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Vier Wochen nach der Flutkatastrophe (linkes Bild) laufen in der Altstadt von Ahrweiler noch immer die Aufräumungsarbeiten nach der Überschwemmung (rechtes Bild).
© Thomas Frey/dpa

Der Sturzflut zuvorkommen: Warnungen vor der Flutkatastrophe wurden unterschätzt

Hat bei der Flutkatastrophe in Deutschland das EU-Frühwarnsystem versagt? Den betroffenen Menschen fehlte es teils an lebensrettenden Informationen.

Sturzfluten sind kleinräumig aber gefährlich. Die plötzlich auftretenden Hochwasserereignisse haben extreme Wucht, die Autos mitreißen und Gebäude zerstören kann. Die Bilder aus den im Juli überschwemmten Gebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeugen davon. Für Menschen bedeuten die Wassermassen Lebensgefahr. Infolge der Hochwasser sind mehr als 180 Menschen gestorben.

Rechtzeitige Hochwasserwarnungen können Leben retten und auch die verursachten Schäden begrenzen. Doch sie müssen bis zu den Gefährdeten gelangen und das hat nach Expertenansicht nicht funktioniert, wie Informationen des Europäischen Flutwarnsystems EFAS zeigen sollen, die jetzt öffentlich zugänglich gemacht wurden.

„Es war eine schallende Ohrfeige für das Risikomanagement“, sagt Annegret Thieken, die am Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam die Arbeitsgruppe „Geographie und Naturrisikenforschung“ leitet. Die extremen Ereignisse seien unterschätzt worden.

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Extremereignis übertraf Warnungen

Dabei hatte sich die Katastrophe angekündigt. Es begann mit der Wettervorhersage für den 13. und 14. Juli, die starke Niederschläge ankündigte. Bei Starkregen fällt so schnell so viel Wasser, dass der Boden es nicht aufnehmen kann und es größtenteils oberflächlich abfließt. Große Abflusswellen können dann die Pegel vor allem kleiner Flüsse schnell ansteigen lassen.

EFAS hat bereits am Samstag den 10. Juli, vier Tage vor der Katastrophe in der Nacht auf den 15. Juli davor gewarnt, dass es zu Sturzfluten kommen könne. Das Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz setzte am 14. Juli die Hochwasser-Warnstufe für die Ahrregion mittags auf Rot und am späten Nachmittag auf die höchste Warnstufe „Violett“. Die für den Katastrophenschutz zuständigen Gemeinden reagierten jedoch meist zu spät.

„Viele Menschen sind gestorben, obwohl man sie rechtzeitig in Sicherheit hätte bringen können“, sagte Hannah Cloke von der britischen Universität Reading. Man müsse aufklären, wie es dazu kommen konnte und entsprechende Lehren daraus ziehen, forderte sie in einer Mitteilung der Universität bereits am 20. Juli. Die Vorhersagen und Warnungen seien akkurat gewesen und in einigen Gebieten seien richtige Maßnahmen ergriffen worden. Aber insgesamt habe das System versagt. Cloke gründet ihre Vorwürfe auf die frühzeitig ausgegebene EFAS-Warnung.

Bisher ließen sich diese kritischen Aussagen nicht überprüfen. Die Frühwarnkarten der EFAS werden von dem EU-geförderten Copernicus Emergency Management Service an 141 Institutionen geschickt, darunter auch das Landesamt für Umwelt in Rheinland-Pfalz. Sie werden aber erst nach vier Wochen öffentlich zugänglich gemacht. War die EFAS-Warnung konkret genug, um vor Ort Schutzmaßnahmen zu ergreifen?

„Das Potenzial für extreme Niederschlagsmengen war fünf Tage zuvor zu erkennen“, sagt Bernhard Mühr, externer wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology am Karlsruher Institut für Technologie. Es komme selten vor, dass die Modellerwartungen solch hoher Niederschlagsmengen ein so großes, mehrere Tausend Quadratkilometer umfassendes Gebiet beträfen. „Ich bin wirklich erschrocken“, sagt Mühr. „Das Extremereignis, das in den Warnkarten abgebildet wurde, entsprach aber bei Weitem noch nicht dem, was wir bekommen haben“, kritisiert Thieken.

Viele Regionen wurden violett

Das EFSA-System bildet anhand von Modellsimulationen zu erwartende Abflüsse europaweit ab, bis zu zehn Tage im Voraus. Es dient weniger für lokal relevante Aussagen, als vielmehr als Frühwarnsystem. Die in Deutschland für die Hochwasservorhersage verantwortlichen Bundesländer haben eigene Modelle, die genauere, aber kurzzeitigere Erwartungen liefern, einen Tag im Voraus.

„Anhand der EFAS-Karte vom 10.7. konnte man nicht sagen, dass eine katastrophale Flut in kleinen Gebieten erwartbar war“, sagt Jörg Dietrich vom Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft der Universität Hannover. Lediglich für weiter südlich gelegene Abschnitte des Rheins wurde darin eine erhöhte Hochwasserwahrscheinlichkeit über 50 Prozent ausgegeben.

Anhand der Niederschlagsvorhersage und Daten zur Bodenfeuchte liefert EFAS aber auch Projektionen von Sturzfluten. „Aus diesen beiden Faktoren kann man schon sehr viel ableiten“, sagt Dietrich. Für die Ahr und weitere Flüsse in dieser Region wurde auf dieser Grundlage am 10. Juli bereits die zweithöchste Warnstufe ausgegeben. Am Mittag des 12. Juli wurde die Warnstufe hochgesetzt: violett.

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„EFAS rechnet aber nichts ortsgenau“, sagt Dietrich. Allein anhand dieser Informationen könnten die Behörden keine Evakuierungen anordnen. Auf der Karte waren auch viele weitere Regionen violett eingefärbt. „Aber es sind sehr klare Warnzeichen“, so der Hydrologe. Aus seiner Sicht lieferte das System zwei Tage vor dem Ereignis den klaren Hinweis, wachsam zu sein und alle folgenden Informationen genau zu beobachten.

Schon die Tatsache, dass der Kartendienst von EFAS für den Katastrophenschutz am 13. Juli freigeschaltet wurde, war eine weitere Warnung. Seit 2013 erfolgte das erst zehnmal. „EFAS ist nicht anfällig für Fehlwarnungen“, sagt Dietrich.

Die letzte Meile ist besonders anfällig

Katastrophenschutzbehörden sind für Evakuierungen zuständig. Die Informationen zur Hochwassergefahr müssen also vom Frühwarnsystem EFAS an die Bundesländer und von ihnen an die Gemeinden, Bürgermeister und Feuerwehren weitergeleitet werden. „In den Kommunen ist das Wissen aber oft nicht vorhanden, diese Informationen richtig einzuordnen“, sagt Thieken. „Die Dringlichkeit war den handelnden Akteuren nicht klar“, sagt Mühr.

Und auf die Kommunikation der Behörden folgt erst der anfälligste Teil der Informationskette: die Warnung der Menschen vor Ort. Thieken wünscht sich, dass die Medien Grundinformationen zu den Warnungen lleifern, erklären, worum es geht. Dabei gehe es auch darum, den Menschen mitzuteilen, wie sie sich verhalten sollen.

Wo Sturzfluten auftreten, bedeuten sie Lebensgefahr. Das Wasser kann Keller und Tiefgaragen blitzschnell fluten und bereits wenige Zentimeter Wasserstand können ausreichen, das Öffnen einer Tür und damit die Flucht unmöglich zu machen. „Die Gefährdungslage muss mit Handlungsanweisungen verknüpft werden“, sagt Thieken.

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