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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
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Update

Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsministerin: Ursula von der Leyen darf Doktortitel behalten

Ursula von der Leyen darf ihren Doktortitel behalten. Das entschied der Senat der Medizinischen Hochschule Hannover. Plagiatssucher kritisieren die Entscheidung.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen darf ihren Doktortitel behalten. Das entschied der Senat der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) am Mittwoch mit sieben Stimmen. Ein Mitglied des Gremiums stimmte für die Aberkennung, eines enthielt sich. Das gab MHH-Präsident Christopher Baum am Mittwochabend bekannt.

Zunächst klang das Urteil über die Doktorarbeit Leyens, das der MHH-Präsident vor der Presse verkündete, noch verheerend. „Klare Mängel im Wesentlichen in der Einleitung“ habe man festgestellt, sagte Baum, „Fehler, für die sie als Autorin verantwortlich ist“. Leyen habe fremde Textpassagen übernommen, ohne diese als Übernahmen korrekt zu kennzeichnen.

Die MHH sieht keine Täuschungsabsicht

Dennoch folgte der Akademische Senat der MHH der Mitte Februar ergangenen Empfehlung der Kommission für Gute Wissenschaftliche Praxis, Ursula von der Leyen „den Titel nicht abzuerkennen“. Entlastet wird die heutige Bundesverteidigungsministerin aus Sicht der Uni durch zwei Umstände. Zum einen spreche das „Muster der Plagiate“ in der Einleitung der Arbeit „nicht für eine Täuschungsabsicht“. Der Kernsatz im Statement des MHH-Präsidenten dazu lautete: „Es geht um Fehler, nicht um Fehlverhalten.“ Zum anderen würdigte Baum die im Hauptteil der Arbeit dargelegten Ergebnisse. Diese seien „wissenschaftlich neu, valide und von praktischer Relevanz“ für die Geburtsmedizin.

Leyen wurde 1991 mit einer Dissertation aus dem Bereich der Frauenheilkunde promoviert. In ihrer Arbeit befasste sie sich damit, ob sich das Infektionsrisiko für das Ungeborene erhöht, wenn die Gebärende trotz eines vorzeitigen Sprungs der Fruchtblase ein Entspannungsbad nimmt. Auch die Umstände, unter denen Leyen die Studie an Patientinnen durchführte, waren im Zuge der Plagiatsaffäre infrage gestellt worden.

Hier entlasten die MHH und externe Gutachter ihre ehemalige Doktorandin vollständig. Vorwürfe, Leyen habe bei der Behandlung der Patientinnen ethische Grundsätze verletzt, seien „eindeutig ausgeräumt“, sagte MHH-Präsident Baum. Thomas Werfel, Ombudsperson der MHH, führte zu diesem Punkt aus, die Patientinnen seien über den Sinn und Zweck der Untersuchungen aufgeklärt worden, ebenso hätten sie frei wählen können, welcher Studiengruppe sie angehören wollten. Diese Erkenntnisse – unter anderem aus der Befragung Leyens – seien durch externe Gutachter bestätigt worden, sagte Werfel.

32 Plagiate wurden bestätigt

Von den 47 Plagiaten, die die Experten von „Vroniplag Wiki“ in der 62-seitigen Arbeit beanstandet hatten, haben die Gutachter indes nur 15 verworfen, wie Werfel erklärte. 32 wurden bestätigt, acht davon als Plagiate mit „geringer Bedeutung“, 21 mit „mittelstarker“ und drei mit „starker Bedeutung“. Insgesamt hat die MHH auf knapp zwanzig Prozent der 62 Seiten der Arbeit Plagiate festgestellt. Der überwiegende Teil davon sei auf eine „handwerklich nicht saubere Arbeitsweise“ zurückzuführen, sagte Werfel. Der „unterschiedliche Charakter“ der Verstöße spreche für ein „nicht systematisches“ Vorgehen. Zudem seien „im zentralen Ergebnisteil“ der Arbeit keine Mängel festgestellt worden.

Leyens „handwerklichen Fehlern“ maß MHH-Präsident Baum durchaus Bedeutung für die Qualität medizinischer Doktorarbeiten insgesamt zu. Ein solches Vorgehen sei „ein Problem in medizinischen Promotionen, dem müssen wir uns stellen“, sagte er.

Aus der Sicht der MHH geht Leyen aus der Plagiatsaffäre gleichwohl unbeschadet hervor. In anderen Fällen, in denen Plagiate festgestellt, der Doktorgrad aber nicht aberkannt wurde, haben Universitäten Rügen erteilt. Nicht so bei Leyen. Die Kommission empfiehlt, die Hochschule solle ihr mitteilen, dass ein „Verstoß gegen Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis“ festgestellt worden sei, „und „den Schweregrad der Mängel erläutern“ – mehr nicht. Das für sie insgesamt positive Gutachten wurde der Ministerin bereits am 17. Februar zugesandt, an dem Tag, an dem die Kommission es der Hochschulleitung übergeben hat, sagte Ombudsmann Werfel. Vom gestrigen Senatsbeschluss erfuhr Leyen per E-Mail, weil sie – wegen eines Aufenthalts an der Universität von Stanford – „persönlich nicht erreichbar“ gewesen sei.

Leyen gibt jetzt Fehler zu

Als der Plagiatsvorwurf Ende September vergangenen Jahres öffentlich bekannt wurde, hatte Leyen Fehler noch abgestritten. In einem schriftlich verbreiteten Statement gab Leyen am Mittwochabend zu: „Teile meiner damaligen Arbeit entsprechen nicht den Maßstäben, die ich an mich selber stelle.“ Sie sei aber „froh, dass die Universität nach eingehender Prüfung zum Schluss gekommen ist, dass meine Experimente für die medizinische Forschung relevant waren und die Arbeit insgesamt die wissenschaftlichen Anforderungen erfüllt“.

Unter den Plagiatssuchern von „VroniPlag Wiki“ herrschte am Mittwoch Unverständnis über die Entscheidung. So hält Gerhard Dannemann, Jura-Professor an der Humboldt-Universität, die Begründung der MHH für problematisch. „Sie stellt Plagiate fest, das soll aber kein Fehlverhalten sein: Das ist ein Widerspruch in sich“, sagte Dannemann dem Tagesspiegel auf Anfrage. Es widerspreche auch geltendem Recht, bei 32 festgestellten Plagiaten auf 62 Seiten ein systematisches Vorgehen pauschal zu verneinen. Vielleicht habe die MHH sich für „diese Verbiegung der Rechtslage“ entschieden, um ihre Betreuung und Leyen vor Kritik zu schützen. „Es ist nicht davon auszugehen, dass Leyen gegen die Entscheidung klagen wird.“ Dass die Uni einen „wissenschaftlichen Kern“ der Arbeit von den Plagiaten abspalte, sei ebenfalls mit der geltenden Rechtsprechung nicht vereinbar.

Die Kommission für Gute Wissenschaftliche Praxis der MHH hatte sich nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe seit Ende September 2015 mit Leyens Arbeit befasst – unterstützt von einem Hochschulrechtler und externen Gutachtern, darunter zwei internationale Experten. In zehn Kommissionssitzungen zwischen Oktober und Februar seien unter anderem Leyen, ihr damaliger Betreuer und der leitende Oberarzt befragt worden. Die Arbeit sei „sorgfältig, objektiv, ergebnisoffen und ohne Ansehen der Person“ überprüft worden, betonte MHH-Präsident Baum.

Die Vorwürfe gegen Leyen machte "VroniPlag Wiki" öffentlich

Die Plagiatsvorwürfe machte Ende September 2015 das Portal „VroniPlagWiki“ öffentlich. Plagiate sind wörtliche oder sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich gemacht sind. Geprüft hatte die Dissertation für "VroniPlag Wiki" unter anderem der Plagiatssucher mit dem Pseudonym „Robert Schmidt“, der auch schon die Plagiate in der Doktorarbeit von Annette Schavan öffentlich gemacht hatte. Aktuell beanstanden die Aktivisten 43 Stellen auf 27 Seiten. Da die Arbeit insgesamt 62 Seiten lang ist, sind also 43 Prozent betroffen.  Sechs Seiten sind demnach zu mehr als drei Vierteln plagiiert, auf fünf Seiten besteht mehr die Hälfte des Textes aus Plagiaten. Im Hauptteil der Arbeit sind nach konservativer Schätzung von „VroniplagWiki“ 15 Prozent des Textes betroffen.

Kanzlerin Angela Merkel hatte sich unmittelbar vor der Veröffentlichung des Entscheids hinter die Verteidigungsministerin gestellt. Auf die Frage, ob die Ministerin auch ohne Doktortitel noch das Vertrauen der Kanzlerin habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin: „Selbstverständlich. Die Ministerin ist eine hervorragende Verteidigungsministerin, was man gerade in diesen Tagen wieder beim Zustandekommen der Nato-Aktivitäten in der Ägäis gesehen hat.“

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