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Trauer um den Bruder. Ein würdiges Begräbnis der Ebola-Opfer ist während der Epidemie nicht selbstverständlich.
© dpa

Ebola in Westafrika: Was wir nicht über das Ebola-Virus wissen

Vor einem Jahr erfuhr die Welt, dass in Guinea Ebola ausgebrochen ist. Inzwischen sind mehr als 10 000 Menschen gestorben - und die Epidemie dauert an. Es bleiben viele Rätsel: Was macht Ebola so tödlich? Warum sehen manche Überlebende fast nichts mehr? Was schützt vor der Ansteckung? Und wo lebt Ebola in der Natur?

Niemand beachtete die Holzboote, die Anfang Februar am Kai von Tamba Kula festmachten. Drei kranke Seeleute stiegen aus und verschwanden irgendwo in dem Slum. Kurz darauf bekamen Fischer Fieber, Marktfrauen fühlten sich matt und einige Tagelöhner waren zu schwach, um weiterhin Boote zu putzen. Ebola war zurück. Dabei war in Sierra Leone die Zahl der Neuinfektionen zu Jahresbeginn so stark gesunken, dass alle aufgeatmet hatten.

Wieder strömten Helfer in einem Slum von Freetown durch Gassen voller Unrat, wieder suchten sie Kranke und ihre Kontaktpersonen. Nicht alle konnten sie von ihren guten Absichten überzeugen. Ein Mann hatte solche Angst vor dem Krankenhaus der Hauptstadt, dass seine Frau Geld für ein Taxi zusammenkratzte. Es brachte ihn in sein Heimatdorf, dort kümmerten sich traditionelle Heiler um ihn. Er verursachte 42 weitere Infektionen.

Es sind Rückschläge wie dieser, die Bruce Aylward vor Prognosen zurückschrecken lassen. Das Virus sei unbarmherzig, sagt der Ebola-Beauftragte der Weltgesundheitsorganisation WHO. Wer es besiegen will, müsse perfekt planen und jeden erreichen. Auch wenn sich Straßen in der Regenzeit in unpassierbare Schlammpisten verwandeln oder Gerüchte mühsam erarbeitete Fortschritte zunichtemachen. „Es hat mit einem Fall begonnen, es wird mit einem Fall enden.“

Ebola hat im letzten Jahr jeden Experten überrascht. Das Virus trifft nicht nur abgelegene Dörfer in Zentralafrika, sondern sprang 2000 Kilometer vom letzten Ausbruch entfernt erneut vom Tier auf den Menschen über. Es ist nicht zu tödlich, um in die Städte vorzudringen. In Westafrika wurden Kranke von ihren Angehörigen über weite Strecken transportiert. Bereits als die Welt im März 2014 von dem Ausbruch in Guinea erfuhr, hatte das Virus die Hauptstadt Conakry erreicht. Ohnehin ist die Bevölkerung extrem mobil, viele Tagelöhner finden nur so ein Auskommen. Familienbande, Traditionen und Sprache verbinden die Menschen über die porösen Grenzen hinweg. Und erstmals seit der Entdeckung des Virus vor 40 Jahren bestiegen Infizierte ein Flugzeug: Ein Mann landete in Nigeria, ein anderer in den USA.

Bisher haben sich allein in Westafrika 24 753 Menschen angesteckt, 10 236 sind gestorben. Solche Zahlen hielten Seuchenschützer vor einem Jahr für eine unrealistische Hollywood-Fantasie. Nun treibt sie eine weitere Sorge um: Kann Ebola endemisch und somit zu einer ständigen Gefahr werden? Es ist nicht die einzige unbeantwortete Frage.

Was macht Ebola so tödlich?

Vier bis acht Liter Durchfall pro Tag, 1,5 Liter Erbrochenes. Der Darm war gelähmt, der Magen wollte nichts mehr aufnehmen. Der 36-jährige WHO-Mitarbeiter, der sich in Sierra Leone mit Ebola infiziert hatte und ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) evakuiert wurde, brauchte an manchen Tagen bis zu 13 Liter Nährlösung als Infusion. Nur so konnten ihn seine Ärzte stabilisieren und dem Immunsystem Zeit geben, das Virus selbst zu bekämpfen. Ebola sei im Grunde eine extrem heftige Magen-Darm-Infektion, meinte damals Stefan Schmiedel, der zusammen mit Marylyn Addo die Sektion Tropenmedizin der Bernhard-Nocht-Klinik leitet. Mit Infusionen könne man die Sterblichkeit erheblich senken, auch in Westafrika. Eine andere Komplikation sei problematischer: Bakterien – vermutlich aus dem Darm – verursachten am Tag zwölf eine Sepsis.

„In Westafrika war es meist anders“, sagt Schmiedel heute. Im letzten November versorgte er für „Ärzte ohne Grenzen“ in Kailahun in Sierra Leone etwa 350 Ebola-Kranke. Übermäßigen Durchfall hatten nur wenige. Stattdessen lagen sie apathisch da, aßen und tranken kaum, während ihr Körper immer mehr Viren produzierte. Wer die erste Woche überstand, hatte es meist geschafft. Späte Komplikationen waren die Ausnahme.

Warum stirbt dann in Westafrika mehr als die Hälfte der Patienten, in den Industrienationen dagegen nicht einmal jeder vierte? „Es ist ein Unterschied, ob sich ein zuvor gesunder, wohlgenährter Mensch gegen das Virus wehren muss oder einer, der ohnehin geschwächt ist“, vermutet Schmiedel. Auch die Genetik könnte den Verlauf der Krankheit beeinflussen, seit Kurzem kann man das auch im Tierversuch an der Maus testen.

Ebola kapert Immunzellen. Es nutzt sie als trojanisches Pferd, vermehrt sich in ihnen und gelangt gleichzeitig ungestört in den ganzen Körper. Wird er mit Viren geradezu überschwemmt oder nimmt die Niere Schaden, ist die Schlacht verloren. Ein Teil der Patienten schafft es trotzdem, die Eindringlinge unschädlich zu machen. „Ich wüsste gern, was Ebola genau mit dem Immunsystem anstellt“, sagt Schmiedel. Das würde auch dabei helfen, den Nutzen experimenteller Medikamente einzuschätzen. Die ersten Studien zur Wirksamkeit begannen sehr spät, bisher sei ihre Beweiskraft „katastrophal“.

Die Leiden der Überlebenden

Jede Entlassung aus einem Behandlungszentrum in Westafrika ist ein Hoffnungsschimmer, der gefeiert wird. Doch zu Hause ist für viele Überlebende nichts wie zuvor. Ihr Hab und Gut wurde verbrannt. Ein großer Teil der Familie ist tot. Die Nachbarn meiden sie. Mit Programmen zur Wiedereingliederung versuchen die Länder, diese Not zu lindern. Doch auch der Körper braucht Unterstützung.

Einige Überlebende berichten, dass sie verschwommen oder fast gar nichts sehen. Andere können nicht schlafen, haben Kopf-, Glieder- oder Nervenschmerzen. Oder sie leiden unter extremer Müdigkeit. Ob diese Einschränkungen sich verschlimmern oder vorübergehen, weiß niemand. Denn die Ursachen des Post-Ebola-Syndroms sind unbekannt. Möglicherweise hat die eigene Immunantwort den Körper geschädigt. Manche Symptome könnten auf eine Depression hindeuten, sagt Joachim Gardemann, Kinderarzt und Leiter des Kompetenzzentrums für Humanitäre Hilfe in Münster, der im Auftrag des DRK ein Behandlungszentrum in Kenema, Sierra Leone, leitete. „Die Krankheit verläuft unterschiedlich schwer“, ergänzt der Infektiologe Christian Kleine, der für Ärzte ohne Grenzen in Monrovia war. „Vermutlich hat sie deshalb unterschiedliche Folgen.“

Erste Hinweise darauf liefert eine Beobachtung der Immunreaktion bei vier Patienten, die in Atlanta versorgt wurden. Bei denjenigen, die besonders viele Viren produziert hatten, war das Immunsystem bis zu 60 Tage nach den ersten Symptomen in Aufruhr, schreiben Forscher um Rafi Ahmed von der Emory-Universität in Atlanta im Fachblatt „PNAS“. Diese Alarmbereitschaft blieb, als Ebola nicht mehr im Blut nachweisbar war. Sie könnte anhaltende Beschwerden auslösen – die Forscher verweisen jedoch darauf, dass man aus den Einzelfällen keine allgemeinen Schlüsse ziehen könne. Der Körper sei insgesamt geschwächt, auch durch den Gewichtsverlust.

Viele Forscher interessieren sich nun für das Blut der Überlebenden

Trauer um den Bruder. Ein würdiges Begräbnis der Ebola-Opfer ist während der Epidemie nicht selbstverständlich.
Trauer um den Bruder. Ein würdiges Begräbnis der Ebola-Opfer ist während der Epidemie nicht selbstverständlich.
© dpa

Was schützt wie lange vor Ebola?

Vor dem Ebola-Ausbruch in Westafrika gab es nur etwa 800 Überlebende, verstreut über abgelegene Dörfer. Ihr Schicksal wurde nie konsequent dokumentiert. Eigentlich sollten sie lebenslang vor einer weiteren Infektion mit dem gleichen Virenstamm geschützt sein, hoffen viele Forscher. Trotzdem müssen die Überlebenden, die nun in Behandlungszentren aushelfen, zumindest in leichter Schutzkleidung arbeiten. Für alle Fälle.

Wie lange hält ihr Schutz? Wie umfassend ist er? Weil grundlegende Daten fehlen, ist nun das Interesse am Blut der Überlebenden groß. Die vier Patienten in Atlanta produzierten vor allem T-Zellen, eine bestimmte Sorte weißer Blutkörperchen, die sich gegen ein Eiweiß im Inneren des Ebola-Virus richten. Die Impfstoffe, die nun in Westafrika getestet werden, sollen jedoch eine Immunreaktion gegen ein Eiweiß auf der Oberfläche des Virus auslösen. Im Tierversuch haben sie trotzdem Affen vor der Ansteckung bewahrt.

„Wir wissen nicht, welche Antikörper und welche T-Zellen in welcher Anzahl vorhanden sein müssen, um vor Ebola zu schützen“, sagt Marylyn Addo, die in Hamburg einen Teil der Sicherheitsstudie zum VSV-Impfstoff leitet. Im besten Fall sollten das Wirksamkeitstests zeigen, die in Liberia und kürzlich in Guinea begonnen haben. Über eines machen sich die Forscher keine Illusionen: Der Impfschutz wird wahrscheinlich nur einige Monate anhalten.

Wo lebt Ebola in der Natur?

Der abgestorbene Baum stand 50 Meter vom Haus seiner Mutter entfernt, an einem Trampelpfad zum Fluss. Die Kinder des Dorfes Meliandou zog der Hohlraum in seinem Stamm magisch an. Mit Stöckchen scheuchten sie die Fledermäuse auf, die darin hausten. Auch der zweijährige Emile. Bis er am 2. Dezember 2013 an einer Durchfallerkrankung starb. Er war das erste Ebola-Opfer in Guinea.

Fledertiere gelten als natürliches Reservoir des Virus, alle Indizien deuten auf sie. Außerdem können sie die Infektion überleben. Doch der letzte Nachweis fehlt bis heute: ein infiziertes Exemplar. In 40 Jahren haben Forscher nur Erbgutschnipsel isoliert. Auch das Team um Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut hatte kein Glück in Meliandou. Der Baum war ausgebrannt, die Fledermäuse geflohen. „Wir wissen vom Marburg-Virus, dass nur vier bis fünf Prozent einer Kolonie ein solches Filovirus in sich tragen, vor allem Jungtiere“, sagt Leendertz. „Ähnlich wie die Masern beim Menschen. Da zur richtigen Zeit das richtige Tier zu fangen, ist wie Lotto spielen.“

Und Fledertiere müssen nicht die einzigen Lebewesen sein, die ein Gleichgewicht mit dem Ebola-Virus finden können. Einige Forscher haben wild lebende Schweine im Verdacht. Leendertz interessiert, ob Ebola im Laufe des vergangenen Jahres die Chance bekam, sich unter Haus- und Nutztieren zu etablieren. Dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Ausbruch wiederholt, sehr viel größer, sagt er. „Aber im Moment können wir dort keine toten Tiere sammeln.“ Die Epidemie einzudämmen, habe Vorrang.

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