Lernen im Bachelor: Was Studierende kompetent macht
Diversity und Management: Dozenten bescheinigen Studierenden regelmäßig Schlüsselqualifikationen, ohne zu wissen, ob diese überhaupt erworben wurden. Was sich ändern müsste. Ein Gastbeitrag von Peter Wex.
Formell ist alles in Ordnung. Mit den neuen Studiengängen Bachelor und Master erwerben die Studierenden einen berufsqualifizierenden Abschluss und überfachliche Kompetenzen. Zu vermitteln sind beispielsweise Team-und Konfliktfähigkeit, Gender- und Diversitykompetenz oder Management- und Methodenkompetenz. Bei einem sechssemestrigen Studiengang mit angenommenen 30 Modulen hat also jeder Studierende regelmäßig 30 Kompetenzprüfungen zu absolvieren. Hochgerechnet auf alle Studierenden an deutschen Hochschulen werden dann am Ende jeden Semesters Millionen Mal Kompetenzen geprüft und festgestellt. Konkretes Ergebnis: mit dem erfolgreichen Abschluss des Moduls wird jedem Absolventen bescheinigt, er habe die beschriebenen Kompetenzen auch erworben.
Und wie sieht die Wirklichkeit nach 15 Jahren Bologna-Reform aus? In der letzten Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags bei 2000 Unternehmen beklagt über die Hälfte, ihre Erwartungen an die Bachelor-Absolventen hätten sich nicht erfüllt. In den Hochschulen zweifeln die Lehrenden oft, wenn sie am Ende ihrer Anstrengungen jedem einzelnen Studierenden bescheinigen (müssen), diese hätten neben den fachlichen auch persönliche und soziale Kompetenzen erworben. Ob jemand lesen kann, lasse sich feststellen. Aber ob jemand im Team arbeiten, Menschen führen oder Veränderungen managen könne – wie solle sich das feststellen lassen?
Doch wer wollte einem Modulkandidaten die Note verweigern, weil dieser die überfachlichen Kompetenzen nicht erworben habe?
"Woher wissen wir, was wir tun?"
Im House of Competence – wo sonst – wurde zum zehnjährigen Bestehen des Zentrums in Karlsruhe im September 2017 daher die Frage gestellt: „Woher wissen wir, was wir tun?“ Die ehrliche Antwort am Ende: Nein, wir wissen nicht, wie Schlüsselqualifikationen erworben werden – aber wir bestätigen es. Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz und Vizepräsidenten für Lehre nicken verständnisvoll.
Das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland hat die Hochschulen schon mehrfach und dringend aufgefordert, Instrumente zur Feststellung zu entwickeln (Wissenschaftsrat, 2015). In der Hochschullandschaft Deutschland haben sich Einrichtungen in einem Ausmaß vermehrt, das für Bildungsangebote höchst ungewöhnlich ist: die Einrichtung von Zentren für Schlüsselqualifikationen (-kompetenzen). Aktuell können an den Hochschulen 167 Einheiten identifiziert werden, die Schlüsselqualifikationsveranstaltungen anbieten (Erhebung des Karlsruher Instituts, 2017), Tendenz steigend. Die Vielfalt reicht von Hochschuldidaktikzentren und Career Services bis hin zu Angeboten von Einzelpersonen. Mit den dort angebotenen Lehrveranstaltungen sollen die individuelle Bildung und Orientierungswissen für alle Studierenden gefördert werden.
In Ansätzen gelingt es beim problemorientierten Lernen
Kompetenz bedeutet die Fähigkeit, komplexe Anforderungen in spezifischen Situationen bewältigen zu können. Mit dieser Festlegung müssten gravierende Folgen für die Lehre verbunden sein. Doch etwa 80 bis 90 Prozent aller Prüfungen werden mittels Klausuren und Hausarbeiten erbracht, also mit Prüfungsformen, mit denen erwiesenermaßen situationsabhängige Fähigkeiten gar nicht dargestellt, geschweige festgestellt und geprüft werden können. In Ansätzen gelingt das beim problemorientierten Lernen, dem Konzept des Leuphana Kollegs in Lüneburg oder dem Kompetenztest „Kode“.
Was muss geschehen? 1. Die Schlüsselkompetenzen sollten durch realistische Prüfungsformate unterlegt werden. 2. Der Erwerb einer überfachlichen Schlüsselkompetenz durch eine einzelne Lehrveranstaltung erscheint hoch problematisch. Überzeugender wäre eine systematische Zusammenstellung aus allen Lehrveranstaltungen. 3. Diejenigen Einrichtungen sind zu fördern, die das Ziel verfolgen, den Kompetenzerwerb im Verlaufsprozess abzubilden. Damit könnte die Fähigkeit nachgewiesen werden, situationsangemessen handeln zu können. Wann wird das nächste Zentrum für lebendige Schlüsselqualifikationen gegründet?
Peter Wex ist Hochschulexperte und Bildungsforscher.
Peter Wex