Potenziale für die Energiewende: Wärme aus Berlins Untergrund
Geologen erkunden 500 Meter unter dem Grunewald, ob sich eine Schicht aus Muschelkalk als Energiespeicher und Wärmequelle eignet.
Wo einst große Mengen fossiler Energien lagerten, wird nun die Zukunft der nachhaltigen Energien erforscht. Rund 1000 Meter tief unter dem Berliner Grunewald liegt ein riesiger Erdgasspeicher, der gegenwärtig stillgelegt wird. Diesen Speicher wollen Geoforscher dafür nutzen, das Potenzial für Energiespeicher und Geothermie in Berlin und Umgebung zu erkunden. Ihr Ziel ist dabei eine Gesteinsschicht aus Muschelkalk in rund 500 Meter Tiefe.
Einmalige Gelegenheit für die Forscher
„Der Rückbau des Erdgasspeichers ist eine einmalige Gelegenheit für uns“, erklärt Arbeitsgruppenleiter Guido Blöcher vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Denn die im Grunewald vorhandenen Bohrungen, über die einst das Erdgas als Reserve für den schwankenden Bedarf der Stadt Berlin in die tiefen Gesteinsschichten gepumpt wurde, können nun von den Wissenschaftlern für ihre Forschungsarbeit genutzt werden.
Grundsätzlich sei es schwierig, Genehmigungen dafür durchzusetzen, da Trinkwasserschichten durchbohrt werden müssen – und hier muss sichergestellt werden, dass es beim Durchbohren zu keinem stofflichen Austausch kommt, erklärt Blöcher. Insofern sind die bereits vorhandenen 21 Bohrungen im Grunewald für die Forscher ein Glücksfall.
Der Erdgasspeicher unterm Grunewald hat enorme Ausmaße, ein drei mal vier Kilometer großes Areal bis zu 1000 Meter Tiefe, westlich des Olympiastadions gelegen. Er war 1992 in Betrieb gegangen, zehn Jahre zuvor hatte der alliierte Kontrollrat die Einrichtung des Speichers beschlossen, um die Gasversorgung West-Berlins zu sichern. Der Speicher ist ein Porenspeicher im Buntsandstein, aus dessen Gesteinsschichten Wasser durch Erdgas verdrängt wird.
Die Dichtigkeit gewährleistet eine 200 Meter mächtige, gasundurchlässige Deckschicht aus Tonstein und Salz. Bis zu 135 Millionen Kubikmeter Erdgas konnten hier gespeichert werden. Heute wird der Speicher nicht mehr gebraucht, da es aktuell keine Engpässe beim Erdgas gibt. Bis auf wenige Reste wurde das Erdgas aus dem Speicher herausgefördert.
Den Geologen geht es um zwei für die Energiewende wichtige Verfahren, das Speichern von Energie in der Tiefe und die Nutzung der Erdwärme. Zum einen wollen die Forscher nun in Kooperation mit der Berliner Erdgasspeicher GmbH (BES) – ein Unternehmen der Gasag Gruppe – herausfinden, inwiefern sich das dort befindliche Wasser für Erdwärmeanlagen eignet. Das Wasser aus 500 Meter Tiefe ist rund 32 Grad warm, was für eine direkte Nutzung in herkömmlichen Heizungsanlagen zu kalt ist.
Für eine Wärmeversorgung braucht es eine Vorlauftemperatur von mindesten 60 bis 70 Grad. Allerdings lasse sich auch das Muschelkalkwasser direkt nutzen. Und zwar, wie Blöcher erklärt, über eine Wärme-Pumpe, die thermische Energie aus einem Reservoir mit niedrigerer Temperatur aufnimmt und als Nutzwärme auf ein zu beheizendes System mit höherer Temperatur überträgt. Ziel der BES ist die Gewinnung und Speicherung von Wärme im mitteltiefen Untergrund zur Versorgung benachbarter Wohnquartiere.
Versuchsanlage unterm Reichstagsgebäude
Die Geoforscher interessiert in erster Linie aber die Frage, ob sich diese in Berlin und Brandenburg weit verbreitete geologische Formation des Muschelkalks als Wärmespeicher nutzen lässt. Dabei wird im Sommer anfallendes überschüssiges heißes Wasser, etwa aus Solaranlagen oder aus Abwärme der Industrie in die Tiefe gepumpt und im Gestein eingelagert. Im Winter kann es wieder hochgeholt werden, um die Wärme zu nutzen.
Denkbar ist auch umgekehrt kaltes Wasser dort zu lagern, dass sich in den heißen Monaten für Kühlanlagen nutzen lässt. Eine Versuchsanlage nach gleichem Prinzip existiert bereits unter dem Berliner Reichstagsgebäude.
Für die Speicherung im Grunewald kommen zwei Schichten aus dem Muschelkalk infrage, die jeweils aus 15 Meter dicken Lagen Kalk bestehen, der wegen seiner vielen Poren Schaumkalk genannt wird. Darin steckt reichlich warmes Wasser, das für Geothermie infrage käme.
Wie gut sich die Formation auch zur Speicherung von Energie – eine Zukunftstechnologie der Energiewende – nutzen lässt, hängt entscheidend davon ab, wie viel Wasser in dem Karbonatgestein des Schaumkalks steckt. Und wie viel davon durch die Klüfte in der Tiefe strömt.
Um das herauszufinden, müsste man eigentlich kostspielige Bohrungen in den Kalk unternehmen. Im Grunewald können die Wissenschaftler nun die bereits vorhandenen Bohrungen nutzen. An diesen Bohrungen werden verschiedene hydraulische Testarbeiten durchgeführt. Daraus berechnen die Wissenschaftler, welche Wassermengen später pro Stunde gefördert werden können. Die BES will anhand dieser Ergebnisse abschätzen, ob sich der Nutzen der Erdwärme rentiert.
Für die Geoforscher ist das Vorhaben erst einmal Grundlagenforschung. Sie wollen klären, ob man den Muschelkalk für das sogenannte Ates-Verfahren (Aquifer Thermal Energy Storage) zur Energiespeicherung nutzen kann. Grundsätzlich sei dies gut machbar, allerdings am Standort Grunewald nicht ganz so einfach, erklärt Blöcher. Denn die tiefen Bohrungen des ehemaligen Gasspeichers müssen für die Untersuchung in Höhe des Muschelkalks nun noch einmal zugänglich gemacht werden.
Als Nächstes wollen die Forscher daher im kommenden Frühjahr eine direkt in den Muschelkalk gehende Bohrung für ihre Untersuchung nutzen – und dann die Ergebnisse mit denen aus den anderen Tiefbohrungen vergleichen.
Muschelkalk ist überall in Brandenburg vorhanden, es handelt sich um fossile Überreste von Tieren eines flachen Urmeers aus Zeiten von vor 240 bis 230 Millionen Jahren, die beispielsweise im Rüdersdorfer Steinbruch östlich von Berlin an die Oberfläche kommen.
Viele Altbohrungen im Berliner Umland
Auch im Umland ist das Potenzial zur Energiespeicherung interessant, da es von Brandenburg bis Mecklenburg-Vorpommern sehr viele Altbohrungen gibt. Die Frage der Forscher, ob man diese alten Gasbohrungen aus DDR-Zeiten für die neuen Verfahren der Energiewende nutzen kann, ist von hoher Relevanz. „Die gewonnenen Erkenntnisse können auch auf andere Standorte übertragen werden“, erklärt Blöcher. Auch in der Umgebung von anderen urbanen Räumen wie Hamburg oder München ist das Interesse am Ates-Verfahren groß.
Wichtig ist dabei aber auch zu wissen, wie sich das Wasser zusammensetzt. Der Salzgehalt besagt viel darüber, wie stark die eingesetzten Materialien von Korrosion zersetzt werden. Die Hydrogeochemikerin Simona Regenspurg vom GFZ untersucht mit ihrer Arbeitsgruppe die enthaltenen Stoffe, um zu erkunden, woher das Wasser kommt und wie man es nutzen könnte. „Das ist für den Muschelkalk so gut wie gar nicht untersucht, gerade im Berliner Raum“, sagt Regenspurg.
Die Zusammensetzung des Wassers sei völlig unbekannt. Erste Proben hat die GFZ-Forscherin mittlerweile analysiert. Mit überraschendem Ergebnis: gut dreimal so viel Salz wie im Meerwasser ist im Berliner Untergrundwasser gelöst. Eine salzige warme Brühe also, mit einem leichten Schwefelgeruch, wie man sie aus Thermalbädern kennt. Der pH-Wert ist neutral, man könnte sogar darin baden.
Herkömmlichen Stahlrohren dürfte solches Wasser allerdings stark zusetzen. „Da muss man sich dann überlegen, welche Materialien man zur Förderung nutzt“, sagt Regenspurg. Oder man stellt einen unterirdischen geschlossenen Kreislauf mit Wärmetauschern her – ohne Kontakt mit Sauerstoff, der die Korrosion beschleunigt.
Bohren könnte man theoretisch überall im Berlin-Brandenburger Raum, das Potenzial für Aquifer-Wärmespeicher ist groß. Man braucht in der Regel je zwei Bohrungen, das zu erwärmende Wasser wird über eine der Bohrungen entnommen, in einem Wärmetauscher erwärmt und über die zweite Bohrung in den Aquifer injiziert. Dieser Vorgang wird dann umgekehrt, das heißt die zuvor eingespeicherte Wärme kann wiedergewonnen werden, indem das warme Wasser rückgefördert wird.
Geothermie ist aber nicht unumstritten
Geothermie ist eine erneuerbare Energiequelle, die im Rahmen der Energiewende noch stärker genutzt werden könnte. Allerdings ist sie nicht unumstritten. So war es in der Vergangenheit im Umfeld von Geothermieanlagen zu Problemen gekommen. Im baden-württembergischen Ort Staufen waren offenbar nach handwerklichen Fehlern bei den Bohrarbeiten zahlreiche Gebäude durch Bodenhebungen beschädigt worden.
Ähnliche Ereignisse schließt Blöcher für den Berliner Standort allerdings aus. „In Staufen wurde gebohrt und es waren mit Anhydrit quellfähige Schichten vorhanden“, erklärt er. Erst durch Frischwasser hätten dies Schichten quellen können. Eine solche Situation sei bei den Bohrungen im Grunewald nicht gegeben: „Kein Bohren, keine quellfähigen Schichten und auch kein Frischwasser.“
Auch Erdbeben durch Geothermie, wie sie etwa in der Schweiz vorgekommen sind, schließt die Geoforschung im Berliner Umfeld aus geologischen Gründen aus.
Letztlich interessieren sich die Forscher aber nicht nur für die Wassermengen, Fließverhalten und Temperaturen in der Tiefe. Der Geomikrobiologie Jens Kallmeyer vom GFZ macht sich in dem heißen Wasser auf die Suche nach Mikroorganismen. Er will herausfinden, wie diese Mikroben in der Tiefe überleben und wie sie den Untergrund beeinflussen.
Leben findet sich im Wasser sogar noch, wenn es über 100 Grad heiß ist. „Eine spannende Frage ist dann, ob die Organismen auch 240 Millionen Jahre alt sind oder ob sie später eingewandert sind“, sagt Simona Regenspurg zur Arbeit ihres Kollegen.
Jan Kixmüller