Unis erwarten Flüchtlinge aus der Ukraine: „Wir brauchen mehr als nur Stipendien“
Die Europa-Uni in Frankfurt (Oder) diskutiert über das deutsche Ukraine-Bild und die Aufnahme von Kollegen. Bundesweit entstehen Programme - auch für Russen.
„Es ist so unendlich wenig, was wir als Europa-Universität Viadrina tun können“, sagt Julia von Blumenthal, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Und doch ist die Viadrina nicht nur geografisch am nächsten dran am Krieg in der Ukraine. Zu ihren Partneruniversitäten gehört die von Charkiw, die bereits von russischen Raketen schwer beschädigt wurde.
Die Viadrina hat eine größere Gruppe von 150 ukrainischen Studierenden und Mitarbeitenden. Sie verfügt über die bundesweit einzige Professur für Ukrainische Geschichte. Und sie bereitet, wie viele andere Hochschulen auch, Programme vor, um geflüchtete Ukrainer:innen aufzunehmen.
Was die Europa-Universität außerdem tut: Menschen in der Ukraine „in dieser unfassbaren Situation zuzuhören und mit ihnen direkt zu sprechen“, wie Julia von Blumenthal jetzt zum Auftakt einer Zoom-Veranstaltung sagte. Offiziell sollte es um „Das Ukraine-Bild in Deutschland und die Ukraine-Forschung in Krisenzeiten“ gehen. Aus dem Land selbst zugeschaltet war indes ein Doktorand der Viadrina aus Kiew, dessen existenzielle Krise als junger Vater in einer von feindlichen Truppen umzingelten Stadt größer kaum sein könnte.
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Gerade habe er seine Frau und seine Eltern überreden können, mit den Kindern die Ukraine in Richtung Deutschland zu verlassen, berichtet der Doktorand. Sein Name soll zu seinem Schutz nicht genannt werden. Die Abreise der Familie steht unmittelbar bevor. Er bleibt, muss bleiben, will bleiben.
Komplexe Geschichte auf "Nationalismus" reduziert
Dass Deutschland jetzt so bereitwillig ukrainische Flüchtlinge aufnimmt, dafür sei er selbstverständlich dankbar, sagt der junge Philosoph, der in Kiew Deutsch unterrichtet. Doch um zu einem grundsätzlich anderen, neuen Verhältnis zur Ukraine zu kommen – „nicht nur für die nächsten Tage und Wochen, sondern für die nächsten Jahrzehnte“ -, müssten noch viele Vorurteile überwunden werden. „Sie sitzen sehr tief und kommen auch bei positiven Dingen zum Vorschein.“
Was der Doktorand nur andeutet, spricht Andrii Portnov, Professor für Entangled History of Ukraine“ (Verflechtungsgeschichte der Ukraine) an der Viadrina, klar an: Die Ukraine werde immer im Zusammenhang mit Russland gesehen, auch wissenschaftlich, etwa als Teil der Osteuropakunde. Ihre komplexe, faszinierende und vielschichtige Geschichte werde auf den Begriff des „Nationalismus“ reduziert und die religiöse und sprachliche Vielfalt als „Spaltung“ beschrieben.
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„Das Bild der Ukraine in Deutschland ist von einigen grundlegenden Klischees geprägt, die endlich zur Grundlage eines ehrlichen und kritischen Gesprächs werden müssen“, fasst Portnov zusammen. So sei es an der Zeit, die ukrainischen Ortsnamen ernst zu nehmen: Wer darauf bestehe, dass es Kyiv und Dnipro heißen müsse statt Kiew und Dnepr hätte noch vor kurzem zu hören bekommen, das sei nationalistisch.
"Wir brauchen Lehrstühle und Stellen"
Es habe bittererweise des russischen Krieges gegen die Ukraine bedurft, damit „die ukrainischen Kollegen als gleichberechtigte Stimmen gehört werden“, sagt Portnov und appelliert: Jetzt, da die große Fluchtbewegung aus der Ukraine gen Westen zweifellos auch viele Forschende nach Deutschland bringen würde, brauche es „strategische Lösungen“ in Richtung einer umfassenden Ukraineforschung. „Wir brauchen nicht nur Stipendien, wir brauchen Lehrstühle und Stellen.“
Eine Stimme, die bei der Viadrina-Veranstaltung ebenfalls für ein vertieftes Verständnis gegenüber der ukrainischen Kultur und Geschichte warb, war die der Grünen-Politikerin Rebecca Harms. Sie ist seit Jahrzehnten zivilgesellschaftlich in und für die Ukraine engagiert und warnt: „Wenn jetzt sehr viele gut ausgebildete Leute, Wissenschaftlerinnen, Journalisten zu uns kommen, müssen wir aufpassen, dass sie in ihren Berufen, in deutschen Unis, in den Medien arbeiten können.“ Bisher sei die „Offenheit, Ukrainer:innen direkt einzubeziehen und sprechen zu lassen, sehr schwach ausgeprägt“.
Annette Werberger, Professorin für Osteuropäische Literaturen an der Viadrina und Moderatorin der Veranstaltung, machte deutlich, dass es mit Blick auf Russland als bislang bestimmender Forschungsrichtung eine gemeinsame Hoffnung gebe: „Jungen Ukrainisten hoffen ebenso wie ich als Slawistin auf eine Dekolonisierung der Osteuropa-Studien.“
Nothilfefonds für ukrainische Studierende
Wissenschaftlich ist also noch vieles zu tun, auch wenn in allernächster Zeit die Nothilfe für Geflüchtete im Vordergrund stehen wird. Die läuft bereits in vielen Hochschulen und Forschungsinstituten und ihren Dachorganisationen an. Und das nicht nur mit Blick auf die Ukraine, sondern auch auf Russland.
An der Viadrina etwa werden konkret für ankommende ukrainische Geflüchtete Studienvorbereitungskurse erweitert, Studienplätze angeboten und in Kooperation mit dem Studentenwerk Unterkünfte organisiert, teilt die Europa-Universität mit. Berliner Hochschulen, darunter die Technische Universität und die Humboldt-Universität, haben angekündigt, Nothilfefonds für ukrainische Studierende aufzulegen.
„Wir werden unsere ukrainischen Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen nicht alleine lassen“, erklärte Yoan Vilain, Beauftragter des HU-Präsidiums für Internationales und Europa. Die drei großen Berliner Universitäten und die Charité wollten ihre Angebote in der Berlin University Alliance bündeln. Alles sei eng mit den Wissenschaftsorganisationen und insbesondere mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) abgestimmt.
Materieller Austausch gestoppt, Kommunikation bleibt
Der DAAD hat Anfang März ein Unterstützungsprogramm der Bundesregierung für die deutschen Hochschulen zur Integration von Studierenden, Forschenden und Lehrenden aus der Ukraine angemahnt. „Wenn wir uns einen längeren Krieg in der Ukraine oder ein umfassendes russisches Besatzungsregime im Land vorstellen, müssen wir mit einer sehr großen Zahl an Ukrainerinnen und Ukrainern rechnen, die zu uns kommen werden und um die wir uns kümmern werden“, erklärte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. Zuvor hatte der DAAD bereits klargestellt, dass hier studierende Russ:innen und auch Forschende aus Russland von den wissenschaftlichen Sanktionen gegen die Russische Föderation nicht betroffen seien.
Zumindest bei der Alexander von Humboldt-Stiftung gibt es schon konkrete Überlegungen zu Hilfsprogrammen – sowohl in Richtung Ukraine als auch in Richtung Russland. „Durch den Krieg oder aus politischen Gründen bedrohten Forschenden wird unbürokratische Unterstützung und Zuflucht geboten“, heißt es. Mit Russland sei der institutionelle und materielle Austausch gestoppt, „die Kommunikation wird jedoch fortgesetzt“.
Aktuell Geförderten – derzeit sind acht aus der Ukraine und 31 aus Russland mit der AvH-Stiftung in Deutschland – sowie ehemals geförderten Alumni (750 in Russland, über 100 in der Ukraine) bietet die Stiftung Stipendienverlängerungen und Sonderregelungen für Alumniaufenthalte an.
Hilfe für kritische Russen, die bedroht sind
Dies gelte auch für Geförderte aus Russland, „die etwa wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Krieg bedroht sind“. Für Fellowships der Philipp Schwartz-Initiative, auf die sich gefährdete und geflüchtete Forschende aus der Ukraine bewerben können, wurde die Bewerbungsfrist wegen des Krieges in dieser Runde bis zum 18. März verlängert und das Nominierungsverfahren, in dem die aufnehmende Einrichtung vorher feststehen muss, vereinfacht.
Die Alexander von Humboldt-Stiftung beziffert bereits die zusätzlichen Kosten für diese und weitere geplante Programme. Der Bedarf werde bei mindestens 23 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre liegen. „Schnelle und flexible Hilfe für die ukrainischen Wissenschaftler*innen ist jetzt genauso wichtig wie ein Signal an die russische Führung, dass wir solidarisch mit der Ukraine sind und die russische Aggression scharf verurteilen“, erklärte Stiftungspräsident Hans-Christian Pape.
Gleichzeitig wolle man russische Forschende, „die sich mutig gegen den Krieg stellten und sich gegen das Vorgehen der russischen Regierung aussprechen“, nicht „bestrafen“. Pape betont: „Wir bieten allen Schutz und Unterstützung an, die sich für Verständigung und Kooperation engagieren.“
Auch die Volkswagen-Stiftung erweitert ihr Stipendienprogramm, das es bisher schon für Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und der Türkei gab. Für die Zeit von sechs bis zwölf Monaten können Promovierende beziehungsweise Promovierte aus der Ukraine monatliche Stipendien in Höhe von 1500 beziehungsweise 2100 Euro beantragen.
Russische Rektoren stellen sich hinter Putin
Während sich wie berichtet viele Tausend russische Akademiker:innen, darunter mittlerweile auch 3500 Alumni der Moskauer Lomonossow-Universität, gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine positioniert haben, schlägt eine Erklärung der russischen Hochschulrektoren einen ganz anderen Ton an.
„Es ist die Entscheidung Russlands, die achtjährige Konfrontation zwischen der Ukraine und dem Donbas endlich zu beenden, die Entmilitarisierung und Entnationalisierung der Ukraine zu erreichen und sich damit vor wachsenden militärischen Bedrohungen zu schützen“, heißt es in einem Schreiben der Rossijkskij Sojuz Rektorov. Erstunterzeichner ist Wiktor Antonowitsch Sadownitschij, Rektor der Lomonossow-Universität.
Der Brief, der sich wie eine Warnung vor weiteren Antikriegsappellen und Solidaritätsadressen an die Ukraine liest, endet mit dem Aufruf, sich „wirksam um unseren Präsidenten scharen, unserer Jugend ein Beispiel für Optimismus und den Glauben an die Kraft der Vernunft geben und die Hoffnung auf baldigen Frieden wecken“.
Für den Fall, dass russische Akademiker:innen, die dem Angriffskrieg kritisch gegenüber stehen, Zuflucht im Westen suchen sollten, verweist Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal auf die Programme für gefährdete Wissenschaftler:innen, wie etwa die der Philipp Schwartz-Initiative. Sie würden selbstverständlich auch für russische Forschende offen stehen. „In diesem Rahmen engagieren wir uns etwa – trotz Aussetzung aller offiziellen Beziehungen – für die Unterstützung der Opposition in Belarus und fördern gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Studierende“. Aus Russland hätten sich bisher allerdings noch keine gefährdeten Forschenden gemeldet. (Mit Kix)