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Forschen in der Staatsbibliothek Unter den Linden (Archivbild).
© picture alliance / dpa

Zur Debatte ums Berliner Hochschulgesetz: Diese Anforderungen können die Unis so nicht erfüllen

Mehr Dauerstellen, aber wie? Das Berliner Hochschulgesetz hat Widersprüche - und die Umsetzung würde eine große finanzielle Lücke reißen. Ein Gastbeitrag.

Im Zusammenhang mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz ist der Streit über die Umsetzung der Postdoc-Regelung, kulminierend im Rücktritt von HU-Präsidentin Sabine Kunst, heftig entbrannt. Diese Regelung besagt, dass wissenschaftliche Mitarbeiter:innen nach der Promotion nur noch einmal befristet beschäftigt werden dürfen.

Danach muss eine Überführung in eine Dauerstelle erfolgen - entweder im Rahmen einer sogenannten Tenure-Professur, die nach Erfüllung entsprechender Qualifikationsvoraussetzungen in die Entfristung mündet, oder nach Erbringung festgelegter wissenschaftlicher Leistungen auf einer unbefristeten Mittelbaustelle mit Lehr- und Forschungsaufgaben.

Der Konflikt betrifft die finanzielle Realisierbarkeit

Der Konflikt zwischen den Hochschulen und den Berliner Regierungsfraktionen, die das Gesetz kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode unter Zeitdruck verabschiedet haben, betrifft weniger das Ziel der Regelung als ihre finanzielle Realisierbarkeit.

Klar ist allen Beteiligten, dass mehr Geld nötig ist, um für junge Wissenschaftler:innen bessere Karrierechancen zu verwirklichen. Der Senat verweist darauf, dass dem durch die Zusicherung eines Budgetaufwuchses von 3,5 Prozent im kommenden Doppelhaushalt und die Zusage einer Verstetigung dieses Aufwuchses in den nachfolgenden Jahren Rechnung getragen sei.

3,5 Prozent Steigerung bedeuten bei einem durchschnittlichen Jahresbudget von 300 Millionen Euro, wie es als aktueller Mittelwert der drei großen Berliner Universitäten zugrundegelegt werden kann, für 2022 eine Erhöhung um 10,5 Millionen Euro mit moderaten Steigerungseffekten in den kommenden Jahren. Dass eine solche Zusage jedoch nicht annähernd ausreicht, um die Erwartungen des Gesetzgebers im Blick auf neue Dauerstellen zu erfüllen, zeigt das folgende überschlägige Rechenbeispiel.

Zum Stichtag 1.11.2021 sind an jeder der drei Berliner Universitäten 100 Postdocs auf Haushaltsstellen für die Dauer von drei Jahren befristet beschäftigt - eine idealtypische Annahme, die vorsichtshalber deutlich unter dem faktischen Stellenzahlenniveau liegt.

Ab 2024 jährlich 3,9 Millionen Euro zusätzlich

Gehen wir von einer optimistischen Prognose aus, dann wechselt die Hälfte von ihnen nach Ende ihres Vertrags auf eine Professur oder eine Position außerhalb der Universität. Für 50 Postdocs müssten nun nach Auslaufen des Vertrags im Zeitraum bis 2024 Dauerstellen geschaffen werden.

Aus Vereinfachungsgründen legt das Rechenbeispiel nicht die teurere Tenure-Professur, sondern eine unbefristete Mittelbaustelle zugrunde. Ab 2024 muss die Universität für diese 50 Dauerpositionen jährlich 3,9 Mio Euro zusätzlich ausgeben. Wenn die betreffenden Personen zum Zeitpunkt des Eintritts in die permanente Beschäftigung ca. 40 Jahre alt sind, dann bedeutet das, dass sie ungefähr im Jahr 2050 pensioniert werden.

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Die Erfahrung zeigt, dass die Fluktuation bei dieser Art akademischer Stellen gegen null geht, mithin also die 50 Postdocs bis zum Eintritt ins Rentenalter an derselben Hochschule verbleiben. Innerhalb des hier beschriebenen Zyklus hat die betreffende Universität nun aber weitere Entfristungen vorzunehmen.

So erhöht sich der Stellenetat

In den 27 Jahren, in denen die erste Postdoc-Gruppe auf einer Dauerposition verbleibt, müssten neunmal Entfristungen von jeweils 50 Personen erfolgen, wenn man nachrückenden Generationen nicht entsprechende Karrierechancen vorenthalten wollte.

Der Stellenetat erhöht sich dann bis 2027 auf 7,7, ab 2030 auf 11,6 Millionen Euro pro Jahr. Bis 2050, dem Jahr des Ausscheidens der ersten Gruppe, beläuft sich die Summe der Mehrkosten für insgesamt 450 neue Stellen - über deren objektiven akademischen Bedarf hier nicht zu sprechen ist - auf 520 Mio Euro.

Der Autor: Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Der Autor: Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
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Gehen wir voller Optimismus und nicht unbedingt realitätsnah davon aus, dass die Berliner Hochschulen ab 2023 jährlich 3,5 Prozent mehr Budget erhalten, so würde das einen Zuwachs von rund 485 Millionen Euro pro Universität bis 2050 bedeuten.

Eine Deckungslücke von 35 Millionen Euro

Es bleibt also selbst in diesem Fall eine erhebliche Deckungslücke von 35 Millionen Euro - über ein Zehntel des aktuellen Gesamtetats jeder der drei großen Berliner Universitäten -, die eine entsprechende Umsetzung des Hochschulgesetzes verhindert.

Hinzu kommt, dass der Etataufwuchs nicht ausschließlich in neue Stellen investiert werden kann. Expandierende Energiekosten, die Unterhaltung der Infrastruktur und die regulären Personaltarifsteigerungen bedeuten für jede Hochschule in Zukunft erhebliche Belastungen, die im Budget aufgefangen werden müssen.

Wie man aus dem Dilemma herausfinden kann

Das Berliner Hochschulgesetz stellt also im Hinblick auf die Entfristungsthematik Anforderungen an die Universitäten, die diese schlechterdings nicht erfüllen können. Es gibt drei Möglichkeiten, aus dem Dilemma herauszufinden.

Erstens: Die Hochschulen reduzieren die Zahl ihrer befristeten Postdoc-Stellen drastisch, weil sie die aus ihnen abgeleiteten Beschäftigungskonsequenzen nicht tragen können. Diese Maßnahme wäre unfair gegenüber der jungen Generation nachrückender Wissenschaftler:innen, deren Karrierechancen nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert werden, ist aber notwendig, wenn die Rechtslage unverändert bleibt.

Zweitens: Das Land Berlin lässt sich auf eine angemessene Finanzierung ein, die es den Hochschulen erlaubt, ihren neuen gesetzlichen Auftrag auch zu erfüllen. Das muss eine realistische, belastbare Planung und vor allem jene Langfristigkeit einschließen, die geboten ist, damit nicht nur eine Generation in den Genuss guter Karriereaussichten kommt.

So wie bisher kann die Situation nicht bleiben

Drittens: Der neue Berliner Senat ändert unverzüglich das Gesetz und befreit die Hochschulen von der Zumutung, eine rechtliche Regelung ohne angemessene Rahmenbedingungen verwirklichen zu müssen. Eins ist jedenfalls klar: So bleiben wie bisher kann die Situation keinesfalls.

Denn mit Optimismus und Spucke, wie es Annette Simonis und Tobias Schulze in ihrem Tagesspiegel-Artikel vom 2.11. nahelegen, lässt sich nicht bewältigen, was auf Seiten des Hochschulgesetzgebers handwerklich unzureichend und inhaltlich unausgegoren geblieben ist.

Peter-André Alt

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