Islamismus: Amri-Ermittler mit Nebenjob
Das Amt ist überlastet, aber der Chef gibt Seminare - Kritik an Dezernatsleiter führt aber zu noch mehr Kritik.
Er gibt bundesweit Seminare zum Thema Krisenmanagement und vernachlässigt darüber die Krise in seinem eigenen Dezernat - so lauten die Vorwürfe gegen Kriminaldirektor Axel B., früherer Leiter des Islamismus-Dezernats im Landeskriminalamt. Ausgerechnet kurz vor dem Anschlag des Terroristen Anis Amri auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 soll B. öfter abwesend gewesen sein; auch die Observation Amris sei im Juni 2016 nach wenigen Wochen abgebrochen worden, aus Personalmangel.
„Zeit Online“ berichtete am Mittwoch: „Während Amri im April 2016 gerade einmal vier Tage lang in Berlin observiert wurde, referierte Dezernatsleiter Axel B. während eines Netzwerktreffens für Krisenmanager aus der Unternehmenswelt am Frankfurter Flughafen. Weitere private Auswärtstermine des Beamten folgten: Im Juni gab er ein Seminar in Köln, bei dem Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter auf den Krisenfall vorbereitet werden sollten. Im September referierte er abermals in einer Privatakademie, diesmal in Stuttgart zum Thema: Notfallmanagement. Genau in diesem Zeitraum zwischen Februar und September 2016 bahnte sich in Axel B.s LKA-Dezernat die größtmögliche Krise an. Das LKA überwachte zwar Amris neue Handys und stellte fest, dass der Asylbewerber ins Drogengeschäft eingestiegen war. Doch die Observation des Gefährders wurde nach wenigen Wochen im Juni 2016 abgebrochen. Im September lief auch die Telekommunikationsüberwachung aus. Eine Sachbearbeiterin des Islamismus-Dezernats verfasste zwar noch einen umfassenden Bericht, der Amris Straftaten als gewerbsmäßiger Drogenhändler in Berlin dokumentierte. Aber ihre Vorgesetzten zogen keine Konsequenzen daraus. Der Fall Amri blieb im LKA liegen, der Gefährder verschwand vom Radar der Sicherheitsbehörden.“
Als Amri auf dem Weg nach Berlin gewesen sei, sei B. für die Düsseldorfer Kollegen nicht erreichbar gewesen, lautet ein Vorwurf, der kürzlich auch im Berliner Amri-Untersuchungsausschuss erhoben wurde. Doch wem ist der Vorwurf eigentlich zu machen? Axel B. hatte eine Genehmigung für seine Nebentätigkeit, wie die Polizei bestätigt. Seine Vorgesetzte hat zwar mehrfach gegenüber der LKA-Spitze auf die personelle Notlage hingewiesen, den Einsatz B.s aber nicht verhindert. Axel B. wird von Befragten als hochqualifizierter Polizist beschrieben, pflichtbewusst, engagiert, ein „sehr guter Mann“. Auf eine Anfrage des Tagesspiegels reagierte B. nicht.
Die Polizei habe keine Führung, lautet ein Vorwurf
Frühere Kollegen des Beamten, der mittlerweile an die Spitze des LKA 1 befördert wurde, erinnern sich an die Erfolge seiner Ermittlungen im Rotlicht- und Rockermilieu. Zwischen den Zeilen ist sehr deutliche Kritik an der Polizeiführung herauszuhören. „Die Polizei befindet sich im freien Fall“, sagt ein Ermittler; Personalentscheidungen würden völlig ohne Konzept getroffen, die Polizeispitze sei „die schwächste, die wir seit 1948 hatten“. Die Führung habe keine Linie, es sei eigentlich gar keine Führung.
Der Nebentätigkeit ist B. in seiner Freizeit und am Wochenende nachgegangen. Laut Beamtenstatusgesetz haben sich beamte „mit vollen persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen“. Müssen sie sich in ihrer Freizeit also erholen, um ihre volle Leistungsfähigkeit wieder herzustellen? Und wer entscheidet dann, bei welchen Tätigkeiten sich einer erholt und bei welchen nicht? „Was Mitarbeitende in ihrer Freizeit tun, ist für den Dienstherrn grundsätzlich nicht von Interesse“, sagte Polizeisprecher Winfrid Wenzel.
Besondere Dynamik bekam der Fall im Zusammenhang mit den so genannten Liegevermerken, obwohl beides nicht in einem Zusammenhang steht. Die Zahl der Liegevermerke ist stark gestiegen. Mit einem solchen Vermerk wird eine Akte versehen, die länger als einen Monat nicht bearbeitet wurde. Im Jahr 2016 waren dies in Berlin 81 441 Liegevermerke in 41 276 Vorgängen - ein Vorgang kann auch mehrere solcher Vermerke haben. Das LKA 541 mit B. an der Spitze hatte 150 Stück davon. Im laufenden Jahr ist die Zahl der Vermerke auf 128 273 gestiegen. Auf die Frage, ob B. seine Dienstpflichten erfüllt habe, antwortete die Polizei am Mittwoch: „Ganz eindeutig ja! Er ist ein leistungsstarker, hoch motivierter und mit enormer Identifikation für den Polizei-Beruf versehener Mitarbeiter, der diese Nebentätigkeit in seiner Freizeit ausgeübt hat.“ B. habe 2016 auch keine Überlastungsanzeige geschrieben.
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