Plagiatsvorwürfe gegen Familienministerin: Wo es für Franziska Giffey eng wird
Die FU Berlin prüft die Doktorarbeit von Familienministerin und SPD-Hoffnungsträgerin Giffey. Für einen Freispruch bräuchte die Kommission gute Argumente.
In der SPD geht die Sorge um, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) werde angesichts des schweren Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens bald zurücktreten müssen. Wie ist der Stand der Dinge?
Die Vorwürfe gegen Giffey
Im Februar wurden Vorwürfe von der Plagiatsplattform „VroniPlagWiki“ gegen Giffeys Doktorarbeit laut. Giffey war im Jahr 2010 mit einer Arbeit zu „Europas Weg zum Bürger“ am Fachbereich Politikwissenschaft der Freien Universität promoviert worden. „VroniPlagWiki“ ist mit seiner Auswertung der Arbeit noch nicht ganz fertig, moniert aber bereits 96 Stellen als plagiiert. Diese befinden sich auf 62 der insgesamt 205 Seiten, was einem Anteil von 30,2 Prozent der Seiten entspricht. Da wenige Seiten komplett plagiiert sind und es sich oft um eher kürzere Passagen handelt, sind laut der VroniPlag Wiki-Dokumentation insgesamt fünf Prozent des Textes betroffen
Dabei ist ein Muster besonders häufig anzutreffen. Giffey lässt nicht etwa Quellen weg, um den Eindruck zu erwecken, die Sätze stammten von ihr selbst. Vielmehr führt sie unablässig Quellen an, oft schon nach einem Satz, am Ende eines Absatzes häuft sie immer wieder Autorennamen. Allerdings stehen diese Quellen oft in gar keinem Zusammenhang zu ihrem Text. Warum könnte Giffey so vorgegangen sein? Vermutlich wollte sie den Eindruck erwecken, weit mehr Forschungsliteratur gelesen zu haben, als dies tatsächlich der Fall war.
So definiert Giffey den Begriff „Zivilgesellschaft“ und nennt dafür als Quelle drei verschiedene Veröffentlichungen von drei verschiedenen Autoren. Doch dass sie ihre Definition nicht eigenständig aus dem Material abgeleitet hat, sondern aus einem vierten, dort nicht genannten Werk schöpft, das sich ebenfalls auf die von Giffey verwendeten Quellen bezog, verschweigt sie. An anderen Stellen erwähnt sie die Originalquelle einige Absätze vorher, manchmal übernimmt sie daraus auch Fehler. Zudem gibt es auch einige wenige Stellen, an denen sie komplett plagiiert, ohne überhaupt eine Quelle zu nennen: indem sie etwa Auszüge aus einem Wikipedia-Eintrag über „Deliberative Demokratie“ übernimmt.
Wie ernst es um Giffeys Doktor steht
Peter Grottian, selbst früher Politikprofessor an der FU, hält den Fall Giffey zwar nicht für so gravierend wie den Fall Guttenberg, aber für gravierender als den Fall Schavan. Für Schavans Verfehlungen hätte auch eine Rüge gereicht, meint Grottian in einem Beitrag für die „SZ“. Giffey liege aber deutlich darüber, sollte also sofort zurücktreten.
Allerdings legt Grottian falsche Maßstäbe an. Denn die bloße Quantität von plagiierten Passagen spielt in solchen Verfahren keine Rolle – bis auf eine Bagatellgrenze. „Eine halbe Seite ohne Quellenangabe würde reichen, um den Doktorgrad abzuerkennen“, sagt Klaus F. Gärditz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Wenn es sich dabei um einen „schwierigen Grenzfall“ handle, bei dem etwa im ersten Satz von fünf abgeschriebenen Sätzen die Quelle noch richtig genannt sei, könne eine Kommission natürlich Milde walten lassen. Prinzipiell werde man sich aber daran orientieren, ob die Zitierstandards eingehalten wurden. Diese seien transparent und von Fach zu Fach im Wesentlichen dieselben.
Gegen diese Standards hatte Schavan massiv, nämlich in 60 Passagen, verstoßen. Als Schavan gegen die Aberkennung ihres Doktors klagte, erlitt sie vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht denn auch eine Niederlage auf ganzer Linie. Das Gericht hielt es angesichts der von der Uni zahlreichen beanstandeten Stellen für erwiesen, dass Schavan vorsätzlich getäuscht hatte. Von einem „Grenzfall“ oder einem leichten Fall kann darum überhaupt nicht die Rede sein. Dass es bis heute Professoren wie Grottian gibt, die das behaupten, zeigt, dass nicht alle Wissenschaftler die Wissenschaft ernst nehmen – und damit Qualitätsprobleme und Fehlverhalten zum Schaden der Wissenschaft relativieren. Plagiate sind als „schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren“, haben die Richter im Fall Schavan erklärt. Auch müssten „diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben“ haben, „vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden“.
Allerdings begnügen sich die Fakultäten oft sogar in schweren Fällen mit Rügen, hat der Plagiatsexperte Gerhard Dannemann einmal festgestellt: „Kollegen tut man nicht gerne weh.“
„Die Voraussetzungen für den Doktorgrad liegen dann nicht vor“
Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen durfte ihren Doktorgrad behalten. Im März 2016 monierte die Medizinische Hochschule Hannover zwar 32 Plagiate unterschiedlicher Schwere, doch der Hauptteil ihrer Arbeit sei nicht zu beanstanden. Diese Begründung, wonach für eine Einleitung eines wissenschaftlichen Textes andere Maßstäbe gelten sollen als für andere Teile, stieß damals in der scientific community durchaus auf Kritik.
Die Kommission an der FU könnte Giffey jedoch mit dem gleichen Argument freisprechen: Die von VroniPlagWiki dokumentierten Stellen befinden sich im ersten Teil der Arbeit, in dem Giffey ihre Terminologie unter Rückgriff auf die Forschung klärt. Damit würde die Kommission aber eine höchst fragwürdige Entscheidung treffen. „Wenn jemand nur simuliert, dass er sich in ausführlicher Quellenarbeit mit der Forschung auseinandergesetzt hat, ist das zwar kein Plagiat, aber wissenschaftliches Fehlverhalten und zugleich eine Täuschung“, sagt der Jura-Professor Gärditz. „Die Voraussetzungen für den Doktorgrad liegen dann nicht vor.“
Will die FU die herrschenden wissenschaftlichen Standards hochhalten, müsste sie Giffey den Doktorgrad also entziehen.
Giffey könnte klagen
Sollte ihr der Grad aberkannt werden, könnte Giffey dagegen natürlich klagen. Doch Gärditz kennt keinen einzigen Fall, bei dem das Gericht die Expertise der Hochschule angezweifelt hat. Bestenfalls könnte einer Uni ein Verfahrensfehler unterlaufen sein, der ihr Urteil hinfällig macht. Doch dann könnte sie das Verfahren noch einmal sauber durchführen. Giffey hätte vor Gericht keine guten Chancen.
„Giffey kann ihren Doktor zurückgeben“
Der Politikprofessor i.R. Peter Grottian hat Giffey in der „SZ“ empfohlen, angesichts der schweren Hinweise zurückzutreten und die FU darum zu bitten, „die Aberkennung ihres Doktorgrades einzuleiten“. Damit könne Giffey ihre politische Karriere vor weiterem Schaden bewahren.
Allerdings führt Grottians Tipp in die Irre. Denn die FU kann Giffey den Grad nicht auf eine Bitte der Ministerin hin aberkennen. „Diesen Trick haben viele versucht“, sagt Gärditz. Die Promotion sei aber ein Verwaltungsakt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden könne – es sei denn, es stellt sich heraus, dass er nicht hätte vollzogen werden dürfen, eben im Falle wissenschaftlichen Fehlverhaltens.
Was Giffeys Bitte um Überprüfung bedeutet
Als Recherchen von VroniPlagWiki öffentlich wurden, bat Giffey die FU, ihre Arbeit zu prüfen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, hat Giffey dafür gelobt. Und die FU erklärte in ihrer Mitteilung, sie werde Giffeys Bitte nachkommen.
Tatsächlich müsste die FU die Dissertation aber auch ohne Giffeys Bitte prüfen. Denn bei der Promotion handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Gibt es genug Hinweise darauf, dass ein Verwaltungsakt womöglich zu Unrecht zustande gekommen ist, muss die Behörde, die ihn vollzogen hat – also die FU –, dies prüfen und den Verwaltungsakt gegebenenfalls aufheben.
Das Niveau einer Doktorarbeit
„Kern der Promotion ist die eigene, selbstständige und originäre Forschungsleistung, die zum Erkenntnisfortschritt im jeweiligen Fach beiträgt“, hat der Wissenschaftsrat im Jahr 2011 einmal mehr betont. Dem würde wohl auch die überwältigende Zahl aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zustimmen. Trotzdem gibt es Fachkulturen, bei denen dieser Satz weniger gilt als in anderen. Vor allem in der Humanmedizin wird im Allgemeinen keine anspruchsvolle Forschungsarbeit erwartet. Aber auch innerhalb der Fächer gibt es beim Niveau der Arbeiten enorme Unterschiede – je nachdem, was einzelne Professorinnen und Professoren von ihren Doktoranden verlangen.
Über das Niveau von Giffeys Arbeit haben sich Professoren bereits öffentlich abfällig geäußert. Allerdings ist die inhaltliche Qualität von Giffeys Arbeit für das laufende Verfahren völlig irrelevant. Es geht allein um die Frage, ob die Ministerin wissenschaftliches Fehlverhalten begangen hat. Anders als der Politologe Grottian behauptet, wird sich die Kommission an der FU also auch nicht darüber austauschen, ob die Arbeit mit der zweitbesten Note „magna cum laude“ hätte bewertet werden dürfen.
Grottian meint auch, Giffeys Doktormutter Tanja Börzel habe Giffeys Doktorarbeit nicht annehmen dürfen, weil Giffey dort ihr eigenes Arbeitsfeld als Europabeauftragte des Bezirksamts Neukölln als Fallstudie gewählt hatte. „Wer selbst Akteurin ist, über das eigene Gebiet schreibt, ist befangen und geht damit unwissenschaftlich an seinen Gegenstand heran“, meint Grottian.
Kaum Forschung zu Giffeys Thema
Dem widerspricht Armin Schäfer, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft, wobei er betont, dass er sich nicht direkt zu Giffeys Arbeit äußern wolle. Persönliches Engagement sei eine typische Herangehensweise nicht nur in den Gesellschaftswissenschaften. Die Frage sei, wie die Thematik dann bearbeitet werde und „ob man die nötige Distanz zum Gegenstand aufbringt“. Ferner komme es darauf an, „zu begründen, inwiefern das untersuchte Feld stellvertretend ist für ein Set an Problemen, die der wissenschaftlichen Untersuchung wert sind“.
Ähnlich denkt auch Stephan Rixen, Sprecher des Gremiums „Ombudsman für die Wissenschaft“ bei der DFG: Gegen ein Thema aus dem eigenen beruflichen Feld sei nichts einzuwenden – vorausgesetzt, dass der Doktorand oder die Doktorandin bei einem solchen Thema noch die nötige kritische Distanz aufbringt, die für wissenschaftliches Arbeiten entscheidend ist.
Laut Schäfer habe es Ende der 2000er Jahre, als Giffey ihre Arbeit schrieb, über Unterschiede in der Wahlbeteiligung und in der politischen Partizipation noch kaum Forschung gegeben.
Wie es weitergeht
Die FU hat im Februar ein fünfköpfiges Gremium zur Überprüfung der Vorwürfe eingesetzt, teilt die Uni mit. Das Gremium entspreche einer Promotionskommission und wurde vom Promotionsausschuss des Fachbereichs Politikwissenschaft eingesetzt. Man folge damit den Vorgaben des Berliner Hochschulgesetzes. Giffey darf Stellung nehmen. An der FU kursiert das Gerücht, das Gremium habe externe Gutachter zurate gezogen. Aber ob das stimmt? Damit könnte sich die FU zwar entlasten. Die Kommission könnte sich dem Urteil der Externen einfach anschließen. Inhaltlich scheint der Fall aber keineswegs so komplex, als dass externer Rat nötig wäre. Zum Schluss entscheidet die Unileitung auf der Basis eines Vorschlages des prüfenden Gremiums, auch das sieht das Berliner Hochschulgesetz so vor.
Zur Länge des Verfahrens teilt die FU mit, eine zeitliche Einschätzung sei derzeit nicht möglich. Als die FU dem Berliner CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Steffel den Doktortitel entzog, dauerte das Verfahren rund 14 Monate. Bei Annette Schavan lagen zwischen dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe und dem Titelentzug zehn Monate.