Ebola in Guinea: Gerüchte und Gewalt befeuern die Ebola-Epidemie
Ganze Nachbarschaften oder Dörfer schotten sich ab, Helfer werden angegriffen. Das Misstrauen gegenüber den Mächtigen in Guinea ist größer als die Angst vor Ebola. Doch nur wenn die ganze Gesellschaft mitmacht, kann die Epidemie beendet werden.
Plötzlich flogen Steine. Die Scheiben des Autos zerbrachen, ein Splitter hätte beinahe ihr Auge getroffen. „Wir mussten weg“, sagt Claudia Evers, Nothilfekoordinatorin von „Ärzte ohne Grenzen“ in Guinea. Ein Gerücht hatte wochenlange Arbeit zunichte gemacht.
Sie erzählt von der Stadt Faranah, etwa 400 Kilometer östlich von Conakry. Nach langwierigen Gesprächen mit Würdenträgern und Anführern von Jugendgruppen hatten Mitarbeiter aus Guinea Fußballspiele und Partys organisiert. „Wir bekämpfen Ebola“, sangen sie gemeinsam. „Ärzte ohne Grenzen“ errichtete eine Übergangsunterkunft für Patienten, die sich möglicherweise mit Ebola angesteckt haben und isoliert werden müssen.
Mindestens ein Übergriff pro Woche
Dann öffnete eine Schule wieder, vor der Tür stand ein Fass mit Chlorbleiche, zur Desinfektion der Hände. Am Eingang wurde mit Thermometern überprüft, ob die Kinder Fieber haben. Das Gerücht klang anders: Das Rote Kreuz wolle erst alle Schulkinder gegen Ebola impfen. Dann würde das Virus in der Schule versprüht. So würden ausländische Unternehmen testen, ob die Impfung funktioniert. Eltern holten panisch ihre Kinder aus dem Unterricht. Jugendliche rotteten sich zusammen, zerstörten die Ebola-Übergangsunterkunft und attackierten die Fremden. „Dabei wird Desinfektionsmittel nur in den Wohnräumen von Patienten versprüht, um das Virus zu töten“, sagt Evers. „Geimpft wird in Guinea noch niemand.“
Evers’ Erlebnisse sind kein Einzelfall. Ein Drittel der Präfekturen in Guinea melden mindestens einen Sicherheitsvorfall pro Woche, heißt es in einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch Mitarbeiter der Internationalen Bewegung von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond wurden angegriffen. „Wir können nicht gezielt helfen, wo wir gebraucht werden“, sagt Evers. „Manche Dörfer und Gemeinschaften schotten sich ab.“
Ein stetes Auf und Ab der Neuinfektionen
Das macht die Interpretation der offiziellen Zahlen noch komplizierter. Bisher haben sich nach der WHO-Statistik 23 913 Menschen mit Ebola angesteckt, 9714 sind gestorben. Allein in der letzten Woche kamen 374 Kranke und 173 Tote hinzu, die meisten in Sierra Leone und Guinea. „Das war früher ein ganzer Ausbruch“, sagt Matthias Borchert, Epidemiologe am Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit der Charité in Berlin. Er schaut auf eine blaue Zickzackkurve. Seit Monaten zeigt sie für Guinea ein einziges Auf und Ab, ohne erkennbaren Trend. „Das gab es noch nie“, sagt er. „Bisher kann niemand erklären, warum die Fallzahlen in Guinea nie explodiert und nie nachhaltig gefallen sind.“ Dem Forscher bleiben nur Vermutungen. Die Fernstraßen seien weniger gut ausgebaut als in den Nachbarstaaten, vielleicht seien die Menschen deshalb etwas weniger mobil. Das Misstrauen gegen Weiße und die eigenen Eliten habe wahrscheinlich mit der Geschichte Guineas zu tun.
Misstrauen gegen die früheren Kolonialmächte
Während in Sierra Leone und Liberia die Briten und die Amerikaner mit ihrer Ebolahilfe „klotzten“, war das Verhältnis Guineas zu Frankreich nie besonders gut. Der ehemalige Präsident Ahmed Sékou Touré brach mit der Kolonialmacht und bestand 1958 auf der sofortigen Unabhängigkeit. De Gaulle zog über Nacht alle Beamten und materielle Unterstützung ab. Guinea orientierte sich fortan am Ostblock, Sékou Touré schuf ein repressives System. Oppositionelle und Angehörige unliebsamer Ethnien sperrte er in ein Lager, mitten in Conakry. Tausende wurden hingerichtet oder starben dort an Hunger und Folter. Noch mehr Menschen verschwanden spurlos. 2008 putschte das Militär, erst seit 2010 ist die Regierung wieder in zivilen Händen. Nach Jahrzehnten der Korruption und der Vernachlässigung der Peripherie erwarten die meisten nichts von den Mächtigen. Selbst traditionelle Strukturen sind brüchig.
Mit Musikern und Fußballstars gegen Ebola
Der Unterschied zu früheren Ausbrüchen zeigte sich bereits, als Borchert im Mai 2014 gemeinsam mit der Ethnologin Almudena Marí Sáez in Guinea von Dorf zu Dorf reiste. „Misstrauen gibt es immer, schließlich verursacht Ebola eine Ausnahmesituation“, sagt Borchert. Doch während die Seuchenbekämpfer sonst vor allem traditionelle Chiefs und Dorfvorsteher davon überzeugen mussten, dass Fremde in Mondanzügen für die Kranken sorgen sollten und ungewöhnliche Begräbnisse nötig sind, reichte das in Guinea oft nicht. „Da hieß es in manchen Dörfern: Du hast dich kaufen lassen! Der Korruptionsverdacht war sofort da.“
Dieses Misstrauen blieb, die Gerüchte veränderten sich kaum, sagt Marí Sáez, die im Moment für das Institut für Tropenmedizin in Antwerpen in Conakry ist. Und anders als in Liberia, wo im Herbst die Zivilgesellschaft die Lücken in der Seuchenbekämpfung schloss, wo Musiker und Fußballstars dabei halfen, die Bevölkerung zu mobilisieren und an jeder Ecke riesige Plakate hingen, spalte Ebola in Guinea die Gesellschaft. Einige bezweifeln immer noch, dass Ebola real ist. Patienten trauen sich lange nicht in die Behandlungszentren. Wenn es ihnen so schlecht geht, dass sie ihre Angst überwinden, verraten sie ihre Kontaktpersonen nicht. „Sie wollen ihren Familien das Stigma ersparen“, sagt Marí Sáez. „Außerdem erinnert sie die Quarantäne und die Nachverfolgung an eine Polizeiaktion.“
"Wir wissen heute nicht, was morgen ist"
Die Folge: Die meisten Patienten, bei denen Ebola diagnostiziert wird, sind auf keiner Kontaktliste vermerkt. Die Helfer entdecken ständig Übertragungsketten, von denen keiner etwas ahnte. „Alle Verantwortlichen müssen endlich mit einer Stimme sprechen“, mahnt Evers. In Guéckédou, einst der Ausgangspunkt der Epidemie, übernahm Ärzte ohne Grenzen alle Aspekte der Seuchenbekämpfung. Die Stadt sei jetzt ebolafrei. Das Behandlungszentrum in Conakry sei dagegen meist mit 15 bis 20 Patienten belegt. „Wir wissen heute nicht, was morgen ist“, sagt Evers. „Wenn man die Menschen nicht überzeugen kann, selbst mitzumachen, geht es immer so weiter“, bestätigt Borchert.
Jedes unsichere Begräbnis kann einen Dominoeffekt auslösen
Wer dieser Tage mit Almudena Marí Sáez telefoniert, spürt die Ratlosigkeit der Ethnologin. Sie möchte verlorenes Vertrauen aufbauen, den Ängsten und Sorgen der Menschen zuhören und nach Lösungen suchen. „Wir verlangen extrem viel von ihnen“, sagt sie. Jeder will sich um kranke Angehörige kümmern, möchte für die Toten ein würdiges Begräbnis, das den eigenen Traditionen entspricht. Der Tod werde in dieser Region als eine Reise gesehen. Der Verstorbene muss gewaschen werden, braucht saubere Kleidung. Er kann für andere Ahnen Dinge ins Jenseits mitnehmen. Einer Beerdigung beizuwohnen und den Körper zu berühren, ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber dem Toten, sondern auch den vorher Verstorbenen. Wird das unterbunden, fürchten die Trauernden eine Strafe. Doch die Körperflüssigkeiten von Ebolatoten sind extrem ansteckend, jeder Milliliter Blut enthält mitunter Milliarden Viruspartikel. Jedes unsichere Begräbnis kann deshalb einen Dominoeffekt auslösen. In Sierra Leone wurden in der letzten Woche 15 solcher Begräbnisse bekannt, in Guinea 20. Die meisten finden vermutlich heimlich statt.
Unmöglich: Weiße im Helferteam
Sogar in einer Stadt wie Conakry gebe es Menschen, die nicht wissen, was Ebola ist und wie man sich davor schützt, sagt Marí Sáez. „Auch wenn es nach einem solchen Jahr schwer zu glauben ist.“ Sie würde gern die Aufklärungsteams begleiten, eigene Fragen stellen. Als Weiße würde sie die ganze Gruppe gefährden, entgegnen ihr die Helfer aus Guinea.
Die Ankündigung der Präsidenten von Guinea, Sierra Leone und Liberia, dass die Länder Mitte April ebolafrei sein sollen, sei in diesem Umfeld problematisch. „Man kann kein Datum geben. Das verwirrt noch mehr und verstärkt den Eindruck, dass Politiker die Seuche für ihre Zwecke benutzen“, meint sie. Etwa um sich Hilfsgelder zu erschleichen, wie ein hartnäckiges Gerücht besagt.
Ende der Epidemie? Vielleicht in der zweiten Jahreshälfte
Und wann wird die Epidemie vorbei sein? Borchert schüttelt den Kopf. „Wenn wir den letzten Kranken und alle seine Kontakte gefunden haben“, sagt er. Vielleicht in der zweiten Jahreshälfte, wenn die Bevölkerung mithilft und sich niemand mehr versteckt. Auf keinen Fall dürfe die internationale Gemeinschaft nachlässig werden.
Der politische Wille sei da, bekundeten am Dienstag mehr als 600 Delegierte aus 70 Ländern, die in Brüssel an einer Ebolakonferenz auf Regierungsebene teilnahmen. Die grenzüberschreitende Entsendung von Ärzten, Laboranten und anderen Helfern werde fortgesetzt, bis die Zahl der Neuinfektionen Null betrage.
„Aber es sind alle müde. Auf einen so langen Einsatz war niemand gefasst“, sagt Borchert. Und im April beginnt die Regenzeit. Dann werden viele Straßen unpassierbar, die Logistik noch schwerer.