Studie zu Hanf-Nebenwirkungen: Wer täglich Cannabis konsumiert, erkrankt häufiger an Psychosen
Der Joint am Abend ist in einigen Ländern schon so legal wie das Feierabend-Bier. Doch Forscher warnen nun, dass Cannabis die psychische Gesundheit gefährdet.
Der Streit währt schon lange: Die einen verweisen auf Studien, die einen Zusammenhang zwischen erhöhtem Cannabis-Konsum und Neuerkrankungen an Psychose herstellen. Daher dürfe Cannabis nicht legalisiert werden. Die anderen sagen: Menschen, die ohnehin psychisch erkrankt sind oder erkranken werden, greifen einfach häufiger zu Drogen wie Cannabis.
Der Auslöser oder gar der Verursacher der Psychose oder anderer psychischer Erkrankungen (etwa Depressionen) sei also nicht der Stoff und eine Legalisierung könne daher nicht zu einer Psychotiker-Schwemme führen. Dem widerspricht nun eine sorgfältige, an über 2000 Probanden und elf Orten Europas durchgeführte Studie unter der Leitung von Marta Di Forti, vom Institut für Psychiatrie, Psychologie und Neurowissenschaften des Londoner King's College, veröffentlicht im Fachblatt "Lancet Psychiatry".
Je mehr Cannabis, umso wirrer die Psyche
Zwar kann auch diese Untersuchung keinen klaren Beweis für Cannabis als Ursache von Psychosen führen. Doch sie zeigt, dass dort, wo Cannabis frei erhältlich ist, auch mehr Menschen an Psychosen erkranken. Fünf von zehn solcher Psychosefälle in Amsterdam stehen in Zusammenhang mit häufigem, täglichem Cannabiskonsum, in London sind es drei von zehn.
Außerdem erkrankten jene Personen in der Studie, die ihrem Körper Cannabis täglich zuführten, dreifach häufiger an Psychosen als Nicht-Konsumenten. Unter denjenigen, die Stoff mit besonders hohem THC-Anteil (dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol) bevorzugten, zählten die Forscher in der Untersuchungsphase sogar fünfmal mehr psychotische Anfälle.
"Übereinstimmend mit bisherigen Studien zeigen unsere Ergebnisse, dass der Gebrauch von Cannabis mit hohen THC-Konzentrationen einen schädlicheren Effekt auf die mentale Gesundheit hat als der Gebrauch geringer konzentrierter", sagt Di Forti. "Sie weisen außerdem erstmals darauf hin, wie Cannabis-Konsum die Häufigkeit psychischer Neuerkrankungen in der Bevölkerung beeinflusst." Es sei im Zuge der Legalisierungsinitiativen in verschiedenen Ländern von besonderer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, auch die möglichen Nebenwirkungen täglichen Hanf-Konsums zu berücksichtigen.
Wäre kein Cannabis erhältlich, würde die Psychoserate um die Hälfte sinken
Die Forscher ermittelten an den elf Orten in England, den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Italien (sowie einem Ort in Brasilien) zunächst die Zahl der Psychose-Neuerkrankten zwischen 2010 und 2015 und baten sie um Teilnahme an der Studie. 901 stimmten zu, wie auch 1237 gesunde Probanden aus den elf Regionen. Sie alle gaben neben anderen gesundheitsbezogenen Informationen auch über ihr Konsumverhalten bezüglich Cannabis und anderer Drogen Auskunft, auch bezüglich der "Stärke" des Stoffs.
Dabei stellte sich heraus, dass in der Gruppe der Psychotiker deutlich mehr täglich Cannabis konsumierten (244 von 901, 29 Prozent) als in der Gruppe der Gesunden (84 von 1237, 7 Prozent). Unter den Psychosepatienten gab es 334 (37 Prozent), die besonders starken Stoff bevorzugten, unter den Gesunden waren es nur 19 Prozent (240).
Andere Faktoren, die ebenfalls Psychosen auslösen oder befördern können, wurden in der Studie ebenfalls berücksichtigt - etwa andere Drogen wie Alkohol, Tabak oder Kokain aber auch der Bildungs- und Beschäftigungsstatus. Dem Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose, der auch in vielen anderen Studien bereits gefunden wurde, tat das jedoch keinen Abbruch.
Unklar bleibe jedoch, inwieweit die genetische Veranlagung der Studienteilnehmer oder andere psychologische Vorerkrankungen, nach denen nicht gefragt wurde, zum Psychoserisiko beiträgt, sagt Dieter Meyerhoff von der University of California in San Francisco, und auch ob die Probanden angefangen hatten, Cannabis zu konsumieren, bevor sie Psychosen entwickelten. "So besteht immer noch die Möglichkeit der alternativen Erklärung, dass Teilnehmer mit erstmaligen Psychosen mehr Cannabis gebrauchen – anstatt anders herum, wie es die Autoren recht plausibel und überzeugend begründen."
Die Studie sei aber Anlass genug, sich vor der Legalisierung von Cannabis ie möglichen Folgen vor Augen zu führen. "Leider wissen wir heute als Gesellschaft immer noch viel zu wenig über die langfristigen gesundheitlichen Konsequenzen von unkontrolliertem Cannabiskonsum, speziell bei Teenagern und jungen Erwachsenen." Die Gesellschaft müsse sehr vorsichtig sein. "Nutzen wir doch die Gelegenheit, die entsprechenden Entwicklungen in den Länder zu studieren, die schon Cannabis legalisiert haben, bevor wir ihnen unkritisch folgen."
In Amsterdam etwa, schlussfolgern Di Forti und Kollegen aus ihren Daten, würde die Neuerkrankungsrate für Psychosen um die Hälfte sinken, von rund 38 Fällen pro 100.000 Einwohnern auf 19 Fälle, wenn Cannabis nicht mehr erhältlich wäre. In London wären es statt 46 nur noch 32 Psychosefälle pro Jahr.
Auch in Deutschland steigt der Konsum
In Deutschland ist Cannabis noch nicht legal erhältlich, konsumiert wird hierzulande dennoch. Daher seien die Ergebnisse der Studie auch auf Deutschland übertragbar, sagt Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Laut Drogen- und Suchtbericht 2018 sei auch in Deutschland der THC-Gehalt in Cannabisprodukten in den vergangenen Jahren sehr stark angestiegen.
"In den US-amerikanischen Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben, stieg der durchschnittliche THC-Gehalt als Folge der Legalisierung stetig weiter an." Dort seien teilweise Cannabisprodukte mit einem 40- bis 50-prozentigem THC-Gehalt erhältlich, sagt Thomasius. "Es steht zu befürchten, dass die Legalisierung von Cannabis zu einer deutlichen Zunahme des Erkrankungsrisikos an Psychosen führen wird." (mit smc)