Trotz Spritze mit Corona infiziert: Was Impfdurchbrüche bedeuten und welche Folgen sie haben
Auch Geimpfte können sich mit Corona infizieren, sie erkranken aber seltener und weniger schwer. Für Ungeimpfte hat dies ebenfalls Konsequenzen.
Vollständig gegen Corona geimpft und trotzdem infiziert oder gar erkrankt: Die Zahl solcher Fälle steigt und verunsichert viele Menschen. Doch derartige Infektionen sind kein Zeichen dafür, dass die Spritzen nicht wirken, wie Experten betonen. Geimpfte würden immer noch ein deutlich geringeres Risiko haben, zu erkranken oder gar zu sterben. Tatsächlich müssen sich angesichts solcher Infektionen von Geimpften vor allem diejenigen Sorgen machen, die bislang noch nicht geimpft wurden.
Dass sich überhaupt geimpfte Menschen infizieren können, ist für Wissenschaftler keine Überraschung. „Wir wussten von Anfang an, dass die Impfung nicht zu 100 Prozent wirksam ist: Selbst in den Zulassungsstudien hatten sich vollständig Geimpfte infiziert“, erklärt Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund. Deswegen träten nun natürlich mehr und mehr Durchbruchsinfektionen auf, je mehr Menschen immunisiert würden.
Auch der Infektionsimmunologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité betont, dass eine gewisse Zahl solcher Infektionen erwartbar gewesen sei: „Gerade bei einem respiratorischen Erreger, der die oberen Atemwege befällt, sich dort vermehrt und auch von dort weitergegeben wird, ist es schwierig, eine sterile Immunität herzustellen.“ Von dieser spricht man, wenn sowohl die Ansteckung mit einem Erreger als auch dessen Weitergabe komplett unterbunden werden.
Das Robert Koch-Institut (RKI) definiert einen wahrscheinlichen Impfdurchbruch als Sars-CoV-2-Infektion mit Krankheitssymptomen, die bei einem vollständig geimpften Menschen mittels PCR oder Erregerisolierung diagnostiziert wurde. Dabei werde ein vollständiger Impfschutz angenommen, wenn nach einer abgeschlossenen Impfserie – also zwei Dosen der Moderna-, Biontech- oder Astrazeneca-Vakzine bzw. einer Dosis des Johnson & Johnson-Impfstoffs – mindestens zwei Wochen vergangen seien.
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Dem RKI zufolge gab es seit Beginn der Impfkampagne bis zum 17. August 13.360 symptomatische Impfdurchbrüche. Bundesweit waren bis dahin 48 Millionen Menschen vollständig geimpft. Allerdings waren noch nicht bei allen davon die zwei Wochen nach der letzten Impfung vergangen.
Nicht gut erfasst werden können Infektionen von vollständig Geimpften, die ohne Symptome verlaufen: „Solche Infektionen würden sich nur per Zufall detektieren lassen, weil sich Geimpfte kaum testen lassen“, erläutert Watzl, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie ist. Und selbst bei symptomatischen Infektionen gebe es sicherlich noch eine Dunkelziffer: „Bei Geimpften besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie Symptome nicht mit Corona in Verbindung bringen, deswegen keinen Arzt aufsuchen und sich nicht testen lassen.“
Dabei stelle die Zahl der Impfdurchbrüche ein wichtiges Maß dar, um festzustellen, wie effektiv die Impfungen tatsächlich schützten. „Hier sehen wir zwei Dinge: Zum einen, dass die Anzahl dieser Durchbruchsinfektionen immer noch den kleineren Teil der Gesamtinfektionen ausmacht, obwohl die Gruppe der Geimpften den größeren Teil bildet. Und daraus kann man ableiten, dass die Impfung vor der Infektion schützt.“
Zum anderen fielen Infektionen bei Geimpften deutlich milder aus, so der Immunologe: „Wir reden in Deutschland von einem Schutz vor symptomatischer Infektion, der zwischen 80 und 90 Prozent und bei schweren Infektionen noch darüber liegt. Das erklärt, warum auf den Intensivstationen fast ausschließlich die Ungeimpften liegen.“
Dazu passen die Ergebnisse einer Preprint-Studie (einer nicht von Experten geprüften Arbeit) aus Indien mit 495 teilweise oder vollständig geimpften Personen sowie 666 ungeimpften Menschen, die alle mit einer Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus kamen. Sowohl der Schweregrad der Erkrankung als auch der Bedarf an Beatmungsunterstützung war in der geimpften Gruppe deutlich niedriger, obwohl sich in dieser mehr Menschen höheren Alters sowie solche mit Risikofaktoren befunden hatten. Noch dazu war bei den vollständig Geimpften die Sterblichkeitsrate signifikant geringer.
Nicht zuletzt listet das RKI seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland insgesamt 1871 Todesfälle infolge von Covid-19 in der Gruppe der 18- bis 59-Jährigen auf, aber nur einen Todesfall einer voll immunisierten Person in der gleichen Altersgruppe.
Auch Sander betont, dass das Risiko, schwer zu erkranken, bei vollständig Geimpften bedeutend kleiner sei. Dabei spiele aber eine Rolle, wie lange die Impfung schon zurück liege und ob man einer Risikogruppe angehöre. So zeigte etwa eine Studie aus Israel vor kurzem, dass nur sechs von 152 Patienten, die trotz Impfung an Covid-19 erkrankten, zuvor gesund waren.
Alle anderen hatten zum Teil schwere Vorerkrankungen, darunter Bluthochdruck, Diabetes, chronisches Nierenversagen, Krebs sowie Herz- oder Lungenleiden. Ein weiterer Faktor war ein geschwächtes Immunsystem, zum Beispiel aufgrund einer Organtransplantation oder einer Chemotherapie.
Ebenso stellt das Alter einen wichtigen Aspekt dar. So heißt es im RKI-Bericht: „Unter den insgesamt 335 Covid-19-Fällen mit Impfdurchbrüchen, die verstorben sind, waren 279 (84 Prozent) 80 Jahre und älter.“ Das spiegele das generell höhere Sterberisiko – unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe - für diese Altersgruppe wider.
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Nichtsdestotrotz scheint es auch Impfspezifika für über 60-Jährige zu geben. So berichtet Watzl, dass es ältere Menschen – oder auch Patienten mit geschwächtem Immunsystem – gebe, die zwar zweimal geimpft wurden aber dennoch keine oder nur eine schwache Immunität entwickelt haben. „Diese Personen gelten zwar als geimpft und geschützt, haben aber eigentlich einen geringen bis gar keinen Schutz und ein entsprechendes Risiko, bei einer Infektion schwer zu erkranken.“ Der Anteil solcher „Impfversager“ liege unter Älteren bei vermutlich fünf Prozent.
Hinzu kommt, ergänzt Sander, dass bei Älteren nach einer Impfung im Durchschnitt weniger Antikörper gebildet würden und deren Spiegel wahrscheinlich auch schneller wieder sinke. Genauere Zahlen dazu werde seine Forschungsgruppe in Kürze in einem Preprint veröffentlichen.
Da Ältere zudem als erstes geimpft wurden und ihre Impfungen entsprechend weit zurückliegen, sei die Empfehlung einer dritten „Booster“-Impfung für diese Gruppen wie auch für besonders Gefährdete „unbedingt nachvollziehbar und medizinisch auch absolut indiziert“, so Sander. Tatsächlich hat Bayern bereits Mitte August begonnen, Drittimpfungen an Menschen aus Risikogruppen zu verabreichen, ab September sollen auch die übrigen Bundesländer folgen.
Eine solche Booster-Impfung könnte darüber hinaus einen besseren Schutz vor neuen Virus-Varianten wie der derzeit als besonders pandemietreibend geltenden Delta-Variante bieten. Diese gilt nicht nur als ansteckender. In Studien zeigte sich auch, dass die Viruslast bei geimpften Infizierten zumindest anfangs genauso hoch ist wie bei Ungeimpften.
Dabei wurde jedoch nur gemessen, welche Menge vorhanden war. „Die Studien untersuchten nicht, ob es sich auch um ansteckendes Virus handelt. Das ist aber entscheidend für die Frage, ob jemand es weitergeben kann“, erläuterte vor einiger Zeit dazu der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin.
„Es kann Unterschiede geben im zeitlichen Verlauf der Viruslast und bei der Frage, wie lebensfähig und infektiös dieses Virus ist, aber: Ein infizierter Geimpfter ist sicherlich nicht „gar nicht“ ansteckend“, betont auch Immunologe Watzl. Damit sei auch die Herdenimmunität nahezu unmöglich geworden: „Der einzelne Geimpfte ist gewiss deutlich besser geschützt als ein Nicht-Geimpfter, dieser wiederum kann sich aber nicht mehr darauf verlassen, geschützt zu sein, weil um ihn herum alle geimpft sind.“
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Auch Sander warnt gerade angesichts der Delta-Variante davor, dass Geimpfte das Virus unwissentlich verbreiten könnten: „Deswegen sollten auch Geimpfte in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Nahverkehr weiter eine Maske tragen und sich regelmäßig testen lassen, wenn sie in sensiblen Bereichen arbeiten.“
Das Testen von Geimpften würde darüber hinaus die Datenlage zu den Impfdurchbrüchen verbessern, ergänzt Watzl, denn für genauere Erkenntnisse zu diesen seien weitere Studien nötig – ebenso wie etwa zur Frage, ob Durchbruchsinfektionen das Long-Covid-Syndrom auslösen können. Sander hält die entsprechende Gefahr für eher gering, belastbare Aussagen könnten dazu allerdings noch nicht getroffen werden.
Wesentlich klarer sei hingegen, so der Infektiologe, dass wir alle bis Ende kommenden Jahres mit dem Virus – sei es nun Delta oder eine andere Variante – in Kontakt kommen würden: „Entweder wir sind dann geimpft, so dass dieser Kontakt wie eine Impfauffrischung wirkt und wir gar nichts oder nur wenig von der Infektion merken, oder wir sind ungeimpft und haben einen Erstkontakt mit dem Virus – und damit das Risiko, schwer zu erkranken.“ (dpa)