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Bei einer Demonstration tragen Studierende ein Schwein aus Pappmaché.
© picture-alliance / dpa/dpaweb

Uni-Geschichte in der Nussschale: Was Erstsemester wissen müssen

Die 68er, Hochschulautonomie – und die alte Gebühren-Debatte: Wovon Studienanfänger wenigstens mal gehört haben sollten. Eine Einführung von Tagesspiegel-Kolumnist George Turner.

Endlich Studentin, endlich Student – aber keine Ahnung von der Uni? Tagesspiegel-Kolumnist George Turner erklärt, was Greenhörner wissen müssen – mindestens! Turner kennt sich aus: Er war Jura-Professor, Universitäts-Präsident, Chef der Rektorenkonferenz, Berliner Wissenschaftssenator (parteilos für die CDU von 1986 bis 1989) und hat mehrere Bücher über Hochschulen verfasst. (Tsp)

Was die 68er geleistet haben – nüchtern betrachtet

Für manche sind die 68er an allem schuld, für andere sind es Helden. Als „68er“ bezeichnet man Personen, die sich mit den Zielen der politisch aktiven Studenten dieser Zeit identifizierten. Von Berkeley/Kalifornien, wo der Protest sich gegen den Vietnam-Krieg richtete, ergoss sich die Welle über Paris nach Berlin. Das war wohl kein Zufall. Wegen des Viermächte-Status unterlagen die Einwohner von West-Berlin nicht der Wehrpflicht. Das zog Wehrdienstverweigerer und „Linke“ besonders an. Als am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten beim Besuch des Schahs von Persien erschossen wurde, war dies der Auslöser für Gewalt.

An den Universitäten waren schon vorher marxistische Gruppen erstarkt, die den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik lediglich für ein temporäres Produkt hielten und die große Koalition ablehnten. Die APO (Außerparlamentarische Opposition) hatte ihre prägenden Kräfte im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), von dem sich die SPD schon 1961 getrennt hatte. Allerdings weigerten sich die 68er, allen voran ihr prominenter Exponent Rudi Dutschke, festumrissene Gegenentwürfe zur kapitalistischen Gesellschaft zu machen. Fest stand nur, dass man „anti“ war: antifaschistisch, antikapitalistisch und antiimperialistisch. Die Situation steigerte sich zu Meinungsterror, kriminellen Bedrohungen von Hochschullehrern und der Lahmlegung des Lehrbetriebs.

Wenn der Eindruck erweckt wird, die 68er-Bewegung hätte eine Reform der Universität in Gang gesetzt, muss das deutlich relativiert werden. Schon Jahre vorher waren wichtige Anstöße aus dem Wissenschaftsrat gekommen, so etwa zur Studienreform und zur Leitungsstruktur von Universitäten. Reformer der ersten Stunde hinsichtlich des quantitativen Ausbaus von Schulen und Hochschulen waren ausgerechnet konservative Politiker, wie Wilhelm Hahn und Paul Mikat.

Da die 68er die Universität mit ihren Dauerprotesten massiv geschwächt haben, sind sie jedenfalls mit dafür verantwortlich, dass die Bürokratie das Vakuum für sich nutzte. Die Hochschule wurde unmittelbar und distanzlos eine Einrichtung des Staates.

Den 68ern ist der angekündigte „Marsch durch die Institutionen“ über den Journalismus, die Lehrerschaft, Kirche, Justiz und Verwaltung zum Teil durchaus geglückt (man denke an die Grünen-Politiker Joschka Fischer und Jürgen Trittin). Auch beeinflussten die 68er Lebensstile und Umgangsformen. Das führte zu Verlust von Autorität und von bis dahin allgemein gültigen Maßstäben in manchen Lebensbereichen.

Was es mit der "Gruppenuniversität" auf sich hat

Ende der sechziger Jahre entstand die „Gruppenuniversität“, in der Begriffe wie Mitbestimmung, Demokratisierung und Transparenz die zentrale Rolle spielten. Der Mittelbau, die Studierenden und die sonstigen Mitarbeiter sollten stärker beteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht setzte dem 1973 eine Grenze, die bis heute gilt: In Fragen, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen, muss die Gruppe der Professoren eine Mehrheit gegenüber allen anderen Gruppen haben. Immer wieder wird versucht, diesen Grundsatz durch kreative Vorschläge für eine neue Hochschulverfassung zu umgehen. Vergeblich. Die Gerichte orientieren sich weiter an dem Urteil aus Karlsruhe.

Warum die Ordinarien ausgestorben sind

Professoraler Glanz, Macht und Autorität verbinden sich mit dem Begriff Ordinarius. Es ist die Abkürzung für die früher übliche Amtsbezeichnung professor ordinarius (ordentlicher Professor). Bis in die sechziger Jahre werden Ordinarien berufen, um allein ein ganzes wissenschaftliches Fach zu vertreten. Von ihrem symbolischen „Lehrstuhl“ aus dirigieren sie andere Professoren und Mitarbeiter. Wenn manche Professoren sich noch heute als Ordinarius bezeichnen oder von ihrem „Lehrstuhl“ sprechen, entspricht das nicht der Rechtslage. Denn Ordinarien sind mit der Reform des Hochschullehrerrechts in den siebziger Jahren abgeschafft worden. Die Machtfülle der Ordinarien barg die Gefahr der wissenschaftlichen Einseitigkeit. Auch differenzierten sich die Fachgebiete immer weiter aus, so dass nicht mehr einzelne Mandarine über allen anderen Professoren thronen können.

So wie es heute „selbsternannte“ Ordinarien unter den Professoren gibt, so gibt es unter den Ruheständlern in der Professorenschaft selbsternannte Emeriti. Emeritierte (lat.: ausgediente) Professoren bleiben Beamte, wenn sie in den Ruhestand gehen, haben deren Rechte und Pflichten und erhalten weiter ihre volle Besoldung, sind aber vom Dienst entpflichtet. Dies trifft nur noch auf Professoren zu, die vor einigen Jahrzehnten berufen wurden. Alle anderen sind im Ruhestand: Prof. i.R. und eben nicht Prof. em.

Bildungsexpansion - warum heute so viele studieren

Innerhalb von 50 Jahren ist die Zahl der Studierenden von 300 000 auf heute 2,7 Millionen gestiegen. Diese Entwicklung begann mit der großen Bildungsexpansion Anfang der sechziger Jahre. In der Öffentlichkeit und bei der Politik hatte sich die Ansicht durchgesetzt, der wirtschaftliche Aufschwung werde ohne qualifizierten Nachwuchs zum Erliegen kommen, die Bundesrepublik nicht mehr konkurrenzfähig sein. Der Pädagoge Georg Picht prägte dafür 1964 den Begriff „Bildungsnotstand“.

Die Zahl der Studierenden wuchs rasant – die der Wissenschaftler auch. Zwischen 1970 und 1975 wurden die Ausgaben für Hochschulen verdoppelt. Dann bremste die Ölkrise den Boom. Um die Hochschulen trotzdem offen zu halten, fassten Bund und Länder 1977 den „Öffnungsbeschluss“. Die Kapazitäten sollten erschöpfend genutzt, die Aufnahmefähigkeit der Hochschulen durch „Überlastquoten“ erweitert werden.

1980 gab es bereits eine Million Studenten in der Bundesrepublik, nach der Wiedervereinigung 1,5 Millionen. Selbst Fachpolitiker verschätzten sich komplett. Sie erwarteten, dass die Zahlen im Laufe der neunziger Jahre deutlich zurückgehen würden. Dem zeitweiligen „Studentenberg“ wollte man mit der „Untertunnelung“ begegnen. Das heißt, es sollte trotz zunehmender Zahlen von Studierenden keine zusätzlichen Mittel geben. Bis heute fahren die Hochschulen eine Überlast. In regelmäßigen Abständen wehren sich die Studierenden mit großen „Streiks“ gegen die Unterfinanzierung.

Wie die Hochschulen mehr Autonomie erlangten

Die Regierungen von Bund und Ländern hatten in ständig novellierten Hochschul(rahmen)gesetzen versucht, den Hochschulen ihren politischen Stempel aufzudrücken. Es kam zu zig unterschiedlichen Regelungen und mancher Überregulierung. Darum war es konsequent, dass Roman Herzog als Bundespräsident 1997 in seiner Berliner Rede forderte, die Universitäten „in die Freiheit zu entlassen“.

Das war dringend nötig, führte aber zwangsläufig zu einer noch größeren Unübersichtlichkeit in der Hochschullandschaft. War noch in die sechziger Jahre hinein die Stärke der deutschen Universität ihre weitgehend gleichwertige Qualität gewesen, hat sich dies seit geraumer Zeit geändert. Heute versucht man darum, mit fragwürdigen Rankings oder „Exzellenz-Labels“ den Überblick zu gewinnen.

Innerhalb einer Hochschule machte die neue Autonomie vom Staat neue Aufsichtsgremien nötig, genannt Hochschulrat oder Kuratorium. An den Hochschulräten wird immer wieder Kritik geübt, vor allem, wenn sie überwiegend mit externen Mitgliedern besetzt sind und viel Macht haben, etwa, indem sie bei der Wahl von Präsidenten oder Rektoren die Weichen stellen. Manche sehen darin einen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit und das Recht auf akademische Selbstverwaltung. Schon werden die Hochschulräte in manchen Ländern wieder entmachtet.

Warum bald wieder über Studiengebühren diskutiert werden wird

In der Bundesrepublik wurden die Gebühren seit Anfang der siebziger Jahre schrittweise abgeschafft. Bald wurde aber über ihre Wiedereinführung debattiert. Im Jahr 1995 bekam das Thema ungeahnten Schwung durch den damaligen bildungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Glotz, der sich vehement für Gebühren einsetzte. Kurz darauf zog auch die Hochschulrektorenkonferenz Gebühren in Betracht. Demgegenüber sah sich die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) dazu veranlasst, Studiengebühren bundesweit präventiv zu verbieten. Sie scheiterte 2005 vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis auf Rheinland-Pfalz und Berlin begannen die „alten“ Bundesländer Gebühren in Höhe von 500 Euro bis 900 Euro (für Langzeitstudierende in Hessen) einzuführen.

In Wahlkämpfen waren die Gebühren wenig populär. Die Regierungen, die sie eingeführt hatten, wurden zum Teil abgewählt, zum Teil gaben sie von selbst nach. Seit dem Wintersemester 2014/2015 erhebt kein Bundesland mehr Studiengebühren. Man kann sich aber sicher sein, dass das Thema Studiengebühren bald wieder die Gemüter erhitzen wird.

Warum Bologna richtig war

Lange hat man sich in Deutschland der Illusion hingegeben, in der Massenuniversität könne jeder weiter wie zu Humboldts Zeiten in einem kaum verschulten Studium nach Belieben studieren. Überlange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten waren die Folge. Ende der neunziger Jahre ergab sich eine Chance, daran grundlegend etwas zu ändern. Die Bildungsminister der EU verpflichteten sich 1999 in der Bologna-Erklärung zu dem Ziel, bis 2010 vergleichbare Studienabschlüsse in Europa zu schaffen. Nach nur drei Jahren sollte ein erster Studienabschluss erreicht sein, der Bachelor, auf ihn sollte der Master aufbauen.

Die deutschen Studierenden begannen aber schon bald über die zu große Stoff- und Prüfungsdichte zu klagen – ein Hauptgrund für die Proteste der Studierenden mit Vorlesungsboykott von 2009. Zu viele Professoren hatten versucht, ihrem jeweiligen Fachgebiet in den neuen Studienordnungen einen prominenten Platz zu verschaffen, indem der bisher angebotene Stoff in eine kürzere Zeit gepresst wurde statt das Studienkonzept an der Zeitvorgabe zu orientieren. Wenn der Trend trotz Bologna heute wieder zu überlangen Studienzeiten geht, liegt darin ein wesentlicher Grund. 2,7 Millionen Studierende verlangen nach einem anderen Studiensystem als die 300 000 früherer Zeiten.

Empfehlung zum Weiterlesen: George Turner – Von der Universität zur university. Sackgassen und Umwege der Hochschulpolitik seit 1945. Berliner Wissenschafts-Verlag; 93 Seiten, 19 Euro.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de

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