Berüchtigter Berliner Clanchef: Arafat Abou-Chaker im Gerichtssaal festgenommen
Arafat Abou-Chaker steht wieder einmal vor Gericht. Plötzlich gehen die Türen zu – in anderer Sache. Er soll geplant haben, Bushidos Kinder zu entführen.
Es ist 11.47 Uhr im Kriminalgericht Moabit. Gerade hat ein Amtsrichter Arafat Abou-Chaker wegen Körperverletzung und Bedrohung verurteilt: zehn Monate auf Bewährung. Ausgerechnet ihn, den Chef des deutsch-arabischen Clans, Jahrgang 1976, den die Behörden nie zu fassen bekommen haben, der mehr als 30 Ermittlungsverfahren und Prozesse überstanden hat, ohne dass er bestraft wurde. Doch an diesem Dienstag ist alles anders. Fünf Justizwachtmeister drängen darauf, dass die Zuschauer den Saal 101 zügig verlassen. Eine Staatsanwältin, zuständig für Organisierte Kriminalität, war kurz zuvor gekommen. Die Türen schließen sich. Abou-Chaker wird den Gerichtssaal an diesem Tag nicht mehr durch die Tür verlassen, durch die er als freier Mann gekommen ist. Stattdessen wird der 42-Jährige abgeführt – über einen Tunnel direkt in die Haftanstalt Moabit.
Es bestehe Flucht- und Verdunklungsgefahr
Abou-Chaker ist ein Haftbefehl verkündet worden. Es bestehe Flucht- und Verdunkelungsgefahr, heißt es später. Abou-Chaker werden mehrere schwere Straftaten vorgeworfen: Verabredung zu Verbrechen, nämlich Kindesentführung, Anstiftung zur Entziehung Minderjähriger, schwere Körperverletzung, räuberische Erpressung und erpresserischer Menschenraub.
Wie kann das sein – Abou-Chaker wurde doch bisher nie etwas nachgewiesen? Der 42-jährige deutsche Staatsbürger gilt als aktivster von sechs Brüdern einer Familie aus dem Libanon. Deren Mitglieder sind in Berlin durch Gewalt, Überfälle, Eigentums- und Drogendelikte aufgefallen. Doch wann immer gegen Arafat Abou-Chaker ermittelt wurde, wurden die Verfahren eingestellt. Oder es gab Freisprüche in zweiter Instanz. Frühere Zeugen knickten vor Gericht schon mal ein, konnten sich an nichts erinnern, wenn es um Abou-Chaker ging.
Es geht um Einfluss, Geld und auch um verletzte Ehre eines Mannes
Nun aber soll er gestolpert sein, wie es heißt. Über seine Rachegelüste, über seinen Groll gegen seinen früheren Geschäftspartner, den Rapper Bushido, und gegen die Frau seines Bruders. Es geht um Einfluss, Geld und auch um die verletzte Ehre eines Mannes, der nie den Anschein machte, als könne ihm jemand etwas anhaben. Nun besteht dringender Tatverdacht gegen ihn. Er soll geplant haben, Bushidos Kinder zu entführen. Und er soll andere angestiftet haben, auch die Kinder der Frau seines Bruders zu entführen.
Seit Mitte der Nullerjahre gingen Bushido, bürgerlich Anis Mohamed Youssef Ferchichi, und Arafat Abou-Chaker gemeinsame Wege. Der Clanchef kam ins Rampenlicht, begleitete Bushido zu einer Filmpremiere, zu einer Bambi-Verleihung und er soll an den Einnahmen des Rappers mitverdient haben. 2013 soll Bushido seinem Geschäftspartner sogar eine Generalvollmacht ausgestellt haben. Sie bezogen ein gemeinsames Anwesen in Kleinmachnow vor den Toren Berlins. Doch im März 2018 sagte sich Bushido von ihm los, es gibt Streit über Verträge, Absprachen und Millionensummen. Ermittler befürchteten schon damals „erhebliches Konfliktpotenzial“.
Die Freundschaft zu Abou-Chaker habe sich zu einer Tyrannenherrschaft entwickelt, sagt Bushido
Bushido aber ging an die Öffentlichkeit, vor allem aber seine Frau. Sie verkündeten, wie sich die Freundschaft mit Arafat Abou-Chaker zu einer Tyrannenherrschaft entwickelt habe, wie der Clanchef ihnen Vorschriften machte – auch im Privatleben, was sie zu tun und zu lassen hätten. Denn Abou-Chaker legt Wert auf seinen Glauben, wird in einer als Salafistentreff bekannten Moschee gesehen. Sie wollten sich nicht mehr einschüchtern lassen, sich nicht abkassieren und ihre Ehe zerstören lassen, sagten die Ferchichis. Im September veröffentlichte Bushido einen Song, der dreht sich um Abou-Chaker und heißt „Mephisto“. Und Bushido und seine Frau sprachen über die Angst vor Rache. Von Morddrohungen war die Rede. Bei ihren Anwälten hinterlegten sie Beweismaterial gegen Abou-Chaker – als Lebensversicherung.
Die Angst war nicht unbegründet. 2018 soll eine Zeugin aus Dänemark nach Berlin gekommen sein. Sie steht unter Polizeischutz – und ist die Frau und Cousine eines Bruders von Arafat Abou-Chaker. Sie leben getrennt, die Kinder sind bei ihr. Den Ermittlern soll sie berichtet haben, wie Abou-Chaker in Dänemark versucht haben soll, Helfer für eine Attacke auf Bushidos Familie zu finden. Die Ermittler gehen von einem geplanten Racheakt aus.
Die Aussagen der Frau waren auch der Auslöser für die Durchsuchung des Anwesens von Abou-Chaker in Kleinmachnow im November. Bei der Durchsuchung – schwer bewaffnete Spezialeinheiten stürmten das Haus – ging es auch um den Vorwurf des Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Ermittler fanden heraus, dass auch die Kinder der Frau entführt werden sollten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte nur, der Clanchef werde „der Anstiftung zu einer Entziehung Minderjähriger verdächtigt“. Der Anstiftung zu einer vollendeten Tat also. Die Behörden halten sich bedeckt, aber auch hier ist von einem Racheakt die Rede.
Abou-Chaker erwartete eine Freispruch - wie immer
In Moabit stand Abou-Chaker zwei Monate lang vor Gericht. An diesem Dienstag, bevor das Urteil fiel, scherzte der 42-Jährige noch mit einem seiner Brüder, der als Zuschauer im Saal 101 saß. Im Prozess ging es um handgreifliche Auseinandersetzungen mit einem Hausmeister in einer Charlottenburger Physiotherapiepraxis. Die Tat ereignete sich im März 2018, also zu jener Zeit, als sich Bushido vom Clanchef losgesagt hatte.
Abou-Chaker erwartete einen Freispruch – wie immer. So hatte es auch sein Verteidiger verlangt. Sein Mandant könne sich auf Notwehrrecht berufen. Der Staatsanwalt hatte zuvor auf eine Geldstrafe von 270.000 Euro plädiert – 90 Tagessätze zu je 3000 Euro. Der Ankläger schätzte das Monatseinkommen von Arafat Abou-Chaker auf 90.000 Euro. Das wären mehr als eine Million Euro im Jahr. Der Clanchef selbst hatte sich nicht zu seinen Finanzen geäußert.
Es ist 11.35 Uhr, als der Amtsrichter zur Urteilsverkündung den Saal betritt und das für den Clanchef Unerwartete verkündet: Erstmals wird Arafat Abou-Chaker in einem Strafprozess verurteilt. Aus nichtigem Anlass habe der Angeklagte auf den Geschädigten eingeschlagen und ihn verletzt, erklärt der Richter. Ein Angriff, der begann, weil der Hausmeister aus Sicht von Arafat Abou-Chaker „nicht ordentlich gegrüßt“ habe. Er soll den Mann beschimpft, ihn mit dem Tode bedroht, mit zwei Fingern in seine Augen gestochen, ihm eine Kopfnuss verpasst und ihn getreten haben. „Es hat einen völlig Unschuldigen getroffen“, sagt der Richter.
Weil der Angeklagte schwieg, habe sich das Gericht nicht wirklich ein Bild von ihm machen können. „Aber er ist aus nichtigem Anlass explodiert. Das wirft schon Fragen zu seinem Charakter auf.“ Gegen die Entscheidung seien Berufung oder Revision möglich, sagt der Richter. Dann kommt der Haftbefehl. Der Clanchef habe gefasst gewirkt, heißt es später. Um 11.58 Uhr kommen seine beiden Verteidiger wortlos aus dem Saal: kein Kommentar.
Bushido hat einen neuen starken Mann an seiner Seite
Bushido hat inzwischen einen neuen starken Mann an seiner Seite. Ashraf R. ist auch eine Szenegröße. Bushido erklärte zwar, er habe nichts mit Clans zu tun, sondern nur mit Einzelpersonen. Doch sein neuer Partner gehört auch zu einer berüchtigten, ebenfalls aus dem Libanon stammenden Großfamilie. Jener Familie R., bei der 2018 insgesamt 77 Immobilien im Wert von knapp zehn Millionen Euro wegen des Verdachts der Geldwäsche beschlagnahmt wurden. Geld aus kriminellen Machenschaften, das in legale Geschäfte gesteckt wird. Drei Mitglieder der Familie stehen derzeit wegen des Münz-Diebstahls aus dem Bode-Museum vor Gericht.
Bislang kann nur gemutmaßt werden, in welchem Ausmaß mehrere Schießereien auf offener Straße, Attacken unter den Clans, sogar der Mord an Nidal R. im September am Rande des Tempelhofer Feldes mit dem Streit zwischen Bushido und Abou-Chaker zu tun haben. Hinweise gibt es einige. Im August stürmte das SEK die Wohnung von Bushidos neuem Partner Ashraf R. Bei den Ermittlungen ging es um Schüsse, abgefeuert im Juni auf ein Lokal von Arafat Abou-Chaker in Treptow. Selbst beim Bundeskriminalamt (BKA) ist von Verbindungen zwischen Hiphop, Rappern und organisierter Kriminalität die Rede. Angeblich sei das aber bisher nur auf Berlin begrenzt, sagte vor einigen Wochen ein BKA-Beamter im Abgeordnetenhaus. Kenner der Szene bezweifeln das.
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Alexander Fröhlich, Helena Piontek, Kerstin Gehrke