Loveparade oder nicht?: 25.000 Techno-Fans zum Zug der Liebe erwartet
Rund 25.000 Menschen wollen am Sonnabend durch Berlin ziehen und tanzen wie früher. Ein Besuch an der Strecke des Umzugs, der vieles will – nur keine Loveparade sein.
Noch ist alles ruhig. Der Bersarinplatz in Friedrichshain ahnt noch nichts. Am Samstagnachmittag werden sich hier auf der Petersburger Straße einige tausend Leute zum „Zug der Liebe“ treffen. Bisher sind 14 Wagen für den Umzug angemeldet, jeweils mit verschiedenen Themen, doch alle mit Bezug auf die Anfänge der Technobewegung. „Wir haben es schon einmal getan, und nie war es mehr an der Zeit, diesen Weg erneut zu beschreiten. Wir setzen ein Zeichen und zeigen, dass unsere Generation nicht nur ein hedonistisches, unpolitisches und konsumgeiles Feiervolk ist.“ So die Veranstalter. Bei Facebook gibt es bereits 24.213 Zusagen, bei 3026 ist die Teilnahme noch unsicher.
"Vor 20 Jahren war ich 20 Jahre jünger"
Ein Späti-Betreiber an der Ecke Straßmannstraße freut sich schon: „Ich habe vorgesorgt und einiges an Getränken gebunkert“, sagt er. „Soll ja die neue Loveparade sein.“ Loveparade, wie lange ist das her! Eine Nachbarin ist vom Seniorenheim herübergekommen und sinniert: „Vor zwanzig Jahren, da war ich zwanzig Jahre jünger.“ Ruhige Gegend: Asia-Imbiss, Matratzenlager, Änderungsschneidereien. An der Ecke Landsberger verkosten drei ältere Männer das erste Bier des Tages. „Techno ist nicht meine Welle, dieses DumDumDum“, sagt einer. „Ich steh eher so auf die Musik der sechziger, siebziger Jahre. Aber mein Sohn geht hin, der ist 24.“
Spindeldürr und ständig schlecht gelaunt
Die Strecke führt die Danziger Straße hoch bis zur Prenzlauer Allee. Hier hört man einen Chor Presslufthammer, und plötzlich ist die Erinnerung wieder da. Mitte der achtziger Jahre: Der West-Berliner Untergrund war eine düstere Sache. In den Szeneklubs Ex ’n’ Pop und Cri du Chat herrschte eine freudlose Ödnis. Im Risiko stand Blixa Bargeld hinter der Theke und rückte nur gelegentlich ein Bier raus. Im Hinterzimmer zog man ungeniert Kokslinien. Heroin war chic, die Szeneleute waren spindeldürr und ständig schlecht gelaunt. Die Frage, die alle umtrieb, lautete: Wie mache ich mich am schnellsten kaputt? Alle warfen Speed ein, an Schlaf war überhaupt nicht zu denken. Und die Musik, so erinnert sich DJ Tanith, war weniger was zum Tanzen als was zum Leiden.
Und dann kam plötzlich House. Erst nur in ganz vereinzelten Clubs wie der Turbine in Schöneberg, dann plötzlich und ohne Umschweife, eher als Gag gemeint: die erste Loveparade auf dem Kurfürstendamm, vom Wittenbergplatz zum Adenauerplatz und zurück. 1989 mit 150 Leuten, dann von Jahr zu Jahr in stetig ansteigender Raverzahl. Es wurden Tausende, Hunderttausende. Walter, heute 53, weiß noch: „Ich kam aus dieser Industrial-Ecke, war mörderisch in Drogen versackt, dann aus Berlin weggezogen. Ich kam zur zweiten Loveparade zurück.“ Die Musik anfangs gewöhnungsbedürftig gewesen. Banal, sagt er, endlos repetitiv. „Aber wenn du eine Weile im Mix warst, hast du die Zwischentöne mitbekommen. Vor allem: Du hast getanzt. Alle tanzten.“ Und die Leute am Kurfürstendamm schauten entgeistert zu. „Die Spießer haben gejubelt! Standen da mit ihren Plastiktüten und wippten mit“, sagt Walter. „Touristen haben die begleitenden Polizisten gefragt, was hier denn los sei. Die meinten nur: Friede, Freude, Eierkuchen.“ Genau das war das politische Credo der übrigens ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration.
Bei der dritten Loveparade im Juli 1992, die in einer zehnwöchigen Trockenzeit stattfand, begann es nach der Hälfte des Zuges zu regnen. Die Raver hielten sich für Schamanen, für Regengötter, drehten die Musik noch etwas lauter und tanzten im heruntergehenden Schauer. Die Müllmänner der Stadtreinigung räumten am Ende des Zuges die Flaschen und Dosen auf. In ihren grellorangenen Arbeitskleidern sahen sie den Technojüngern, die eben den soliden Charme der Arbeitskleidung von Straßenreinigung, Feuerwehr und Dachdeckern entdeckten, zum Verwechseln ähnlich.
Und was macht Dr. Motte am Sonnabend?
Berlin hatte mit Techno sein neues heißes Ding, innerhalb weniger Jahre einen neuen Untergrund, der sich jetzt, in den Wendejahren, in den Bunkern, Kellern und Katakomben der brachliegenden Grundstücke traf. Im Tresor des Wertheim-Kaufhauses, im Bunker mit der harten Gabber-Mucke. Die Musik wurde schneller, die Drogen wurden härter. Und die Loveparades wurden von Jahr zu Jahr größer und kommerzieller.
Für Walter war es mit dem Umzug auf die Straße des 17. Juni vorbei. „Das wurde mir zu groß, zu doof, zu kommerziell.“ Die Junge Union schickte einen Wagen auf die Strecke, der biedere SFB übertrug. „Das war Deppentechno für Technodeppen.“
Vielleicht scheut der kommende „Zug der Liebe“ deshalb den Vergleich mit der Loveparade. Auch die Strecke durch den Osten der Stadt ist Neuland. Dabei gab es solche Überlegungen schon 1996. Damals favorisierten die Veranstalter eine Streckenführung Unter den Linden entlang. Die Senatsverwaltung konterte mit dem Vorschlag, entlang der Karl-Marx-Allee vom Alexanderplatz nach Friedrichshain zu ziehen. Das wurde als unzumutbar abgelehnt: „Wir lassen uns nicht an den Rand der Stadt drängen!“ Jetzt, 19 Jahre später, ist es endlich so weit.
An der Holzmarktstraße kann getrauert werden
Von der Prenzlauer Allee an geht’s bergab. Man sieht schon den Alexanderplatz vor sich: den Fernsehturm und die grauen Kastenbauten. Mehr Retro geht nicht. Linksschwenk am Hotel Park Inn, wo Reisebusse parken und agile Jugendliche die Primark- Filiale nach preiswerten Klamotten durchkämmen. Hinter dem Alex geht es auf der Karl-Marx-Allee zum Strausberger Platz und von dort Richtung Spree. Also: Holzmarktstraße. Hier kann während des Raves aktive Trauerarbeit geleistet werden, denn auf wenigen Schritten liegen hier viele Clubs begraben oder in den letzten Zügen. Auf einem unscheinbaren Lattenzaun steht in rostroten Lettern: DIE BAR IST TOT. Dies gilt der legendären Bar 25, die aus der Technobewegung noch ein Familiengefühl hinübergerettet hatte. Vorbei, vorbei. Wie auch gegenüber beim Kater Holzig oder einige Schritte weiter im Maria am Ostbahnhof. Die Bar will sich als Projekt „Holzmarkt“ neu erfinden, als eigener Stadtteil mit Kultur, Gewerbe und urbaner Landwirtschaft. Bis jetzt gähnen dort Baugruben.
Am Ostbahnhof geht es über die Spree nach Kreuzberg hinein, die gute alte Köpenicker Straße entlang. Home of Techno – war hier nicht irgendwo das legendäre UFO? Es ging durch eine Klappe auf dem Hof in den Keller hinunter. Es war stockduster, eng und voller Nebel.
Am Schlesischen Tor ist eh jeden Sonnabend die Hölle los
Heute wummert der neue Tresor im ehemaligen Kraftwerk der Köpi vor sich hin, umgeben von Hostels voller ehrfürchtiger Schulklassen und Jungtouristen.
Wir aber ziehen links zum Schlesischen Tor, seit Jahren das Bermudadreieck aller Partygänger. Alle guten Klubs in Reichweite. An jedem Wochenende ist hier die Luft getränkt von Musik, sie brodelt aus jeder Hausecke, dröhnt aus jedem Auto, auf der Oberbaumbrücke und Warschauer Brücke spielen Livebands. Die Jungs im Burgermeister unter der Hochbahn wissen längst über den „Zug der Liebe“ Bescheid, doch sie kann nichts schrecken: „Hier ist an jedem Samstag die Hölle los, da fallen ein paar tausend Leute mehr auch nicht weiter auf.“
Enden wird der Demonstrationszug in Alt-Treptow, hinter der Schleuse an der Schlesischen Straße, vermutlich mit ein paar Reden der Veranstalter. Dann geht’s auf die Afterpartys. Und Loveparade-Mitbegründer Dr. Motte? Der kommt nicht. Er hat am Sonnabend einen anderen Auftritt in Süddeutschland. Auch sonst wäre er wohl nicht gekommen, er will das Ereignis nicht kommentieren. Dr. Motte distanzierte sich bereits 2006 von der Loveparade, die zu einer „Dauerwerbesendung“ verkommen sei. Kommende Woche will Dr. Motte hingegen an der Gedenkfeier der Loveparade-Katastrophe in Duisburg teilnehmen: Am 24. Juli 2010 starben infolge einer Massenpanik 21 Menschen. Dr. Motte kritisierte kürzlich die verschleppte Aufklärung der Katastrophe, die immer noch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens ist.
Die Demonstranten sammeln sich am Sonnabend, dem 25. Juli, ab 14 Uhr zwischen dem Bersarinplatz und der Landsberger Allee, Abfahrt ist um 15 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, eine Teilnahmegebühr auch nicht.
Johannes Groschupf
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