Religion in Berlin: Alles eine Sache des Glaubens
Nur noch ein Viertel der Berliner gehört einer christlichen Kirche an. Welchen Stellenwert hat Religion, und was steht bei Nicht-Gläubigen an ihrer Stelle?
Ob die Menschen nun an Gott glauben oder nicht, an die Wiedergeburt oder das Nirwana, auf ihre Schwäche für Schokolade können sich doch fast alle verständigen. Darum ist das Rausch-SchokoladenHaus am Gendarmenmarkt universell eingestellt. Dort kann man zu den Osterfeiertagen Geschenksäckchen mit koscheren und halal Schokoladentafeln kaufen, wenn man nicht unbedingt einen Osterhasen möchte. Zeichen dafür, dass die christliche Tradition in Berlin ausgesorgt hat? Mit mehr als 60 Prozent ist inzwischen die Gruppe derer, die sich keiner Religion zuordnen, mit Abstand die größte.
Als die vier Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr den Reformationstag als neuen Feiertag einführten, entschied sich Berlin für einen nicht-christlichen Feiertag, den Frauentag. Zu Weihnachten, wenn viele Deutsche doch mal in die Kirche gehen, sind zwar auch hier die Kirchen voll, zugleich gibt es eine große Auswahl kultureller Alternativangebote.
Knapp 970.000 Christen gibt es in der Hauptstadt, das sind noch knapp 26 Prozent der Einwohner – vor 50 Jahren waren es etwa doppelt so viele. Rund 576.000 von ihnen sind evangelische Kirchenmitglieder, 331.000 sind katholisch, knapp 62.000 sind offiziell anderen christlichen Gemeinschaften zugehörig.
Trotzdem bleiben viele Kirchenbänke das Jahr über leer, knapp 15.000 Berliner treten jährlich gleich ganz aus der Kirche aus. In den vergangenen Jahren mussten deshalb Kirchen schließen oder abgerissen werden.
Etwa 6,2 Prozent sind Muslime
Gleichzeitig werden Moscheen eröffnet, wie die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit. Da Muslime nicht durch einen großen Verband organisiert sind, ist es fast nicht möglich, ihre genaue Zahl zu benennen. Bundesweit geht der religionswissenschaftliche Informationsdienst Remid davon aus, dass etwa 6,2 Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens sind. In Berlin rechnet der Dienst mit maximal circa zehn Prozent.
Diese Zahl ist deshalb bemerkenswert, weil viele Bürger ein ganz anderes subjektives Bild haben. Wer durch Gesundbrunnen und Neukölln läuft, schätzt die Anzahl der Muslime vermutlich anders ein als jemand, der in Prenzlauer Berg wohnt. Bei einer vom Marktforschungsinstitut Ipsos organisierten Umfrage schätzten Befragte in Deutschland den Bevölkerungsanteil der Muslime auf 19 Prozent, also mehr als dreimal so hoch wie in der Realität.
Die organisierten Juden kommen mit rund 9500 Angehörigen in Berlin gerade einmal auf 0,25 Prozent der Bevölkerung, so dokumentiert es das statistische Jahrbuch. Kippaträger sieht man auch wegen vermehrter Angriffe gegen Juden jedoch nur selten. Bundesweite Schlagzeilen machte vor einem Jahr der Fall eines Mannes, der in Prenzlauer Berg wegen seiner Kopfbedeckung antisemitisch beschimpft und mit einem Gürtel geschlagen wurde.
Für Christen, Juden und Muslime soll es bald das „House of One“ am Petriplatz in Mitte geben. An diesem Ort für interreligiösen Dialog können sie dann unter einem Dach zum Beten zusammenkommen. In Moabit ist die bundesweit erste Drei-Religionen-Kita geplant.
63 Prozent Atheisten, Agnostiker und Humanisten
Andere Berliner sind Buddhisten, Sufis oder folgen einer anderen Religion. Nach dieser Rechnung kann man grob davon ausgehen, dass es in Berlin etwa 26 Prozent Christen, zehn Prozent Muslime und einen kleinen nicht genau zu benennenden Anteil an Sonstigen gibt.
Übrig bleiben 63 Prozent Atheisten, Agnostiker und Humanisten, deutlich mehr als die Hälfte der Berliner. Bundesweit gibt es eine organisierte säkulare Szene, die während großer kirchlicher Veranstaltungen zum Protest aufruft.
Viele dieser anti-religiösen Gruppen vertreten selbstbestimmte Werte wie Solidarität und Toleranz. Viele organisieren auch Trauredner und Beerdigungsredner. Beim humanistischen Verband in Berlin etwa gibt es die Jugendfeier statt der Konfirmation. Die Bräuche und Werte von Religionen werden ersetzt, nicht ignoriert. Ginge es nach ihnen, bräuchte man auch Ostern nicht mehr als Feiertag.
So weit wollen andere nicht gehen, sie stören sich aber an Beschränkungen im öffentlichen Leben, die für Karfreitag in Berlin wie in anderen Bundesländern gesetzlich geregelt sind. Jedes Jahr aufs Neue wird auch hier über das Für und Wider eines Tanzverbots diskutiert. Dabei wird diese gesetzliche Regelung hier ohnehin zumeist ignoriert.
Die Osternacht ist ein beliebter Tauftermin
„Karfreitag ist für mich der Tag, an dem wir schweigend des Leidens gedenken sollten“, entgegnet hingegen der langjährige Landesbischof der Evangelischen Kirche, Markus Dröge, der im Oktober aus seinem Amt scheiden wird. „Wenn wir uns anschauen, wie auf der Welt mit Menschenrechten und Menschenwürde umgegangen wird, tut es einer Gesellschaft gut, an diese traurige Realität zu erinnern und auch daran zu denken, dass wir berufen sind, das Leiden zu überwinden.“
Ostern verkünde ganz klar die Hoffnungsbotschaft, die auch 2019 noch Menschen in Berlin begeistern könne. Deshalb werde gerade die Osternacht gern als Tauftermin gewählt, wie zum Beispiel im Berliner Dom, wo sich in diesem Gottesdienst Erwachsene bewusst für den Glauben entscheiden. „Sie werden Teil einer Hoffnungsgemeinschaft und können durch die christliche Botschaft eine Orientierung für ihr Leben gewinnen.“
Für Erzbischof Heiner Koch geht es zu Ostern um die große Frage, ob der Tod das Letzte ist oder nicht: „Es ist schon viel, wenn die Menschen zu dieser Frage selbst eine Antwort finden. Ich habe Achtung vor jedem, der eine bewusste Glaubensentscheidung trifft.“ Zum Glauben kämen die Menschen vor allem durch persönliche Begegnungen, wenn sie bei Christen etwas von der Liebe Gottes spürten.
„Lassen Sie sich doch einfach mal darauf ein. Leben Sie so, als wenn der christliche Glaube recht hätte, und sammeln Sie Ihre Erfahrungen damit. Schauen Sie, was passiert, und bleiben Sie kritisch auf Ihrem Weg. Der christliche Glaube ist kein leichter Weg, dafür trägt er einen aber auch in dunklen Stunden der Ausweglosigkeit“, sagt Koch. „Es ist und bleibt eine freie Entscheidung.“
Und was sagt einer, der einer Gruppe angehört, die durch Religionssatire auf sich aufmerksam machen will, um ihre Weltanschauung des evolutionären Humanismus zu verbreiten? „Religion ist völlig überflüssig“, sagt Rüdiger Weida. Er ist Begründer der Weltanschauung des fliegenden Spaghettimonsters in Deutschland. Der 68-jährige Rentner nennt sich selbst „Bruder Spaghettus“, hält jeden Freitag im Piratenkostüm eine Nudelmesse in Templin.