamme, zwei Anästhesisten. Melanie Kaufmann bekommt vom Narkosearzt die Spinalanästhesie, die das Schmerzempfinden von der Brust abwärts unterdrückt, sodass sie die Geburt bei vollem Bewusstsein miterlebt. „Heute gibt es fast keine Vollnarkose mehr“, sagt Abou-Dakn. Und das ist auch gut so, denn eine Vollnarkose birgt für Mutter und Baby zusätzliche Risiken. Seltener wird bei einem anstehenden Kaiserschnitt die Teilnarkose per Peridural-Anästhesie (PDA) genutzt, die bei einer natürlichen Geburt oft zum Einsatz kommt.
Zu Beginn der Spinalanästhesie sitzt die Gebärende auf der OP-Liege, damit der Anästhesiearzt an die Lendenwirbelsäule herankommt. „Zunächst wird die Wirbelsäule unterhalb des Rückenmarks mit einer Spritze punktiert“, sagt Achim Foer, Chefarzt der Anästhesie. Es werde also nicht in das Rückenmark gestochen, sondern in den Bereich darunter, in dem einzelne Nervenfasern spaghettiartig in einer mit Gehirnflüssigkeit – dem Liquor – gefüllten festen Hülle schwimmen. Diese werden mit dem in den Liquor eingespritzten Anästhetikum betäubt und so das Schmerzempfinden unterdrückt. Anschließend prüft der Arzt mit einem Kältestab, wie weit die Betäubung nach oben reicht. „Ziel ist, die regionale Narkose bis auf die Höhe der Brustwarzen zu bringen“, sagt Foer. Ginge sie höher, können Atembeschwerden die Folge sein. „Manchmal gelingt es aber auch nur, die Narkosewirkung bis hinauf zum Rippenbogen am unteren Ende des Brustkorbes zu bringen.“ Dann spüren die Schwangeren eventuell etwas von dem Eingriff. In solchen Fällen spritze er der Frau – zum Schutz des Kindes erst nach dem Abnabeln – noch ein Schmerzmedikament, sagt der Chefanästhesist.
Die Betäubung beginnt zu wirken. Melanie Kaufmann legt ihren Oberkörper auf die Liege. Bis auf das Operationsfenster direkt über dem unteren Bauch wird die Schwangere mit grünen OP-Tüchern abgedeckt. Vor dem Kopf der Frau werden die Tücher auf ein Gestell hochgezogen, zum einen als Schutz vor Keimen, zum anderen aber auch als Sichtbarriere, denn für viele Schwangere und ihre Partner, die oft mit in den OP kommen, wäre der Kaiserschnitt womöglich ein kleiner Schock.
Auf die Welt binnen weniger Minuten
Im Vergleich zu einer normalen Geburt, die sich über viele Stunden hinziehen kann, geht die Geburt per Kaiserschnitt ungleich schneller. „Wir sind darauf eingestellt, dass wir selbst bei einem Notfallkaiserschnitt das Kind binnen weniger Minuten auf die Welt holen können – rund um die Uhr“, sagt Abou-Dakn. Er setzt mit einem Skalpell einen Schnitt quer über den Unterbauch, knapp unterhalb der durch Rasur nicht mehr sichtbaren Schamhaargrenze. Er durchtrennt damit nur die Haut und die dünne Fettschicht, die sich über die Bauchdecke zieht. Das Stützgewebe, die sogenannten Faszien, und die Bauchmuskulatur werden unter der sich öffnenden Wunde sichtbar. Chefarzt Abou-Dakn auf der einen Seite der Liege und seine Assistenzärztin gegenüber greifen mit ihren behandschuhten Händen beherzt in die natürliche Lücke zwischen den Bauchmuskeln, ziehen sie kräftig auseinander. Laien würden das als Reißen bezeichnen, die Ärzte sprechen lieber von einer Gewebedehnung, weil das weniger angsterregend klingt. Bei dieser Methode können Nerven und Gefäße erhalten bleiben, die im Falle eines Schnittes zerstört würden. Das verkürzt die OP-Zeit und beschleunigt später die Heilung.
Die beiden Ärzte müssen sich dafür mächtig ins Zeug legen. Sie ziehen und rütteln. Aus dem schmalen Schnitt wird so ruckweise ein etwa handballgroßes Loch, in dem der untere Teil der Gebärmutter sichtbar wird. Mit dem Skalpell setzt Michael Abou-Dakn nur einen kleinen Schnitt in die Gebärmutter, weitet ihn mit dem Finger und eröffnet die darunter liegende Fruchtblase. Sprudelnd schießt das Fruchtwasser hervor, vermischt sich mit Blut. Der Arzt greift die Beinchen des Babys, zieht es mit dem Po voran aus der Fruchtblase, sagt: ein Junge – und beginnt zu singen. „Happy Birthday to you ...“ Er unterbricht kurz, fragt die Mutter: „Wie soll der Kleine denn heißen?“ „Julian“, kommt die erschöpfte Antwort. Der Chefarzt singt weiter, das mache er bei jedem Neugeborenen, flüstert eine Schwester. Julian hängt in der Hand des Chefarztes kurz in der Luft, beginnt zu schreien. „Ich war so froh, das zu hören“, sagt Melanie Kaufmann später.
Normalerweise ist der Partner mit im OP, sitzt am Kopfende mit der Hebamme bei seiner Frau. Und wenn das Kind da ist, durchtrennen die Väter gern die Nabelschnur. „Als ihren Beitrag zur Geburt“, sagt Abou-Dakn. Doch das übernimmt heute der Geburtsmediziner. Martin Kaufmann (Name geändert) ist nicht dabei. Er sitzt draußen in einem kleinen Wartebereich, wartet, dass seine Frau und sein Sohn herausgebracht werden. „Ich gehöre zu denjenigen, die den Anblick von Blut und Operation nicht gut verkraften“, sagt er später. „Wir haben gemeinsam entschieden, dass er besser draußen wartet“, sagt seine Frau.
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Die Hebamme übernimmt den Neugeborenen vom Chefarzt, bringt ihn in eine Decke gewickelt nach nebenan zu den Kinderärzten, die in Bereitschaft sind, falls es einen Notfall geben sollte. Wenige Augenblicke später kommt sie mit dem oberflächlich gesäuberten Jungen zurück. Die Haut ist rosig glatt, das Köpfchen rund – ganz anders als nach einer natürlichen Geburt, bei der das Kind nach seinem Weg durch den Geburtskanal ein bisschen „geknautscht“ wirkt. Die Hebamme legt ihn in die Arme seiner Mutter und auf ihre Brust, wo er oft bis zum nächsten Tag liegen bleiben wird. „Ich habe mit dem Kleinen auf der Brust geschlafen“, berichtet Melanie Kaufmann ein paar Tage danach.
Auch im Kreißsaal ist die glückliche Mutter ganz auf ihren Sohn konzentriert. Die Assistenzärztin verabreicht ihr eine geringe Dosis eines wehenanregenden Hormons, damit sich die Gebärmutter wieder zusammenzieht. „Außerdem reduziert das die Gefahr von Nachblutungen“, sagt Abou-Dakn. Er hält die Gebärmutter in der Hand, spürt, wenn diese sich zusammenzieht. „In dem Augenblick löse ich mit den Fingern den Mutterkuchen und ziehe auch ihn heraus.“ Dann vernäht er erst die Gebärmutter, dann die Bauchdecke, nachdem Blutreste aus dem Bauchraum abgesaugt wurden. Vor der letzten Naht träufelt er noch einen Schmerzstiller in die Wunde, damit die Wundschmerzen, die durchaus einige Tage anhalten können, nicht gar so stark das Mutterglück beeinträchtigen. Die ganze Geburt vom ersten Schnitt bis zur letzten Naht hat nur 25 Minuten gedauert. Planbar und schnell, das ist ein Kaiserschnitt wirklich. Risikolos und schmerzfrei ist er nicht.