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Comic-Künstler. Michael Ross in seinem Atelier in Berlin-Lichtenberg.
© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Comicszene: „1800 Stunden Arbeit stecken in so einem Comic“

Seit Kurzem fördert der Senat Comic-Künstler in der Hauptstadt finanziell. Mikael Ross ist einer der ersten Stipendiaten. Ein Atelierbesuch.

Das Treffen mit dem Berliner Comickünstler Mikael Ross ist schnell arrangiert: „Am besten, Sie kommen einfach bei mir im Studio vorbei. Ich sitze hier sowieso jeden Tag und zeichne“, lautet seine Ansage. Dort, in seinem Arbeitsraum im Stadtmuseum Lichtenberg, stapeln sich Skizzen und halbvollendete Zeichnungen auf seinem Schreibtisch. Viele Comiczeichner arbeiten heute hauptsächlich am Computer, Ross bevorzugt sichtbar eine analoge Produktion mit Papier, Bleistift und Pinsel.

An der Wand, vor der sein Leuchttisch steht – ein Hilfsmittel, an dem er Skizzen verfeinert – hängen auf Augenhöhe ein paar Zeichnungen. Von Katsuhiro Otomo etwa, dem Schöpfer des japanischen Manga-Epos „Akira“, oder von Carl Barks, dem Autor und Zeichner, der Donald Duck und anderen Disney-Figuren maßgeblich geprägt hat. Sie hängen da als Inspiration, sagt Ross, und um sich immer wieder vergegenwärtigen zu können, wie es die ganz Großen seiner Zunft gemacht haben.

„In den letzten zehn Jahren habe ich am Existenzminimum gelebt“

Ob er auch mal zur ersten Riege der Comiczeichner gehören wird? Mikael Ross hat vor kurzem das erste der seit diesem Jahr vergebenen Arbeitsstipendien der Berliner Landesregierung für Comickünstler bekommen. Acht Monate lang erhält er monatlich 2000 Euro. „In den letzten zehn Jahren habe ich am absoluten Existenzminimum gelebt“, sagt Ross, der eine Zeit lang in Friedrichshain gewohnt hat und von der dortigen Punk- und Hausbesetzerszene fasziniert war. Diese Erfahrungen hat er in seinem vor fünf Jahren erschienenen Band „Lauter leben!“ verarbeitet. Dank der Förderung seiner Kunst könne er „nun zum ersten Mal ein wenig durchatmen.“

Sieger-Projekt: Eine Seite aus der Bewerbung von Mikael Ross, sein Vorhaben trägt den Arbeitstitel "Das erste Jahr".
Sieger-Projekt: Eine Seite aus der Bewerbung von Mikael Ross, sein Vorhaben trägt den Arbeitstitel "Das erste Jahr".
© Ross

Trotzdem: Bald ist der Abgabetermin für sein neues Comic-Projekt mit dem Arbeitstitel „Daheim“, das um die 100 Seiten dick sein wird, erzählt er. „Um die 1800 Stunden Arbeit stecken in so einem Comic.“ Und da sei der Schreibprozess noch gar nicht mit eingerechnet. Denn anders als bei seinen beiden letzten Comics zeichnet er dieses mal nicht nur, sondern er schreibt auch die Geschichte selbst.

Wenn man nicht gerade Ralf König heißt, hat man es als Comickünstler in Deutschland immer noch schwer. Sogenannte Graphic Novels bekommen inzwischen zwar eine gewisse Aufmerksamkeit auch seitens des Feuilletons, liegen in Buchläden aus, doch im Vergleich zu Frankreich oder Belgien ist Deutschland weiterhin Comic-Entwicklungsland. Immerhin sei die Comicszene in Berlin sehr lebendig und vielfältig, so Ross.

Seinen ersten Comic veröffentlicht hat der 1984 in München geborene Ross bereits vor zehn Jahren. Damals studierte er noch an der Kunsthochschule Weißensee. „Herrengedeck“ hieß das Werk, das er im Eigenverlag herausbrachte. Ross kramt ein Exemplar seines Erstlings heraus, auf dem eher krakelige Zeichnungen zu erkennen sind, vor allem im Vergleich zu „Totem“, seinem aktuellsten und auch ambitioniertestem Werk, bei dem auf jedem Panel zu erkennen ist, was für ein handwerklich ausgereifter Zeichner Ross inzwischen ist.

Einfachheit ist auch eine Kunst

Es sei ihm mit „Herrengedeck“ auch mehr darum gegangen, für sich selbst zu sehen, ob er das überhaupt könne, nicht nur Figuren und Bilder zu zeichnen, sondern auch Szenarien zu entwickeln, Geschichten zu erzählen, erklärt er. An der Brüsseler Hochschule ESA Saint-Luc hat er nach diesem ersten Gehversuch noch ein Jahr lang Comic studiert und dort den belgischen Szenaristen Nicolas Wouters kennengelernt.

Zusammen kreierten die beiden dann die bereits erwähnten Comics „Lauter leben!“ und „Totem“. Beide erzählen Coming-of-Age-Geschichten mit vertrackten Plot-Wendungen und wurden – was für Comics von einem deutschen Zeichner ziemlich ungewöhnlich ist – zuerst bei einem französischen Verlag veröffentlicht, bevor sie auch in Deutschland erschienen. Von „Totem“ seien, sagt Ross, um die 4000 Exemplare allein in Frankreich verkauft worden, was ein echter Erfolg für einen nicht sehr bekannten Comic-Künstler ist.

Das aktuelle Projekt von Ross, der schon als Kind vor allem franko-belgische Comics verschlungen hat, wie er sagt, und der als größte Vorbilder die beiden französischen Comicautoren Christoph Blain und Christian Hincker alias Blutch angibt, ist in mehrerer Hinsicht anders als die vorherigen. Nicht nur, dass der Berliner nun selbst auch Szenarist ist, er sitzt zudem an einer Art Auftragsarbeit, was für ihn Neuland sei.

Der Vorstand einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung im niedersächsischen Neuerkerode sei Comicfan und habe Ross angetragen, zum 150. Jubiläum der Einrichtung einen Comic über Neuerkerode und seine 700 Bewohner zu verfassen. Deswegen ist der Künstler im letzten Jahr mehrfach dort gewesen, habe Kontakte mit den Menschen geknüpft und versucht, sie samt ihrer Eigenheiten besser kennenzulernen.

Die Geschichte, die er nun entwickelt, soll, auch im Vergleich zu seinen letzten Werken, relativ einfach erzählt werden, weil er sich wünscht, dass sie von seinen Lesern in Neuerkerode problemlos verstanden wird. Aber Einfachheit hinzubekommen und dabei Trivialität zu vermeiden ist auch eine Kunst. Zur Not hilft dann vielleicht ein Blick auf Donald Duck an seiner Wand und die Erinnerung an dessen Abenteuer aus der Feder von Carl Barks, einem Meister in dieser Disziplin.

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