Vogelgrippe H7N9: Wettlauf mit der Zeit
Die Vogelgrippe H7N9 könnte im Herbst zurückkehren. Um das Risiko besser einschätzen zu können, wollen Grippeforscher wie Ron Fouchier nun das Virus im Labor verändern.
Wenn es um die Grippe geht, können Virologen nur verlieren. Warnen sie die Welt vor einer drohenden Pandemie, die dann ausbleibt oder vergleichsweise milde verläuft, wird ihnen Panikmache und Geschäftemacherei vorgeworfen. Wiegeln sie zu lange ab und eine Seuche trifft die Menschheit unvorbereitet, heißt es, sie hätten geschlafen. „Wir können eine Grippepandemie genauso wenig vorhersagen wie ein Erdbeben“, sagt zum Beispiel Jeremy Farrar, der eine Abteilung für Klinische Forschung der Universität Oxford in Ho Chi Minh Stadt (ehemals Saigon) leitet. „Grippeviren sind unberechenbar“, wiederholen Experten wie Keiji Fukuda von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beinahe gebetsmühlenartig. Deshalb lassen sie neue Varianten nicht aus den Augen. So wie in diesem Jahr die neue Vogelgrippe H7N9.
Seit März 2013 haben sich damit 134 Menschen in China und Taiwan infiziert, 43 von ihnen sind gestorben. Seit Mai macht das Virus Pause, nur ein einziger Fall kam im Juli dazu. Keiner weiß, ob das an den Sommertemperaturen liegt und die nächste Welle im Herbst folgt oder ob die Vogelgrippe durch die Schließungen der Vogelmärkte unter Kontrolle ist. Es könnte die Ruhe vor dem Sturm sein.
Um sich im ungleichen Wettlauf zwischen Forschung und Viren zumindest einen kleinen Vorsprung zu erkämpfen, kündigen Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka von der Universität von Wisconsin-Madison nun gemeinsam mit 20 anderen bekannten Forschern an, dass sie das Vogelgrippevirus H7N9 im Labor verändern wollen. Mit den Experimenten wollen sie die Gesundheitsbürokratie darauf hinweisen, was möglicherweise aus der Natur auf die Welt zukommt. Nur mit diesem Wissen können man sich effektiv darauf vorbereiten, schreiben sie in den Fachmagazinen „Nature“ und „Science“.
Die im Labor veränderten H7N9-Viren schärfen die Sicht auf die reale Gefahr
Fünf Fragen finden sie zentral: Verändern bestimmte Genmutationen gleichzeitig die Wirksamkeit der Impfstoffkandidaten, die gerade erprobt werden? Wie leicht kann sich H7N9 noch mehr an Säugetiere anpassen – zum Beispiel, wenn Säugetiere gleichzeitig mit H7N9 und der saisonalen Grippe infiziert sind und eine neue Viruskombination entsteht? Welche Veränderungen im Erbgut führen dazu, dass H7N9 resistent gegen antivirale Medikamente wird? Was macht diese Vogelgrippe besser übertragbar? Über welche Mechanismen könnte H7N9 noch tödlicher werden?
Selbstverständlich würden Biosicherheits-Experten jeden Versuch vorab beurteilen. Außerdem würden genauso strenge Standards eingehalten wie bei der Arbeit mit der Spanischen Grippe von 1918. Einige Geldgeber wie die US-Regierung würden zusätzliche Prüfungen verlangen, schreiben sie.
Hinter der offenen Ankündigung steckt Kalkül. Schließlich hatten die Teams um Fouchier und Kawaoka schon das Vogelgrippevirus H5N1 im Labor verändert. Sie lösten damit eine heftige Kontroverse darüber aus, was Wissenschaft darf, wann sie Bioterroristen in die Hände spielt und wie groß die Gefahr ist, dass solche Viren aus dem Labor entkommen könnten. Ein Jahr lang musste ihre Forschung ruhen. Soweit soll es dieses Mal nicht kommen.
Die Experimente bleiben umstritten
Die Meinungen zu den Experimenten sind geteilt. Fouchier hält sie für unentbehrlich. Ein Kommentator mahnt in „Nature“, dass die Wissenschaftler die Vorteile nicht übertreiben sollten. Die Natur könnte ganz andere Wege gehen.
Dass H7N9 eine reale Gefahr ist, bestreitet niemand. Chinesische Wissenschaftler um Xian Qi vom Seuchenzentrum der Provinz Jiangsu berichten im „British Medical Journal“, dass sie erstmals eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung nach engem Kontakt nachweisen konnten. Ein 60-jähriger Mann kaufte in den ersten Märztagen für die ganze Familie sechs Wachteln. Sie wurden vor seinen Augen geschlachtet, später kochte er sie. Am 8. März bekam er Fieber, Husten und Atemnot und musste drei Tage später ins Krankenhaus. Weitere vier Tage später wurde daraus eine Lungenentzündung, er musste auf die Intensivstation.
Bis dahin hatte seine 32-jährige Tochter ihn gepflegt. Eine ganze Woche lang, mehrere Stunden pro Tag. Sie wusch ihn und sorgte für die Zahnpflege. Erst als es dem Vater viel schlechter ging, war sie nur noch eine ganz normale Besucherin. Am 21. März erkrankte auch sie. Die Ärzte kämpften vergeblich um das Leben von Vater und Tochter. Antivirale Mittel halfen ihnen nicht. Beide starben schließlich Ende April und Anfang Mai. Ihre Organe hatten nach und nach versagt.
Die chinesischen Forscher konnten nicht nur diese Zeitachse über Interviews mit anderen Kontaktpersonen und die Krankenhausakten rekonstruieren. Sie haben auch bei beiden Patienten die Viren isoliert, die sie krank gemacht hatten. Eine Analyse des Virenerbgutes zeigte, dass die beiden H7N9-Varianten fast identisch waren. Eine direkte Ansteckung zwischen Vater und Tochter war somit die wahrscheinlichste Erklärung – zumal die Tochter sich sonst vor allem um ihr Kind kümmerte und weder für das Einkaufen noch das Kochen zuständig war. 43 andere Kontaktpersonen dagegen steckten sich nicht an. „Das Virus ist noch nicht leicht übertragbar“, schreiben die Forscher. Doch das kann sich jederzeit ändern.
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