Terroranschlag in Berlin: Amri-Untersuchungsausschuss tagt im Gefängnis
Zum ersten Mal tagte der Berliner Amri-Untersuchungsausschuss in der JVA Moabit. Der Straftäter, mit dem Amri zusammenwohnte, beschreibt ihn als „frommen Muslimen“.
Zwei Sicherheitsschleusen müssen Besucher passieren, wenn sie in die Justizvollzugsanstalt Moabit wollen. Hinter dicken Mauern und tonnenschweren Toren befindet sich eines der bundesweit ältesten Gefängnisse. 950 Häftlinge sind dort untergebracht, die meisten in Untersuchungshaft. Dorthin musste der Untersuchungsausschuss eine Zeugenvernehmung verlagern, da der Präsident und Hausherr des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland (SPD), Sicherheitsbedenken hatte.
Umso vertrauensvoller fiel die Begrüßung der JVA-Leiterin Anke Stein aus. „Sie werden einen der sichersten Ausschüsse erleben“, sagte sie. „Sie werden nicht merken, dass Sie im Gefängnis sind. Manchmal wird es lauter, es kann einfache Gründe haben. Man muss sich nicht aufregen. Wenn etwas sein sollte, werden wir uns bei Ihnen melden. Und kommen Sie gut wieder raus.“
Der 28-jährige Zeuge Mohamad Ali D. steht kurz vor seiner Abschiebung nach Tunesien. Deshalb musste sich der Ausschuss beeilen ihn zu vernehmen. D. stürmte mit Amri und Mohamad K. im Juli 2016 in eine Shisha-Bar in Neukölln. Es kam zu einer Schlägerei und Messerstichen. Ein halbes Jahr darauf wurde D. bei einem Diebstahl festgenommen und später wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchsdiebstahls und Diebstahls mit Waffen zu 20 Monaten Haftstrafe verurteilt.
Mohamad Ali D.: "Ich ging nie in Moscheen"
D. hatte Amri in Berlin kennengelernt. Beide stammten aus der Provinz Kairouan in Tunesien. Amri habe ihm erzählt, er sei zwei oder drei Monate in einer Moschee untergebracht gewesen. Der Zeuge wohnte damals in einer Wohnung mit seinem Bruder und ab und an mit dessen Dresdener Freundin. Er habe Amri dort mit aufgenommen.
Auf Nachfrage sagte D., er habe keine Moscheen gekannt. „Ich ging nie in Moscheen.“ Und er könne sich nicht mehr an den Namen der Moschee erinnern, in der Amri untergebracht war. Amri soll zeitweise in der inzwischen verbotenen Fussilet-Moschee in Moabit gewohnt haben. Die Fussilet-Moschee war Anlaufpunkt für viele Islamisten.
Als beide gemeinsam in eine Wohnung in die Grenzallee umzogen, habe D. 500 Euro, Amri 200 Euro im Monat gezahlt. Die Gespräche seien um weltliche Sachen gegangen. „Er empfahl mir, in Moscheen zu gehen und zu beten. Ich habe das damals nicht so akzeptiert“, sagte der Zeuge, der Amri als frommen Menschen schilderte. „Amri war ein frommer Muslim, ging regelmäßig beten. Und es ging immer am Ende um eine Empfehlung an mich, ich sollte lieber beten“, übersetzte der Dolmetscher seine Worte. In der Wohnung habe er immer allein gebetet, andere Leute seien nicht gekommen.
Andeutungen zum Anschlage habe Amri nicht gemacht
Amri habe keinen Alkohol getrunken. Und von Drogenkonsum will der Zeuge auch nichts gewusst haben. Es sei aber bekannt gewesen, dass Amri Drogen kaufte und wieder verkaufte. Auf Nachfragen, ob er mitbekommen habe, dass sich Amri radikalisierte, sagte er: „Das, was er mir erzählte, war sein Bestreben, so viel Geld wie möglich zu verdienen, eine Familie zu gründen und möglicherweise wieder in seine Heimat zurückzukehren.“
Andeutungen über einen möglichen Anschlag habe Amri nie gemacht. „Unmöglich“, betonte Zeuge D. und wiederholte, dass Amri lediglich darüber gesprochen habe, ein besseres Leben führen zu wollen. Als er von dem Attentat am 19. Dezember auf dem Breitscheidplatz gehört hatte, bei dem zwölf Menschen ermordet wurden, sei er nicht auf Amri gekommen. „Unmöglich“, sagte er.
Die Ereignisse im Juli in der Shisha-Bar in der Hertastraße in Neukölln seien eine „Schlägerei unter Tunesiern“ gewesen. Amri habe zuvor Streit mit drei Männern gehabt, die „zufällig“ wieder in der Bar gewesen seien. Mohamad K., der ebenfalls in der JVA eine Haftstrafe verbüßt, sei im Laufe des Tages später zu den beiden gestoßen.
Die Shisha-Bar war als Ort für Drogenkauf bekannt. „Ich bin da hin, weil ich mir Drogen kaufen wollte“, sagte D. Nach seiner Aussage soll Amri bei der handgreiflichen Auseinandersetzung ein Messer gezogen haben. Mohamad K. habe ihm das Messer abnehmen wollen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass Mohamad K. selbst ein Messer hatte. Er könne sich aber daran erinnern, dass Amri mit dem Messer jemanden verletzt habe. Danach hätten die Drei Angst gehabt und die Shisha-Bar verlassen. Er ergänzte, dass Amri auch einen Gummihammer dabei hatte.
Zeugin aus dem LKA Düsseldorf
Diese Aussage steht im Widerspruch zu Aussagen im Strafprozess gegen Mohamad K. Der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) sagte, man müsse die Glaubwürdigkeit des Zeugen erneut prüfen. Wäre Amri der Messerstecher gewesen, „wäre ein Haftbefehl fällig gewesen“. Allerdings wurde D. als Mittäter auch erst acht Monate später ermittelt.
Die Polizei sprach erstmals mit D. am 3. März 2017. Eine Woche später wurde D. festgenommen. Nur ein einziges Mal haben danach Beamte der Generalbundesanwaltschaft mit dem Zeugen über Amri und den Anschlag gesprochen.
Er selbst habe mit Amri „nie“ über Anschläge in Europa gesprochen. Ob jemand Amri vielleicht bei seinem Attentat geholfen habe? „Bei Gott, weiß ich nicht“, sagte D. „Er hat es vielleicht allein gemacht.“ Der Zeuge lieferte keine Erkenntnisse darüber, dass Amri einen Radikalisierungsprozess durchmachte. Laut Dregger spricht vieles dafür, dass Amri ein Einzelgänger gewesen war.
Am Freitagnachmittag zog der Ausschuss wieder ins Abgeordnetenhaus um, wo unter anderem eine Zeugin aus dem LKA Düsseldorf vernommen wurde. Das Ergebnis ihrer Aussage: Es gab eine mangelhafte Kommunikation zwischen der im NRW–Innenministerium angesiedelten Sicherheitskonferenz und der für Amri zuständigen Ausländerbehörde in Kleve. „Amri war als Gefährder eingestuft, einer, auf dem das Hauptaugenmerk lag“, sagte die Zeugin. Er sollte „so schnell wie möglich abgeschoben werden“. Das passierte aber nicht. Stattdessen konnte Amri zwölf Menschen töten.