660 Millionen für Berlins Naturkundemuseum: Wie das Naturkundemuseum die Millionen investieren will
Was macht das Naturkundemuseum mit 660 Millionen Euro? Geplant ist ein völlig neuer Auftritt der alten Sammlung - und ein Ausweg aus der versteckten Lage.
Die Geweihsammlung des Berliner Museums für Naturkunde wurde 1942 ins Souterrain eingelagert. Dort überstand sie die Bombenangriffe, während rundherum schwere Treffer Teile des Museums zerstörten. Wie Museumsangestellte das Notquartier der vorwiegend aus dem südlichen Afrika stammenden Geweihe 1945 sicherten, ist noch heute zu sehen. Die rund 3500 Objekte hängen in den Kellerräumen an der derselben Konstruktion aus Holzpfählen und Metallschienen, die sie gemeinsam mit Soldaten der sowjetischen Armee zusammenzimmerten.
Bald soll die verwunschene Hörnersammlung ihren Luftschutzkeller im Nordbau verlassen können. Sie gehört zu den bislang nicht öffentlich zugänglichen Sammlungen, die das Naturkundemuseum mit einer Investition von 660 Millionen Euro vom Bund und vom Land Berlin zu neuem Leben erwecken will. Anfang November hatte der Haushaltausschuss des Bundestages die Hälfte der Summe wie berichtet freigegeben, die zweite Hälfte sagte Berlins Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) zu – allerdings ohne sich zuvor mit dem Parlament abzusprechen.
Rundgang in die Zukunft des Museums
Wegen der großen Bedeutung des Naturkundemuseums für die nationale und internationale Wissenschaftslandschaft und nicht zuletzt als Touristenattraktion ist aber damit zu rechnen, dass der Senat seine Kofinanzierung zum Bundesanteil leistet.
Mit dem Geld kann das Museum Sammlungen erschließen, die in unhaltbaren klimatischen und hygienischen Verhältnissen lagern. Es kann seit vielen Jahrzehnten unsanierte Säle im Vorkriegs- und Kriegszustand mit modernen Heiz-, Kühl- und Brandschutzsystemen ausstatten, marode Fenster erneuern, Notdächer austauschen. Es kann neue Labore und Büros bauen, die größtenteils vorsintflutlich ausgestattet sind.
Mit dem Geldsegen von Bund und Land lasse sich auch vieles neu denken, was das Museum bislang nur in kleinen Schritten und in Modellprojekten angehen konnte, sagt Geschäftsführer Stephan Junker. Die Pläne reichen von der Digitalisierung aller 30 Millionen Objekte über die Bürgerwissenschaft bis zur nationalen Aufklärungszentrale zum Artensterben. Skizziert ist das alles im „Zukunftsplan“, den Museumsdirektor Johannes Vogel und Junker ausgearbeitet haben. Wie das Museum nach Abschluss des Um- und Ausbaus in zwölf Jahren aussehen könnte, zeigte Junker dem Tagesspiegel jetzt bei einem Rundgang.
Neues Entree
Eine gläserne Galerie führt die Besucher von der Invalidenstraße in das Museum. Vorbei an Objekten, die Lust machen auf die Saurier, die Walskelette, die Riesenvögel und die Gesteinsproben im Inneren. Oder sie werden gleich vom überdachten Vorplatz in den ersten Stock geleitet, wo sie auf Augenhöhe mit dem Brachiosaurus in die große Erzählung vom Ursprung der Arten und ihrer Bedrohung eintauchen. Ein Architektenwettbewerb dazu soll im kommenden Jahr ausgeschrieben werden, sagt Junker. Doch eines sei sicher: Den 1889 eröffneten Museumsbau, der hinter einem Vorplatz an der Invalidenstraße weit zurückgesetzt ist, „müssen wir öffnen“.
Auch der provisorische Kassencontainer, der düstere Eingangsbereich und die schlichte Cafeteria sollen der Vergangenheit angehören. Für die Gastronomie – mit ausschlaggebend für die Attraktivität eines Museums – stellen sich Junker und Vogel ein großes Café-Restaurant im ersten Stock vor, ebenfalls mit Blick auf die Dino-Skelette.
Faszinierender Altbestand, neues Konzept
Also alles neu im Naturkundemuseum? Entsteht ein hypermodernes Science-Center, wo heute in verstaubten Sälen der Zauber vergangener Jahrhunderte von alten Vitrinenschränken und Tierpräparaten mit den Herkunftsbezeichnungen in Sütterlin-Schrift ausgeht? „Nein, wir werden nicht geschichtsvergessen sein“, sagt Junker. Vorrangig gehe es aber darum, die Sammlungen endlich „lichtgeschützt, klimaadäquat und hygienisch unterzubringen“.
Faszinierende Altbestände wie die Geweihsammlung mit ihrer dichtgedrängten freien Aufhängung oder die 11 000 historischen Präparate im Vogelsaal werden dem Publikum also auch künftig nicht gezeigt. Ob künstlerische Installation wie die der illuminierten Nasssammlung möglich sind, hänge von der Neukonzeption durch Ausstellungsgestalter ab, sagt Junker. Hier sei nun das Geld für ganz neue Ideen da, deshalb würden Planungen etwa für den Saal der Skelette und den Karbonsaal, die schon im zweiten Bauabschnitt saniert wurden und 2019 eröffnen sollten, überdacht. Die Sammlung, die in Teilen von dem großen Berliner Naturforscher Alexander von Humboldt stammt, solle nun in seinem Sinne als „Reise durch unseren Kosmos“ gestaltet werden.
Neue Museumskonzepte stellen gerne einzelne Leitobjekte in den Mittelpunkt und erzählen ihre Geschichten: Von wem und unter welchen Bedingungen sie entdeckt und gesammelt wurden, was sie über die Lebensumstände des Exemplars aussagen und was dies für Rückschlüsse auf heutige klimatische Verhältnisse zulässt. Gezeigt wird auch, wie Forschende mit den Objekten arbeiten – mit Genanalysen oder im Computertomographen. Was den Besuchern heute schon rund um das spektakuläre Skelett von T. rex Tristan geboten wird, soll zum Neustart Standard in allen Abteilungen sein. Für die Ausstattung der Säle rechnet Junker mit Kosten von 48 Millionen Euro.
Mit solchen Einblicken in die Forschung ist das Museum nicht nur für die Kitas und Schulklassen attraktiv, die das Museum vormittags erkunden, sondern auch für junge Erwachsene. „Die kommen nachmittags, nach der Uni, nach dem Job oder beim Sightseeing, und sie sind es, die die Zukunft unserer Umwelt heute schon aktiv mitgestalten“, sagt Junker.
Neubauten für Objekte und Menschen
Die Gesamtkosten für Sanierung und Neubauten sind auf 430 Millionen Euro veranschlagt. Das wohl aufwändigste Bauvorhaben wird nach der Fertigstellung unsichtbar, weil unterirdisch sein. Unter dem Innenhof zwischen dem wiederaufgebauten Ostflügel, dem Thaer-Bau der Humboldt-Uni und dem noch unsanierten Nordflügel sollen in zwei Tiefgeschossen moderne Magazine und Depots entstehen. Angrenzend an den Innenhof und im Anschluss an den 1917 eröffneten Nordflügel sind die Laborgebäude des Forschungsmuseums geplant. Die vorhandenen Räume mögen die Zustände in der Nachkriegs-, der DDR-Zeit und der Nachwendezeit dokumentieren, doch für die zunehmende Forschung etwa zur Biodiversität sind sie unzulänglich.
Im Ergänzungsbau Nord kommen die Gewächshäuser und die zoologischen Labore mit molekulargenetischen und mikroskopischen Techniken unter. Im Zukunftsplan ist auch von Lebendtierhaltung die Rede, doch Junker beteuert, dass keine Tierversuche durchgeführt werden, sondern wie bisher Beobachtungen einiger weniger Arten, zu denen auch ein Lungenfisch gehört.
Neu gestaltet wird auch der Platz über den Tiefenmagazinen. Hier soll ein begrünter „Campushof“ zur Begegnung von Studierenden, Mitarbeitenden, Besucherinnen und Besuchern entstehen. Verbunden ist der Campusgedanke mit Plänen für den Nordbau und das frühere Institutsgebäude der landwirtschaftlichen Fakultät der HU im Thaer-Bau. Gemeinsame universitäre Lehre, öffentliche Veranstaltungen und wissenschaftliche Kongresse seien vorerst Ideen des Naturkundemuseums, die noch mit der Universität abgestimmt werden müssten, sagt Junker.
Zukunftsforschung an alten Objekten
Platz wird auch für neue Forschergruppen und für Gastwissenschaftler geschaffen. Heute müssen sie teilweise wegen Platzmangels in den alten Laboren abgewiesen werden, wie Junker berichtet. Doch was gibt es an den präparierten Sammlungsstücken, die teilweise seit über 200 Jahren im Museum verwahrt werden, heute noch zu erforschen? Für große Gebiete ist dieses „Archiv des Lebens“ ein großer, bislang kaum gehobener Schatz: So entdeckten Wissenschaftler des Museums im Computertomographen eine Entzündung oder einen Tumor im Kiefer von T. rex Tristan. Das ist ein Ansatz, um die Auslöser von Infektionen und Krebs 70 Millionen Jahre zurückzuverfolgen, ihre Evolution zu entschlüsseln und heutige Volkskrankheiten besser bekämpfen zu können. Die abnehmende Schalendicke von Vogeleiern über Jahrzehnte kann über den schädlichen Einsatz von Pestiziden Aufschluss geben – und zu ihrem Verbot führen.
Auch unbelebte Objekte werden untersucht. So lässt sich an Meteoriten die Frühgeschichte unseres Planetensystems ablesen, ihre Einschläge und deren Folgen für die Umwelt werden durch Computermodellierungen besser verstanden.
Zentral für die Forschung ist es dabei, die 30 Millionen Objekte des Naturkundemuseums zu digitalisieren – Kostenpunkt 90 Millionen Euro. So erschlossen, könnte die Sammlung weltweit genutzt werden, auch von interessierten Laien.
Achtung Umbauarbeiten
Die physische Faszination, die direkte Anschauung aber gibt es weiterhin nur im Naturkundemuseum in der Invalidenstraße. Möglichst auch bei laufendem Umbaubetrieb, Johannes Vogel hat vorübergehende Schließzeiten aber nicht ausgeschlossen. Und, wenn alles im Zeit- und Kostenrahmen bleibt – womit das Team Vogel und Junker nach eigener Aussage bei den bisherigen Bauabschnitten sehr erfolgreich ist – ab 2030 im rundum erneuerten Forschungsmuseum auf einer verfünffachten Ausstellungsfläche. Auge in Auge mit dem Brachiosaurus.
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