Angriff auf Obdachlose am Bahnhof Schöneweide: „Als Gesellschaft haben wir die Pflicht, diese Menschen nicht hängen zu lassen“
Anwohner und Sozialarbeiter sind schockiert ob der brutalen Feuer-Attacke gegen zwei Obdachlose. Die Opfer schweben in Lebensgefahr, der Täter ist noch unbekannt.
Einige Blumen, zwei Kerzen und ein paar Cent liegen an diesem Montag auf einer Decke vor dem S-Bahnhof Schöneweide. Alle paar Minuten bleiben Passanten, denen man die Bestürzung ansieht, hier stehen. Mancher legt eine Blume dazu.
In der Nacht zuvor wurden hier zwei schlafende Obdachlose angezündet. Der Täter war bis zum Abend unbekannt, sein Motiv unklar. Laut Polizei schüttete ein bislang Unbekannter gegen 23 Uhr eine leicht brennbare Flüssigkeit auf die 47 und 62 Jahre alten Männer und zündete sie an.
Die Opfer erlitten starke Verbrennungen und wurden in ein nahes Krankenhaus gebracht. Einer von beiden schwebt noch in Lebensgefahr. Wenn beide überleben sollten, haben sie das wohl dem beherzten Eingreifen von Passanten zu verdanken.
Der Fall erinnert an einen Angriff durch Jugendliche im Dezember 2016. Damals hatten sechs junge Männer versucht, einen schlafenden Obdachlosen im U-Bahnhof Schönleinstraße anzuzünden. Passanten konnten hier Schlimmeres verhindern.
„Die beiden haben gar nichts mehr “
„Was passierte, ist unglaublich“, findet Till Raßbach, der in der Nähe wohnt. „Wir müssen gegen solch schreckliche Taten ein Zeichen setzen. Ich finde es schlimm genug, dass so viele Obdachlose hier auf der Straße leben müssen. Als Gesellschaft haben wir die Pflicht, diese Menschen nicht hängen zu lassen.“
Am Montagabend fand eine Mahnwache gegen Obdachlosenfeindlichkeit vor dem S-Bahnhof statt. Dazu erschienen rund 200 Menschen, darunter viele Obdachlose. Dabei ging es auch um Spenden, denn der Täter zündete ebenfalls die wenigen Habseligkeiten ab. „Die beiden haben gar nichts mehr “, sagt eine Frau.
Öztan Dede betreibt einen Imbiss im Bahnhof. Ein Mitarbeiter erzählte ihm, dass einer der Kunden das Feuer sah. „Der schnappte sich wohl den Feuerlöscher und rannte raus.”
Auch im „Haus Schöneweide“ nahe des Tatorts ist die Stimmung an diesem Montag gedrückt. Das Heim ermöglicht geschütztes Wohnen für chronisch suchtkranke Männer. Betrieben wird es von der Gebewo - Soziale Dienste - Berlin gGmbH, Berlins größtem Wohnungsnothilfe-Träger.
„Unsere Bewohner haben ja selbst meist Erfahrungen mit Obdachlosigkeit“, sagt Alexandra Richter, die Leiterin der Einrichtung: „Möglicherweise gab oder gibt es auch lose Kontakte zu den schwer Verletzten. Die Betroffenheit ist hier jedenfalls sehr groß.“ Ihr Geschäftsführer Robert Veltmann kennt die schwierige Situation in der Hauptstadt. „Es gibt hier mehrere tausend Obdachlose und nächtlich vielleicht 140 Schlafplätze in sogenannten Notübernachtungen“, sagt er.
„Schöneweide ist schon eine sehr ungemütliche Gegend“
In Berlin leben nach Schätzungen von Hilfsorganisationen bis zu 8.000 Menschen auf der Straße. Die Zahl der Wohnungslosen wird nach Angaben der Senatssozialverwaltung auf bis zu 50.000 Menschen geschätzt. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat die Zahl schwerer Gewalttaten gegen Obdachlose in Deutschland seit 2012 leicht zugenommen.
Das hänge möglicherweise mit der steigenden Zahl Wohnungsloser zusammen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft registrierte von 1989 bis Ende 2017 knapp 240 getötete Obdachlose bei Angriffen durch nicht-wohnungslose Täter sowie rund 850 Fälle schwerer Körperverletzung.
Rund um den S-Bahnhof Schöneweide leben besonders viele Menschen auf der Straße. „Schöneweide ist schon eine sehr ungemütliche Gegend. Es gibt viele Obdachlose und auch viele Drogendelikte hier“, sagt Lynn-Sophie Vebbing, die vor der Station Werbung verkauft. „Trotzdem ist eine solche Tat natürlich schrecklich und unbegreiflich“.
Daneben sei der Kiez auch für die rechtsextreme Szene bekannt, erzählt Ramona Scholz. Die hätte sich immer in der Kneipe „Zum Henker“ getroffen: „Die gibt es jetzt zum Glück aber nicht mehr“, sagt Ramona Scholz, die nahe der S-Bahn-Station wohnt. Sie selbst würde sich nicht trauen, hier auf der Straße zu leben. „Besonders nach so einem Vorfall hätte ich natürlich Schiss, dass mir so etwas auch passiert.“ Auch die vielen Obdachlosen, die neben der S-Bahn Station schlafen, haben jetzt große Angst vor möglichen weiteren Taten.
Gebewo-Geschäftsführer Robert Veltmann weiß, dass sie schlechte Karten haben, wenn sie sich entscheiden, doch eine Unterkunft aufzusuchen. Und das, obwohl es eine sogenannte kommunale Unterbringungspflicht gibt. „Die Obdachlosen müssen dazu bei der für sie zuständigen Sozialbehörde vorsprechen“, sagt Veltmann: „Das ist immer dort, wo sie zuletzt gemeldet waren. Falls alle Gemeinschaftsunterkünfte besetzt sind, erhalten sie vielleicht wenigstens eine Kostenübernahme für ein Hostel.“
Mordkommission arbeitet „mit Hochdruck“
Nach Angaben des Treptow-Köpenicker Sozialstadtrats Gernot Klemme (Linke) seien regelmäßig Streetworker am Bahnhof unterwegs. „Die Obdachlosen wollen sich aber nicht von uns unterbringen lassen.“ Welchen Hintergrund dieser Anschlag haben könnte, darüber möchte er nicht spekulieren. Es gebe Beschwerden über Belästigungen, aber bislang „keine größeren Vorkommnisse“.
Generell habe aber Berlin nunmal ein Wohnungsproblem, sagt Veltmann – nicht nur, aber auch für Obdachlose. Dass das alles nur in den Bezirken und nicht zentral erfasst wird, komme erschwerend hinzu. Veltmann begrüßt deshalb die jetzt von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) anvisierte Einrichtung einer Zentralstelle für Obdachlose. „Dann ließen sich auch bestimmte Standards in den verschiedenen Einrichtungen besser durchsetzen und kontrollieren“, sagt er.
Für Robert Veltmann und viele seiner Mitarbeiter ist es „an Schändlichkeit nicht zu übertreffen, wenn man sich für Gewalttaten ausgerechnet jene Menschen aussucht, denen es sowieso schon schlecht geht“. Dass es sich in irgendeiner Form um eine Beziehungstat gehandelt haben könne, glaubt er nicht. „Dazu hatten wir bereits in der Vergangenheit zu viele solcher Fälle“, sagt er.
Die Berliner Polizei ermittelt derzeit in alle Richtungen. „Die Kollegen der Mordkommission arbeiten mit Hochdruck“, sagte ein Sprecher am Montagabend dem Tagesspiegel: „Sie untersuchen noch immer den Tatort, schauen nach Material, das möglicherweise von Video-Kameras aufgenommen wurde und befragen Zeugen.“
Vielleicht auch Wolfgang Künicke, der ebenfalls in der Nähe der S-Bahn-Station Schöneweide schläft. Er kennt die beiden Opfer gut. Einer sei ihm ein guter Freund; er hatte vor kurzem auch noch eine Wohnung in der Nähe. „Die haben hier ihr Bierchen getrunken und niemandem was getan“, erzählt er.
Vor dem abgebrannten Schlafplatz der beiden Obdachlosen ist auch ein Hundenapf zu sehen. „Der gehörte Ricky und Ricky gehörte einem der beiden Opfer“, erzählt Wolfgang Künicke: „Wir fragen uns alle hier, wo er gelandet ist.“