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In Pankow soll ein sogenanntes Übergangshaus gebaut werden. „Transit“ heißt das Projekt (im Foto links neben einem alten Umspannwerk); bis zu 46 Wohnungslose sollen dort einen Platz finden.
© Bürgerstadt AG

Wohnraum für Obdachlose: Auf dem Weg zu den eigenen vier Wänden

In Berlin gibt es in sogenannten Übergangshäusern 339 Plätze für Wohnungslose – viel zu wenige. Nun entsteht mit dem "Transit" ein neues.

Wohnungslosigkeit ist ein großes Problem in Berlin. Wie groß es ist, weiß allerdings niemand so genau. Grobe Schätzungen gehen von mehr als 50 000 Obdach- und Wohnungslosen aus – eine Statistik soll es frühestens im kommenden Jahr geben. Jeder Betroffene hat seine eigene Geschichte und seine eigene Not. Das Land und die Wohlfahrtsverbände versuchen mit vielen Angeboten zu helfen, etwa mit der Unterbringung in sogenannten Übergangshäusern von freien Trägern. Als Vorstufe zum Glück der eigenen Wohnung bieten diese Einrichtungen aktuell aber gerade einmal 339 Plätze – kaum der Rede wert. Zudem schwebt über vielen Häusern das Damoklesschwert „Kündigung“. Als Gewerbemieter genießen sie geringen Schutz. Der Bedarf wächst ständig, das Hilfsangebot nicht.

In dieser prekären Lage geht die Gesellschaft für betreutes Wohnen gGmbH (Gebewo) nun einen alternativen und in der Hauptstadt bisher einzigartigen Schritt: Sie baut gemeinsam mit der Bürgerstadt AG ein neues, eigenes Übergangshaus. Im kommenden Jahr kann die Gebewo, Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, den Neubau beziehen. Ein Glücksfall.

Bis es so weit ist, betreibt der Träger noch ein Übergangshaus mit 24 möblierten Einzelzimmern in der Grabbeallee in Pankow. In dem Hinterhaus der Einrichtung gibt es auch Aufenthaltsräume und Gemeinschaftsküchen, in denen die betreuten Bewohner eigenständig wirtschaften können. „Da sich der Vermieter jedoch seit vielen Jahren bei der Instandhaltung sehr zurückgehalten hat, mussten wir nach einer Alternative suchen“, sagt Robert Veltmann. Der gelernte Sozialarbeiter ist einer von zwei Geschäftsführern bei der Gebewo und hat auch keine genauen Daten über Menschen ohne eigenes Dach über dem Kopf zur Verfügung. Er hält jedoch die jüngst von Bausenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) in die öffentliche Diskussion geworfene Zahl von „etwa 50 000 Wohnungslosen“ in der Stadt für „ziemlich realistisch“. Wobei in dieser Schätzung die hier lebenden Asylbewerber oder Flüchtlinge nicht enthalten sind.

Eine seit Jahren geforderte "Wohnungsnotfallstatistik" fehlt

Was wird nicht alles gezählt und erfasst in dieser Stadt – die Tiere im Zoo, von der Mücke bis zum Elefant. Die Bücher in Bibliotheken, von A bis Z. Die Bäume an Straßen und in Parks, von Ahorn bis Zypresse. Die Verwaltung benötigt Zahlen, sonst kann sie nicht ordentlich verwalten und sicherstellen, dass für alle und alles gesorgt ist. Heißt es immer. Umso erstaunlicher, dass ein brennendes soziales Problem wie Wohnungslosigkeit statistisch wenig bis gar nicht erfasst wird. Eine seit Jahren von Sozialverbänden geforderte „Wohnungsnotfallstatistik“ gibt es bislang weder in Berlin noch auf Bundesebene.

Wie also ein Problem angehen, dessen stetig steigendes Ausmaß bestenfalls über den Daumen gepeilt wird? Neu und bisher unerkannt ist das Phänomen schließlich nicht, dass Menschen aus ehemals geordneten Verhältnissen ins Boden- und damit oft auch ins Wohnungslose fallen. Das jüngste Signal des Senats: die „1. Berliner Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe“ am 10. Januar dieses Jahres. Leitlinien standen zur Diskussion. Entstanden sind – Arbeitsgruppen. Neun an der Zahl. Und es gibt eine Verabredung, zur nächsten Strategiekonferenz. Im Herbst.

Derweil versuchen soziale Träger wie Gebewo, Stadtmission, die Stiftung Helmut Ziegner und andere weiterhin, Großbrände mit Wassereimern zu bekämpfen. Die zuständige Senatsverwaltung für Soziales teilt auf Anfrage mit, „zurzeit bestehen mit 10 Leistungsanbietern 13 Leistungsverträge mit einer Kapazität von 339 Plätzen“. Angesichts des wachsenden Heeres Wohnungsloser sieht Gebewo-Geschäftsführer Veltmann in dieser geringen Zahl von Einrichtungen lediglich einen „Tropfen auf den heißen Stein“.

Mehr als 50.000 Obdach- und Wohnungslose sollen in Berlin leben.
Mehr als 50.000 Obdach- und Wohnungslose sollen in Berlin leben.
© Robert Schlesinger/dpa

Das Problem: Die Träger sind Gewerbemieter

Aus Sicht der Sozialverbände wäre es also an der Zeit, mehr betreuten Wohnraum als Brücke zurück in ein geregeltes Leben zu schaffen. Das erweist sich in der Praxis jedoch als vergleichsweise schwierig, wie auch die Senatsverwaltung erkannt hat: „Die Träger treten … als Gewerbemieter am Markt auf. Dabei bleibt festzustellen, dass es in Berlin für Träger zunehmend schwieriger wird, entsprechenden Gewerberaum zu finden und anzumieten.“ Eine Malaise, die Veltmann bekräftigt: „Kündigungen der gewerblichen Verträge stellen aktuell eine große Gefahr für den Bestand und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Einrichtungen dar.“

Warum gibt es angesichts der herrschenden Zustände keine Bemühungen, mehr Plätze in betreuten Einrichtungen wie eben „Übergangshäusern“ zu schaffen? Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales mit Elke Breitenbach (Die Linke) an der Spitze bleibt eine Antwort nicht schuldig: „Weder die Bezirke noch die Leistungserbringer haben in den letzten Jahren einen Bedarf an weiteren stationären Übergangshäusern festgestellt. Neue Initiativen zur Schaffung weiterer Ü-Hauser sind dementsprechend nicht entwickelt worden“, ließ sie den Tagesspiegel über ihre Pressestelle wissen.

Keinen Bedarf festgestellt – diese Aussage bringt die Träger entsprechender sozialer Einrichtungen dann doch auf die Palme: „So etwas aus der Sozialverwaltung zu hören, finde ich schon, äh, überraschend“, sagt Michael Kraft, Leiter der Wohnungshilfe bei der Berliner Stadtmission. Seit wenigstens zwei Jahren gebe es auch bei der Stadtmission eine Warteliste. „Das hatten wir vorher noch nie.“ Es dürfe auch nicht in Vergessenheit geraten, dass „die Leitlinien zur Hilfe für Wohnungslose von 1998 stammen, als der Senat von ungefähr 3000 Betroffenen in der Stadt ausging“, erinnert Kraft. Heute suchten alle händeringend. Die zuständigen Bezirksstellen stellten gar oft Anfragen quer durch die Stadt, um die härtesten Notfälle unterzubringen.

Nicht bloß Mittel für niedrigschwellige Angebote

Die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin kann „die Aussage der Sozialverwaltung nicht nachvollziehen“, wie Pressesprecherin Regina Radke-Lottermann auf Anfrage mitteilte. Es sei zwar begrüßenswert, dass im Landeshaushalt mehr Mittel für niederschwellige Angebote wie Wärmestuben und Notübernachtungen eingeplant wurden. Darüber hinaus seien jedoch mehr Angebote für betreutes Wohnen oder sogenannte Übergangshäuser für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten „dringend nötig“.

Auch Gebewo-Geschäftsführer Veltmann muss hörbar schlucken, gibt sich jedoch diplomatisch: „Die Aussage der Sozialverwaltung wundert mich nicht, sie verhält sich immer sehr defensiv.“ Doch die Zahl der Betroffenen habe sich in den zurückliegenden Jahren vervielfacht, ein steigender Unterbringungsbedarf sei einfach da, die Kapazitäten seien jedoch ausgeschöpft. Bedarf melde niemand an, weil es angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt nahezu aussichtslos erscheine, bezahlbare neue Räume mieten zu können. „Von Bauen wollen wir gar nicht erst reden.“ Auf eine sich abzeichnende Wohnungsnot habe man allerdings bereits 2012 hingewiesen. „Oft erscheint es, als habe die Verwaltung eher einen Innen- statt einen Außenblick. Es gibt da offenbar einen blinden Fleck.“

Der Gebewo kam letztlich der Zufall zu Hilfe: Die Bürgerstadt AG hatte im Pankower Ortsteil Wilhelmsruh ein Grundstück gefunden, für das der Projektentwickler dann eine adäquate Baulösung suchte. Dass auch ein „Baulöwe“ zivilgesellschaftliches Engagement zeigen kann, ohne auf eine gewisse Gewinnmarge verzichten zu müssen, hat die Bürgerstadt schon oft bewiesen. Seit Gründung im Jahr 2000 unterstützt die Gesellschaft private Bauherren dabei, jeweils gemeinschaftliche Wohnprojekte umzusetzen.

Die ersten Bewohner sollen im Frühjahr 2019 einziehen

Statt ein Mehrgenerationenhaus zu bauen, entschloss sich das Unternehmen, in Pankow „ein soziales Wohnprojekt zu realisieren“, erläutert Winfried Hammann vom Vorstand der Bürgerstadt AG. Ein Neubau für Obdachlose – das war nicht nur für die Gebewo als Träger Neuland. „Wir mussten zunächst einen entsprechenden Antrag beim Senat stellen und fanden heraus, dass sich selbst die Verwaltung erst mal sortieren musste. Das war auch für die neu“, berichtet Gebewo-Geschäftsführer Robert Veltmann. In der Gesamtsumme koste das betreute Projekt mit Platz für 46 Obdachlose stolze 3,3 Millionen Euro. Darin enthalten seien die Kosten für das Grundstück in Höhe von 400 000 Euro, die als zweckgebundener Zuschuss von der Lottostiftung flossen.

Das Übergangshaus mit dem sinnigen Namen „Transit“ wächst bereits. Zwei der geplanten sechs Geschosse stehen, im kommenden Sommer soll Richtfest gefeiert werden, der Einzug ist für das folgende Frühjahr vorgesehen. Auf ebenso glückliche Zufälle können andere freie Träger jedoch kaum hoffen. Für sie heißt es warten. Warten auf zumindest zukunftssichere Mietverträge. Da immerhin gibt es etwas Hoffnung. „Für eine Einschränkung des Kündigungsrechts der Vermieter müsste das Bundesrecht geändert werden“, teilte die Berliner Wirtschaftssenatsverwaltung auf Anfrage mit. Hierzu arbeite sie gemeinsam mit dem Justizressort an Lösungsvorschlägen. Wann und ob es Lösungen geben wird, lässt die Antwort offen.

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