Geothermie: Energie aus der Tiefe soll billiger werden
Geothermie liefert Strom rund um die Uhr. Aber noch ist das Verfahren sehr teuer. Forscher aus Niedersachsen wollen das ändern - unter anderem mit faltbaren Rohren und Bohrtürmen auf Schienen.
Überall entstehen derzeit Solar- und Windkraftanlagen. Dennoch werden sie allein die proklamierte Energiewende nicht schaffen. Eine entscheidende Komponente fehlt nach wie vor: Grundlastkraftwerke, die ohne Kohle und Atomkraft betrieben werden – gelten doch beide als Auslaufmodelle. Ohne solche Leistungsträger, die rund um die Uhr und unabhängig von Sonnenstand und Windstärke Strom liefern, funktioniert die Elektrizitätsversorgung kaum. Diese Lücke könnte die Geothermie schließen, bei der aus Erdwärme Strom erzeugt wird. Sie ist aber in weiten Teilen Mitteleuropas bisher weder rentabel, noch sind die technischen und wissenschaftlichen Grundlagen ausreichend erforscht. Ein Forschungsverbund in Niedersachsen will das ändern und die Geothermie „startklar machen“, wie Kurt Reinicke von der Technischen Universität Clausthal sagt.
Er ist Sprecher des Verbunds „Geothermie und Hochleistungsbohrtechnik“ (Gebo), in dem 40 Experten aus Wissenschaft und Industrie zusammenarbeiten. Zunächst versuchen sie, die Geothermie in Laborversuchen und Computermodellen voranzubringen. Im zweiten Schritt soll im Gelände gebohrt werden und bis 2019 sollen mehrere Geothermie-Kraftwerke in Betrieb gehen, drängt der frühere Chef des Deutschen Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) und heutige Gebo-Gutachter Rolf Emmermann.
Die Eckdaten für eine solche Anlage untersuchen die Forscher bereits jetzt: Um mindestens fünf Megawatt elektrische Leistung zu liefern, soll eine Bohrung aus mehr als fünf Kilometern Tiefe jeden Tag 10 000 Kubikmeter Wasser mit einer Temperatur bis zu 200 Grad Celsius fördern. Zwar arbeiten bereits in Landau in der Pfalz und im bayerischen Unterhaching Geothermie-Kraftwerke, die mit rund drei Megawatt eine ähnliche Leistung bringen. Nur stehen beide Anlagen in Gebieten, die für Erdwärmenutzung ideal sind. Im Oberrheingraben liegen die Temperaturen schon in 3000 Metern Tiefe bei 160 Grad und mehr. Unter Oberbayern werden in dieser Tiefe zwar nur 120 Grad erreicht. Dafür ist der Untergrund dort stark zerklüftet und es kann sehr viel Wasser mit dieser Temperatur an die Erdoberfläche geholt werden.
In Norddeutschland werden die für die Stromerzeugung interessanten Temperaturen von über 160 Grad erst in Tiefen unter 4000 Metern erreicht. Dort unten hat das Gewicht der darüberliegenden Schichten winzige Poren und Spalten stark verengt. Daher ist neben tiefen Bohrungen oft die „Fracking“-Technik erforderlich. Dabei wird Wasser in den Untergrund gepresst, das dort Risse aufbricht. Nur so kann Wasser in großer Menge durch das Gestein strömen und dabei viel Wärme aufnehmen, damit ausreichend Strom produziert werden kann.
Unterm Strich ist aber ist der Aufwand so groß, dass Geothermie in Norddeutschland vorerst nicht rentabel ist. Für Reinicke ist das kein Hindernis. Er glaubt, dass die Nachteile langfristig sogar ein Vorteil sein könnten: „Klappt die Geothermie hier, funktioniert sie anderswo erst recht.“
Er und seine Kollegen verfolgen mehrere Wege, um das Verfahren wirtschaftlich zu machen. Dazu gehört vor allem die Tiefe, denn für Kraftwerke gilt die Faustformel „je heißer das Wasser, umso effektiver die Stromerzeugung“. Die Ingenieure wollen fünf bis sechs Kilometer tief bohren und in dieser 180 bis 200 Grad heißen Schicht anschließend noch einmal rund einen Kilometer waagerecht bohren. Dabei müssen sie aber eine zweite Faustformel beachten: Je tiefer sie bohren, umso schneller steigen die Kosten.
Energie-Mix der Zukunft
So rechnet die Industrie für 5000 Meter tiefe Bohrungen nach Erdöl oder Erdgas mit Preisen von 12 bis 15 Millionen Euro. Um das voraussichtlich im Jahr 2021 vom Netz gehende Kernkraftwerk Grohnde in Niedersachsen zu ersetzen bräuchte man knapp 300 solcher Geothermie-Bohrungen. Allein die Kosten für die tiefen Löcher beliefen sich auf satte vier Milliarden Euro. Da stellen Betriebswirte rasch fest, dass sich ein Geothermie-Kraftwerk mit herkömmlichen Bohrungen kaum rechnet. „Wir müssen die Kosten fürs Bohren erheblich senken“, nennt Reinicke ein weiteres Forschungsfeld.
Die Fachleute wollen zum Beispiel das herkömmliche Teleskopverfahren ersetzen. Dabei wird eine Bohrung an der Erdoberfläche mit einem großen Durchmesser von mehr als einem halben Meter begonnen und zunächst ein Stahlrohr eingeschoben, das das Grundwasser vor Verunreinigungen schützt und zugleich die Bohrlochwand stabilisiert. Durch diesen Abschnitt bohren die Techniker dann mit geringerem Durchmesser weiter und bringen in der Tiefe etwas engere Rohre ein. Je weiter der Bohrmeißel nach unten vordringt, umso geringer wird der Durchmesser. Am Ende sind es manchmal nur noch zwölf Zentimeter.
Die Gebo-Ingenieure wollen stattdessen von oben bis unten mit einem gleichen Durchmesser von sieben Zoll (knapp 18 Zentimeter) bohren. „Das spart Material“, sagt Reinicke. Die insgesamt schmalere Bohrung erfordert weniger Beton und Stahl für den Mantel und verbraucht viel weniger Spülwasser, das das Bohrklein an die Oberfläche trägt. „Obendrein bohrt man schneller und damit billiger.“
Aber wie bringt man ein Rohr durch den schmalen oberen Teil in die Tiefe? Der Energiekonzern Shell hat dazu ein Patent, bei dem durch das vorhandene Rohr ein etwas dünneres nach unten geschoben wird. Dort weitet dann ein Zylinder das Rohr auf den gleichen Durchmesser wie oben auf. Das klappt zwar gut, schwächt aber das Material. Die Gebo-Forscher fürchten, dass das Verfahren in schwierigen Gesteinsschichten Probleme macht.
Stattdessen entwickeln sie Rohre, die zu einem kleineren Durchmesser eingeknickt werden können. Sie werden durch das vorhandene Rohr nach unten gezogen und am Einsatzort wieder auf sieben Zoll aufgefaltet. Zwar werden dabei die Faltstellen ebenfalls geschwächt, das fertige Rohr sollte aber deutlich stabiler als ein über die gesamte Oberfläche geweitetes Rohr sein. Derzeit suchen Werkstoffforscher nach einem Stahl, der das Falten möglichst gut verträgt. Außerdem muss das Material in der Tiefe stark salzhaltiges und 200 Grad heißes Wasser ohne Korrosion überstehen. Zusätzlich suchen die Forscher eine Isolierung für das Rohr, damit das Wasser auf dem Weg nach oben nicht zu sehr auskühlt.
Nicht zuletzt lässt sich auch durch eine bessere Organisation Geld sparen: Indem man nach dem Ende einer Bohrung die mehrere Stockwerke hohe Anlage nicht abbaut und ein paar Kilometer weiter neu installiert, sondern sie einfach um 30 bis 50 Meter verschiebt und dort erneut bohrt. „Dazu könnte die Bohranlage von vornherein auf Schienen installiert werden und so acht oder zehn Bohrungen nebeneinander niederbringen“, erläutert Reinicke. Die unterschiedlichen, für verschiedene Gesteine verwendeten Bohrmeißel könnten so wie das Spülwasser mehrfach eingesetzt werden, zudem wäre nur eine Deponie für das Bohrklein nötig. Die Gebo-Wissenschaftler haben das bereits durchgerechnet. Demnach können solche Reihenbohrungen die Kosten pro Bohrloch um 30 Prozent senken.
All das zusammengenommen, hofft Reinicke, könnte die Geothermie so weit voranbringen, dass sie im Energiemix der Zukunft eine tragende Rolle spielt. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Im Jahr 2011 wurden gerade 19 Gigawattstunden Strom aus Erdwärme gewonnen. Das entspricht dem Bedarf von 6300 Zwei-Personen-Haushalten.
Roland Knauer