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Bioterroristen im Federkleid. Eigentlich sollten sie Symbole des Friedens sein. Doch seit in Schanghai und Umgebung jeden Tag neue Vogelgrippe-Fälle bekannt werden, sind die Tauben dort eine potenzielle Gefahr.
© REUTERS
Update

H7N9-Virus in China: Die Vogelgrippe erreicht Peking

In Ostchina infizierte ein neues Vogelgrippevirus 49 Menschen, elf von ihnen starben. Auch bei einer 7-Jährigen in Peking wurde die Krankheit diagnostiziert. Nun versuchen Forscher aus aller Welt, die Gefahr einer Pandemie einzuschätzen.

Es begann ganz harmlos Anfang März, mit einem Einkauf auf dem Markt, etwas frisch geschlachtetem Huhn für eine Suppe. Fünf Tage später fühlte sich Frau Han nicht gut, die 35-jährige Hausfrau aus der ostchinesischen Provinz Anhui ging mit hohem Fieber, Husten und Atemnot zum Arzt. Schließlich kam sie mit schwerer Lungenentzündung und septischem Schock auf eine Intensivstation im Zhongda-Krankenhaus an der Universität Nanjing. Grippe, vermuteten die Ärzte, auch wenn die Schnelltests negativ waren. Sie schickten eine Probe an ein Speziallabor. Frau Han bekam nun antivirale Mittel. Ihr Zustand verschlechterte sich trotzdem zusehends.

Ähnliche Schicksale gibt es jedes Jahr zu Hunderttausenden. Doch Grippe ist nicht gleich Grippe. Der Name steht für eine Großfamilie verschiedener Viren, jeder Familienteil ist benannt nach den zwei stachelförmigen Auswüchsen auf ihrer Oberfläche: Hämagglutinin, der Schlüssel zu den Zellen von Mensch oder Tier, wo sich das Virus vermehren kann. Und Neuraminidase, das den Nachkommen hilft, sich aus der Zelle zu befreien.

In Wasservögeln haben Forscher 16 Hämagglutinin-Versionen (H) und neun Neuraminidase-Varianten (N) gezählt. Das ergibt 144 mögliche Kombinationen, die sich ständig verändern und an neue Wirte anpassen: Hühner, Schweine, Pferde. Menschen stecken sich meist an Grippeviren aus den Gruppen H1, H2 oder H3 an. Als Influenzaexperten jetzt das Erbgut des chinesischen Grippevirus entschlüsselten, erlebten sie eine böse Überraschung. Es gehörte zur Gruppe H7N9, einer Grippe, die vorher noch nie beim Menschen gefunden worden war.

Solche neuen Virusvarianten sind tückisch, das Immunsystem des Menschen ist ihnen noch nie begegnet. Manche sind ihnen fast wehrlos ausgeliefert; andere reagieren so heftig, dass ihre Gegenwehr dem eigenen Körper schadet. Verbreitet sich so ein Virus über den Globus, könnte das Millionen Menschen das Leben kosten, warnen Influenzaexperten. Darum horchten sie auf, als die chinesischen Behörden am 31. März ihren Fund der Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichteten: Drei Menschen waren im Februar und März an einer neuen Vogelgrippe erkrankt, zwei von ihnen mittlerweile tot.

Dass sich Menschen mit einer reinen Vogelgrippe infizieren können, hielt man bis Mai 1997 für unmöglich. Dann starb ein dreijähriger Junge in Hongkong an H5N1. Inzwischen weiß man, dass diese Variante aggressiver ist als die „üblichen Verdächtigen“. Es befällt nicht nur die Atemwege, sondern auch Leber oder Gehirn. H7N9 war für Frau Han nicht weniger gefährlich. Lunge und Leber waren bald schwer geschädigt, eine Maschine musste die Atmung übernehmen. Die Nieren versagten, ihre Funktion ersetzte eine Blutwäsche. Am Dienstag starb sie.

Während Ärzte verzweifelt versuchten, ihr Leben zu retten, wurden jeden Tag neue Fälle gemeldet, die meisten davon in Schanghai, aber auch in drei Nachbarprovinzen und in Peking. Inzwischen erkunden Experten aus aller Welt das Erbgut des neuen Erregers, entwickeln Schnelltests, versuchen herauszufinden, woher das Virus stammt und wie groß die Gefahr ist, dass es zu einer weltweiten Ansteckungswelle kommt. „Aber wir kennen die Spielregeln nicht genau genug“, sagt Ab Osterhaus von der Erasmus-Universität in Rotterdam. Er war 1997 einer der Ersten, die erkannten, dass der Junge in Hongkong eine Vogelgrippe hatte. Um für den Ernstfall gerüstet zu sein, bereiten sie einen Impfstoff gegen H7N9 vor. In etwa sechs Monaten könnte er fertig sein.

Mitarbeiter der chinesischen Behörden suchen unterdessen auf Märkten, Farmen und in der Natur nach infizierten Tieren. Die Millionenstadt Schanghai schloss vorsorglich alle Geflügelmärkte. Hunderttausende Vögel wurden getötet. Mehr als 1000 Menschen, die Kontakt mit den Patienten hatten, werden beobachtet, Abstriche aus ihrem Rachen sollen akute Grippeinfektionen nachweisen. Einen Antikörpertest gibt es noch nicht.

Internationale Experten loben unisono die Reaktion Chinas. „Die Zusammenarbeit mit der chinesischen Seuchenbehörde ist sehr gut“, bestätigt der WHO-Sprecher Gregory Härtl. Aber vor Ort brodelt die Gerüchteküche. Viele deckten sich mit traditionellen chinesischen Medikamenten gegen Grippe ein. Andere diskutierten, ob die Unmengen Schweinekadaver, die in den Wochen vorher in einem Fluss in Schanghai trieben, wohl etwas mit der Krankheit zu tun haben. Das Misstrauen der Bevölkerung kommt nicht von ungefähr. Die Chinesen wissen, dass ihre Regierung vor zehn Jahren versuchte, den Sars-Ausbruch zu vertuschen. Viele haben die Folgen der Lungenkrankheit gesehen. Auch die Angst vor einer Vogelgrippe ist in Asien berechtigt, H5N1 ist dort nie verschwunden.

Im Januar 2004 war die Erinnerung an Sars noch frisch. Während die Vietnamesen Neujahr feierten, klingelte bei Jeremy Farrar mitten in der Nacht das Telefon. Wir wissen nicht weiter, gab ein befreundeter Arzt zu. Man habe im Krankenhaus alles versucht, aber einem kleinen Mädchen mit Atemnot gehe es weiter sehr schlecht. Ob Farrar, der eine Abteilung für Klinische Forschung der Universität Oxford in Ho Chi Minh Stadt (ehemals Saigon) leitet, in seinem Labor ein paar Tests machen könne? Farrar brach sofort auf. Erst ein Jahr zuvor hatte Sars einen Freund von der WHO, Carlo Urbani, getötet. Nun gab es H5N1-Fälle in Hanoi.

Ein Detail, das das Kind erzählt hatte, beunruhigte Farrars Freund besonders: Ihr Haustier, eine Ente, sei vor ein paar Tagen gestorben. Sie sei sehr traurig gewesen. Nachdem der Bruder das Tier beerdigt hatte, habe sie es wieder ausgegraben und anderswo bestattet. Die perfekte Gelegenheit für ein Vogelgrippevirus wie H5N1, einen neuen Wirt zu finden.

Die Grippe ist unberechenbar

Viren sind überall, allein in der Lunge von gesund wirkenden Menschen finden Wissenschaftler mehr als 170 Arten. Wenn Wirt und Virus im Laufe der Evolution ein Gleichgewicht gefunden haben, machen sie nicht krank. Flughunden im Herzen Afrikas kann nicht einmal das Killervirus Ebola etwas anhaben, asiatische Fledermäuse haben seit Urzeiten einen Untermieter namens Sars. In Magen und Darm vieler Wasservögel leben Grippeviren, ohne dass die Tiere es bemerken.

Schwierig wird es für beide Seiten erst, wenn das Virus ein neues Lebewesen findet, in dem es sich vermehren könnte. Das Immunsystem von Menschen ist mit Ebola völlig überfordert. Sie sterben so schnell, dass das Virus kaum eine Chance hat, sich zu verbreiten. Andere Viren entstehen in so abgelegenen Gebieten, dass sie wie HIV etwa 100 Jahre brauchen, um zur globalen Seuche zu werden. Viele Grippeviren kommen zum Beispiel mit der niedrigeren Körpertemperatur von Säugetieren nicht zurecht.

Doch Grippe ist unberechenbar. Um sich zu vermehren, kopiert das Virus in den infizierten Zellen sein Erbgut – mit störanfälligen Kopiermaschinen. Sie machen ständig kleine Fehler, so dass jede Saison andere Grippestämme unter den Menschen zirkulieren. Wenn verschiedene Grippeviren in einer Zelle aufeinandertreffen, kann der Kopiervorgang komplett durcheinanderkommen; die acht Erbgutsegmente werden neu zusammengewürfelt. Das Ergebnis ist für die Viren oft nicht gut. Doch manchmal entsteht eine Version, die dem Menschen gefährlicher werden kann als alle Vorgänger.

Farrars Test bestätigte die Vermutung noch in derselben Nacht: Das Mädchen hatte H5N1. Es bekam sofort antivirale Mittel und überlebte. „Trotzdem waren wir extrem beunruhigt“, erinnert sich Farrar. Die Vogelgrippe-Pandemie blieb damals aus, die Verbreitung von H5N1 unter Vögeln nicht. Denn das Virus zirkulierte auch in Wildtieren. Allein im Frühjahr 2005 starben am See Quinghai etwa 6000 Wildvögel, darunter Streifengänse. Einige der Tiere nahmen das Virus bei ihrer Reise über den Himalaya mit, so dass es sich westwärts ausbreiten konnte. Heute ist es längst in Indien, Afrika und Europa angekommen. Grippeforscher fürchten nach wie vor, dass sich das Virus verändern könnte und die fünfte Pandemie in den letzten 100 Jahren auslöst.

H5N1 ist das eine Ende der Furchtskala: Von 622 Menschen, die sich in den letzten zehn Jahren nachweislich angesteckt haben, starben 371. Aber bis heute überträgt sich der Erreger nur schwer von Mensch zu Mensch. Am anderen Ende der Skala steht das Virus H1N1, die Schweinegrippe von 2009/2010 – also ein Virus, das in kürzester Zeit hunderttausende Menschen infizierte, aber nicht einmal jeden tausendsten tötete. Der Albtraum der Virologen ist ein Erreger, der beide Eigenschaften vereint und genauso effizient tötet, wie es sich verbreitet.

Ist H7N9 dieses Virus? Bisher scheint es vor allem aggressiv zu sein. 49 Menschen haben sich inzwischen mit dem Erreger infiziert, elf von ihnen sind gestorben. Auch bei einem 7-Jährigen Mädchen in Chinas Hauptstadt Peking wurde die VogelgrippeH7N9 diagnostiziert. „Es gibt keine Anzeichen, dass das Virus sich von Mensch zu Mensch überträgt“, sagt Richard Webby, Influenzaforscher am Kinderkrankenhaus St. Jude in Memphis, USA. Im H7N9-Erbgut suchen Forscher nach Anzeichen darauf, dass das Virus sich an den Menschen anpasst. „Die Sequenzen zeigen einige Veränderungen, die typisch für eine Anpassung an Säugetiere sind“, sagt Webby. Dort, wo das Hämagglutinin an die Wirtszelle andockt, sehe eine Stelle etwas anders aus. Auch in der Gensequenz für die Kopiermaschine namens PB2 gibt es Anzeichen für eine Anpassung. „Im Moment ist es noch ein Tiervirus“, sagt Webby. Zwei Szenarien kann er sich vorstellen: „Entweder es verändert sich und wird von Mensch zu Mensch übertragbar oder es verschwindet dahin, woher es gekommen ist.“

Woher das Virus kommt, ist aber weitgehend unklar. Sicher ist nur, dass es sich um eine neue Kombination aus zwei oder mehr Viren handelt, sagt Webby. Das Neuraminidase-Gen ähnelt dem der Vogelgrippe H11N9, das Hämagglutinin gleicht dem einiger H7-Viren und die anderen sechs Segmente stammen offenbar von einem H9N2-Virus, das in Ostasien in Vögeln zirkuliert. Bisher wurde das Virus in Tauben, Hühnern und Enten auf den Geflügelmärkten gefunden, melden chinesische Behörden. Dass die Tiere durch H7N9 kaum krank werden, macht die Überwachung komplizierter als bei H5N1. Und ob sie wirklich das Reservoir des Virus sind und ob es auf den Märkten entstanden ist, könne man noch nicht sicher sagen, warnen Experten wie Osterhaus. Ein oder zwei Mutationen deuteten aber darauf hin.

Kennt man die Quelle, kann die Tötung der Tiere das Virus mitunter stoppen. So wie 2003 in den Niederlanden. Auf einer Geflügelfarm war eine hochansteckende Form der Vogelgrippe H7N7 aufgetaucht. Innerhalb kürzester Zeit verendeten die Tiere, das Virus raste von einem Bauernhof zum nächsten. Knapp 90 Menschen steckten sich an, ein Tierarzt starb. Die Regierung entschied sich zu einem drastischen Schritt: Sämtliches Geflügel in der Region wurde gekeult, bis zu 750 000 Vögel pro Tag. Am Ende waren 30 Millionen Tiere tot und H7N7 unauffindbar. Nichts anderes hätte das Virus aufgehalten, glaubt Michiel van Boven vom niederländischen Reichsinstitut für Volksgesundheit, der den Ausbruch untersucht hat. „Das ging so schnell, die Tötung war die einzige Option."

Wird die Quelle rechtzeitig gefunden, könnte auch H7N9 wieder verschwinden, sagt Webby. Frau Han würde das zwar nicht mehr helfen, sie hatte Pech. Die Menschheit aber hätte in diesem Fall noch einmal großes Glück gehabt.

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