Deutsches Historisches Museum: Der mühsame Alltag der Demokratie
Untergegangen, doch als demokratisches Experiment nicht gescheitert: Das Deutsche Historische Museum gibt Unterricht in Sachen Weimarer Republik.
„Auf zur Wahl – Wählt Zentrum“, „Arbeiter Augen auf! Wählt S.P.D.“, rief es von den Plakatsäulen und -wänden. Aber auch: „Eure Kinder brauchen Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt!“
Ja, die Frauen waren aufgerufen, am 19. Januar 1919 an der Wahl zur Nationalversammlung teilzunehmen, wie an allen folgenden Wahlen, die es in der Republik gab. Das Frauenwahlrecht war gleich nach dem Ende der Monarchie im November 1918 eingeführt worden, Jahre und Jahrzehnte vor den westlichen Demokratien, die immer als Vorbild der angeblich gescheiterten deutschen Republik gegenübergestellt werden. Gewiss, die nach dem Tagungsort der Nationalversammlung benannte Weimarer Republik ist am 30. Januar 1933 untergegangen, nach drei Jahren der Zersetzung ihrer Rechtsordnung. Sie hatte Mängel, die ihren Untergang beförderten. Aber sie war die erste Demokratie auf deutschem Boden, und sie hat Großes geleistet, von Anfang an.
Diesem Anfang ist der größerer Teil der Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ gewidmet, die das Deutsche Historische Museum (DHM) von heute an in ihrem Sonderausstellungsgebäude, dem Pei-Bau, zeigt. Denn es geht der Ausstellung und ihrem umfangreichen Begleitprogramm darum, das Bewusstsein für die Errungenschaften der Republik zu schärfen, und die sind eben schon vom Anfang her vorhanden, seit der Revolution 1918/19 und in verbindlicher Form durch die nachfolgende Nationalversammlung mit der Verabschiedung der Verfassung am 31. Juli. „Grund- und Freiheitsrechte wurden nun Realität“, heißt es dazu lapidar in der schmalen Broschüre im Postkartenformat, die das DHM herausgebracht hat; zu einem Katalog, einem Handbuch zu Weimar gar hat es nicht gereicht.
Eine Art begehbare Unterrichtseinheit
Aber das ist bei dieser Ausstellung vielleicht nicht so wichtig. Die rund 200 Objekte, die die Kuratoren um Simone Erpel in einer Gestaltung aus Baugerüsten zeigen – Hallo! Demokratie im Bau! –, stammen überwiegend aus der eigenen Sammlung, und wo sie punktuell ergänzt werden, sind sie zumeist Beispiel oder Stellvertreter. Darum ist es auch nicht verwerflich, bisweilen Reproduktionen zu zeigen; wie etwa von der schönen Gedenktafel zur Verabschiedung der Verfassung, die Walter Gropius 1922 für das Nationaltheater in Weimar entwarf, wo eben die vor den Unruhen in Berlin gewichene Nationalversammlung getagt hat.
Es ist weniger eine Ausstellung im klassischen Sinne als eine Art begehbare Unterrichtseinheit, wirkungsvoll ergänzt durch ein „Demokratie-Labor“ ein Stockwerk tiefer, wo die als Besucher erwarteten Schulklassen ihr Wissen und Verständnis von Demokratie und Grundrechten testen können. Das „Lab“ konzentriert sich auf sieben Kernfragen, die Anlass geben zum Nachdenken über scheinbar Selbstverständliches.
Auch die Hauptausstellung ist in Kapitel gegliedert. Sie schöpfen bei weitem nicht aus, was zur Weimarer Republik mitzuteilen wäre. Eher geht es darum, im Sinne der Testfragen des „Lab“ zu beleuchten, was an der Weimarer Republik zu lernen wäre. Immer wieder geht es in der Ausstellung um Kompromisse in der Geschichte der Weimarer Republik, ja, um den Kompromiss als solchen.
DHM-Direktor Raphael Gross schätzt das Buch des österreichischen Staatsrechtlers Hans Kelsen von 1920, „Vom Wesen und Wert der Demokratie“, so dass er dessen Titel für die Ausstellung adaptierte. Kelsen sah mahnend voraus, dass die Demokratie auch ihren Feinden Raum gibt – was sich in Weimar fürchterlich bewahrheiten sollte. Dennoch geht der Titel an der Ausstellung vorbei, die denn doch kein bebildertes Seminar in trockenem Staatsrecht darstellt, sondern einzelne, prägende Konflikte vorführt: so die – in einer Volksabstimmung abgelehnte – „Fürstenenteignung“ von 1926, den – von einer mangels Beteiligung gescheiterten Volksabstimmung ungehinderten – Bau eines Panzerkreuzers mit dem Ziel, die Restriktionen des Versailler Vertrages zu unterlaufen; dann die Frage des Reichsschulgesetzes, das die Verfechter der Konfessionsschule und die der weltanschaulich freien Schule gegeneinander in Stellung brachte, wobei beide Seiten ihre Plakate in der altertümlichen, damals aber verbindlich gelehrten Sütterlin-Schreibschrift gestalteten. An diesen Beispielen ist zu lernen, was Mehrheitsentscheidungen sind – oder eben nicht – und wie Kompromisse zustande kommen, aber auch bekämpft und verwässert werden.
Von jeder staatsrechtlichen Betrachtungentfernen sich jene Kapitel, die die gesellschaftlichen Neuerungen der Zeit beleuchten: den freie(re)n Umgang mit der Sexualität, das neue Selbstverständnis der Frau, die Bekämpfung der Wohnungsnot am Beispiel der Frankfurter Siedlungen mitsamt der berühmten Serienküche von Margarete Schütte-Lihotzky; und schließlich die Einführung des Rundfunks. Den hörten anfangs „Radiobastler“, die sich ihre Empfänger selbst zusammenschraubten, ehe 1926 mit dem „Loewe Ortsempfänger OE 333“ erstmals ein erschwingliches Radiogerät zur Verfügung stand. Der daneben gezeigte trichterförmige Lautsprecher Marke „Tefag“ ähnelt jenem, mit dem die Reichstags-Wahlergebnisse vom 4. Mai 1924 verkündet wurden. Das entsprechende Zeitungsfoto verwendeten die Bauhaus-Meister für eine Grafikmappe, die sie ihrem Direktor Gropius zum Geburtstag verehrten.
Mit dem Radio-Kapitel, angereichert durch Zitate von Bert Brecht, endet die Ausstellung, und man schält sich etwas unvermittelt aus dem Gerüstgestänge. Vom „Scheitern“ der Republik ist zum Glück nirgends die Rede; das unvermeidliche Hitler-Wahlplakat bleibt einem erspart. Ein dezenter Hinweis auf das Ende von 1933 wäre dennoch angebracht. Die Weimarer Republik, das darf man auch so mitnehmen, ist untergegangen – doch gescheitert, als republikanisches Experiment gescheitert ist sie nicht.
DHM, Pei-Bau, bis 22. September, tgl. 10-18 Uhr. Programmbroschüre, kein Katalog. Infos: www.dhm.de/ausstellungen
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