Nach AfD-Parodie: Antisemitische Morddrohungen gegen Satiriker Schlecky Silberstein
Wegen eines Satire-Videos über die Vorfälle in Chemnitz bekommt die Produktionsfirma von Schlecky Silberstein Hausbesuch von der AfD und Morddrohungen im Netz.
Ein Filmdreh mit gravierenden Folgen: Nach den Dreharbeiten zu einem Satire-Video hat der Satiriker Schlecky Silberstein Morddrohungen erhalten, nachdem die Berliner AfD einen Hausbesuch bei seiner Produktionsfirma mit Adresse und Klingelschild auf Video festhielt und ins Internet stellte.
"Die reale AfD karikiert jede Satire", schrieb ein Nutzer auf die Twitter-Seite von Schlecky Silberstein. Und fasst damit gut zusammen, was zwischen dem Satire-Blog und der Partei in den vergangenen Tagen vorgefallen ist: Nach Berichten des gemeinnützigen Recherchezentrums "Correctiv" sowie einem Post auf der Webseite von Schlecky Silberstein selbst drehte dessen Produktionsfirma, die Steinberger Silberstein GmbH, für das satirische Funk-Format "Bohemian Browser Ballett" des SWR am 7. September in Lichtenberg eine Parodie auf die Vorfälle in Chemnitz.
Parodie auf die Vorfälle in Chemnitz
"Der Clip war eine Auseinandersetzung mit allen, die vom Tod eines jungen Mannes profitieren wollten", heißt es in dem Post. "Betont empörte Medien, asoziale Kampftrinker, Rechtsextreme, die AfD, die mit großem Fangnetz mitten drin stand, aber auch die ganzen Quartals-Antifaschisten und Party-Demonstranten, denen Coca Cola unter dem Wir-sind-mehr-Label Produktproben hinterhergeworfen hat."
Anwohner hätten die Dreharbeiten beobachtet und Vermutungen geäußert, hier solle eine gefakte Nazi-Demo inszeniert werden. Man habe die Menschen über die Parodie aufgeklärt und "bemerkenswert vielen Menschen die Kunstfreiheit" erklärt, so Silberstein. Nichtsdestotrotz: Wenige Tage später postete die Berliner AfD auf ihrer Facebookseite ein Video, in dem sie Szenen der Dreharbeiten auf dem Anton-Saefkow-Platz veröffentlichte und als "Fakevideo" aufzudecken meinte. Dazu Schlecky Silberstein: "Natürlich wusste jeder bei der Partei, dass wir eine Satire drehen. Wir haben das komplette Set mit entsprechenden Hinweisen zugekleistert."
Trotzdem: Die Crew habe Besuch bekommen vom AfD-Abgeordneten Frank-Christian Hansel, der sich, so Silberstein, "taktisch blöd" gestellt habe und an dem Alternative-Fakten-Narrativ festgehalten habe. "Am Anfang lacht man über die Ironie", so Schlecky Silberstein, doch als Bilder von Team-Mitgliedern im Netz kursiert seien mit dem Aufruf, Namen und Adressen herauszufinden, "da wurde uns mulmig".
AfD-Abgeordneter nahm am Chemnitzer Schweigemarsch teil
Hansel, in den 90er Jahren noch SPD-Mitglied, gilt eigentlich als Vertreter des gemäßigten Flügels in seiner Partei. Auch seine Homosexualität hat er immer offen thematisiert. Im Abgeordnetenhaus sitzt er stets an der Seite von Parteichef Pazderski in der ersten Reihe. Wie Pazderski ist Hansel Befürworter des "Berliner Kurs", der die Partei mittelfristig koalitionsfähig machen sollte.
Zuletzt war Hansel aber auch bei einem sogenannten Schweigemarsch in Chemnitz an der Seite von Pegida-Gründer Lutz Bachmann aufgefallen. Ein AfD-Bundeskonvent war wegen eines Antrags von Hansel verkürzt worden, damit Parteimitglieder nach Chemnitz reisen konnten. Den Antrag begründete Hansel damals so: "Diesem Protest können und dürfen wir uns aufgrund seiner hohen Bedeutung für die Zukunft unseres Landes nicht entziehen, nur weil er auch von Gruppen geteilt wird, zu denen die AfD aus Überzeugung Distanz hält und weiter Distanz halten wird.“ An der Demonstration hatten auch führende Vertreter des völkisch-nationalen Flügels der Partei, wie Björn Höcke, Uwe Junge und Andreas Kalbitz teilgenommen. Hansel ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Berliner AfD, aktuell mit dem Hauptausschuss in Lissabon und war deshalb zunächst nicht zu erreichen.
Als die AfD dann am Freitag bei Facebook und Youtube ein zweites Video veröffentlichte, das Hansel beim Hausbesuch der Produktionsfirma zeigt - inklusive Straßen- und Klingelschild -, um "mit den Produzenten ins Gespräch zu kommen", wurden massiv antisemitische Hasskommentare darunter veröffentlicht. Schlecky Silberstein postete einen davon, in dem zum Mord an Juden, "die so Hetze betreiben", aufgerufen wird. "Ohne die Initiative von Bundes- und Berlin-AfD wäre uns diese Morddrohung aus dem Antisemitismus-Baukasten erspart geblieben", so Schlecky Silberstein.
Im finalen Satire-Clip "Volksfest in Sachsen" unter anderem zu sehen: Ein im Kampfhund-Stil überkarikierter Skinhead, der einen dunkelhäutigen Mann jagt. Wegen dieses "Vortäuschens einer Straftat" stellte die AfD in der vergangenen Woche Strafanzeige gegen die Produktionsfirma.
Pazderski verteidigt Hausbesuch-Video
Der Landeschef der Berliner AfD, Georg Pazderski, verteidigte das Video seines Parteifreundes. "Es wird offensichtlich: Die AfD soll mit allen erdenklichen Methoden mundtot gemacht werden", teilte er via Pressemitteilung mit. Er kritisierte die Aktion von Silberstein als "ein von der Rundfunk-Zwangsabgabe finanziertes Hetz-Video". Dass im AfD-Video auch die Adresse des Regisseurs zu sehen ist, verteidigte Pazderski. Es sei nicht die private, sondern offizielle Anschrift der Firma Steinberger Silberstein. Diese sei auch im Handelsregister geführt und damit öffentlich einsehbar.
Dass man mit dem Filmen des Klingelschildes antisemitische Reaktionen habe auslösen wollen, sei "absurd." Antisemitismus sei für die Partei kein Thema, so Pazderski. Und weiter: "Antisemitische Kommentare in den sozialen Netzwerken entstammen entweder der Feder von Verblendeten oder sind gezielte Provokationen linker Trolle. Der AfD geht es ausschließlich um die Aufdeckung unlauterer Propaganda mit Geldern aus der Kasse des öffentlich-rechtlichen SWR. Die peinliche Opferhaltung der Unternehmensleitung ist daher eine reine Schutzbehauptung, um von den eigenen Dirty Campaigning-Methoden abzulenken."
Am Montag äußerte sich auch die Grünen-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus Antje Kapek via Twitter zu Wort und nannte das Agieren von Hansel "unterirdisch". "Hausbesuche und Morddrohungen (...) erinnern stark an Methoden aus der Nazizeit." Kapek ließ außerdem mitteilen, man werde den Vorfall "parlamentarisch aufarbeiten". Auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) twitterte: "Hier wird die Freiheit von Kunst und Presse durch antisemitische Einschüchterung bedroht."
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.