Tausende Unterschriften für den Frieden: Zwei offene Briefe russischer Forscher gegen Putin
Mehr als 7000 russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler protestieren offen gegen die Regierung. Ein zweiter Brief kommt von Mathematikern.
Der Widerstand von Akademiker:innen in Russland gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine wird stärker. Den offenen Brief russischer Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten, die vor einer Woche ihren "entschlossenen Protest gegen die Militäraktionen der Streitkräfte unseres Landes auf dem Territorium der Ukraine" erklärten, hatten bis zum Freitag rund 7400 Menschen unterschrieben.
Wie berichtet distanziert sich die Gruppe vom Angriffskrieg auf die Ukraine: „Die Entfesselung des Krieges für die geopolitischen Ambitionen der russischen Führung, getrieben von zweifelhaften geschichtspolitischen Phantasien“ sei „ein zynischer Verrat“ am Gedenken an „unsere Väter, Großväter und Urgroßväter“ und ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus, heißt es unter anderem.
Auf der russischen Webseite für Nachrichten aus der Wissenschaft, „trv-science.ru“, die die Petition veröffentlichte, ist inzwischen ein zweiter Brief zu lesen, den bislang rund 350 Mathematiker:innen an Präsident Putin richten. Sie schreiben: „Unsere langfristigen Bemühungen, Russlands Ruf als führendes mathematisches Zentrum zu stärken, wurden infolge der von unserem Land initiierten unprovozierten militärischen Aggression vollständig abgewertet.“
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Zur Absage des für den Sommer geplanten internationalen Mathematiker-Kongresses in Petersburg durch westliche Wissenschaftsorganisationen heißt es: „In einer Situation, in der unser Land zu einem militärischen Aggressor und infolgedessen zu einem Schurkenstaat geworden ist, wird Russlands Führungsposition in der Weltmathematik unwiederbringlich verloren gehen.“ Verurteilt wird eindeutig der Krieg, doch der Begriff ist durch die Zensurbehörde verboten.
Indirekte Drohung aus dem Kreml?
Den Unterzeichnenden der offenen Briefe könnten für ihre Kritik an der Regierung Geld- oder Gefängnisstrafen drohen. Das machen auch die Entwicklungen in Moskau deutlich. Als Reaktion auf zivilgesellschaftliche Proteste und Aufrufe aus Kultur und Wissenschaft hat der Kreml die russische Bevölkerung am Freitag gefordert, sich hinter Präsident Wladimir Putin zu vereinen.
"Jetzt ist nicht die Zeit, um gespalten zu sein", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. "Jetzt ist es an der Zeit, sich zu vereinen. Und sich hinter unserem Präsidenten zu versammeln."
Ebenfalls am Freitag verabschiedete das russische Parlament einen Gesetzentwurf, der lange Haftstrafen und hohe Geldbußen für die "wissentliche" Veröffentlichung von "Falschnachrichten" über die russischen Streitkräfte vorsieht. Die Abgeordneten stimmten zudem für Strafen bei "Aufrufen zur Verhängung von Sanktionen gegen Russland".
Russische Studierende bekennen sich zu europäischen Werten
Unterdessen haben sich auch russische Studierende an deutschen Hochschulen mit einer Petition an die deutsche Regierung und Gesellschaft gewandt. "Als Allererstes wollen wir unsere Unterstützung für das ukrainische Volk bekunden. Sie stehen gerade einer Katastrophe gegenüber, die uns allen im 21. Jahrhundert undenkbar zu sein schien."
"Es kann keine Rechtfertigung für diesen Krieg geben", heißt es in dem Schreiben auf change.org, das am Freitagnachmittag zunächst 87 Personen unterschrieben hatten, darunter auch Studierende der Humboldt-Universität zu Berlin, wie aus der Uni zu hören ist.
Die Regierung der Russischen Föderation handele "gegen die Interessen der russischen Gesellschaft und diese Taten stehen im Widerspruch zu unseren Werten und Überzeugungen", schreiben die Studierenden. Sie bekennen sich zu den "europäischen kulturellen Werten und Ansichten". Dass sie sich in Deutschland "in einem Land zu befinden, wo wir unsere Meinung frei äußern dürfen", wüssten sie zu schätzen.
Die Studierenden wollen mit dem Brief auch ihre Solidarität mit ihren Mitbürgern ausdrücken, "die ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel setzen, indem sie sich auf russischen Straßen und Plätzen Antikriegsdemonstrationen anschließen".