50. Todestag von Konrad Adenauer: Das Gesicht der Republik
Der erste Kanzler der Bundesrepublik war für den jungen Fotografen ein Auslöser seiner Karriere. Hier schreibt Konrad R. Müller über seine Begegnungen mit Konrad Adenauer
Die Bilder von Konrad Adenauer sind ohne die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin nicht denkbar. Mein Vater hatte dort bei einem Wettkampf im Schwimmstadion von einem polnischen Zuschauer eine Kamera im Tausch gegen einen Feldstecher erworben. Alle Fotos, auf denen der kleine Konrad zu sehen ist, wurden mit diesem Apparat gemacht.
Den Krieg überdauerte das Wertobjekt im Wäscheschrank des elterlichen Hauses in Berlin-Marienfelde. Generalüberholt bei einem Spezialisten, durfte diese kleine Kiste 1960 mit nach Rom. Ich hatte dort drei Jahre zuvor einen Musiker kennengelernt, der dem damaligen Kardinalstaatssekretär Cicognani Klavierunterricht gab. Dieser hohe Kirchenmann besorgte der gesamten Familie Müller Eintrittskarten für die Generalaudienz zu Ostern in St. Peter.
Wir saßen in der dritten Reihe, einen Luftzug von Papst Johannes XXIII. entfernt. Unter dem gewendeten Hochzeitsanzug meines Vaters trug ich die Rolleiflex und machte mein erstes Foto. Mein Urbild, unscharf und leicht verwackelt. Die in einer Steglitzer Drogerie hergestellte Vergrößerung befindet sich noch immer in meinem Besitz. Auf der Rückreise nach Berlin ging die Kamera zu Bruch und wurde wieder für Jahre zwischengelagert.
Nach diversen schulischen Katastrophen bestand ich 1962 die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Bei Hans Jaenisch studierte ich Freie Malerei. Ich war optisch und auch sonst das Gegenbeispiel der herrschenden Künstlerklasse: schwarzer Anzug, weißes Hemd, oft dazu eine schwarze Krawatte. Darüber den weißen Chirurgenkittel des befreundeten Arztes Dr. Knöchelmann.
Ich war fasziniert von diesem einmaligen Gesicht
Als ich meinem Professor dann Adenauer-Zeichnungen zur Begutachtung vorlegte, die ich nach Abbildungen des großen Fotografen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Wolfgang Haut, gefertigt hatte, war ich für meine Mitstudenten nur noch ein bemitleidenswerter Sonderling. Das Studium währte auch nicht sehr lange. Nach inhaltlichen Auseinandersetzungen und gelebten Differenzen (ich rauchte damals Brasil-Zigarren, Herr Jaenisch Havanna, das konnte schon aus geruchstechnischen Gründen nicht gutgehen), beschloss ich, meine künstlerische Begabung auf einem anderen Gebiet zu ergründen. Ich war immer noch ein Fan von Konrad Adenauer. Nicht wegen seiner Politik, ich war vielmehr fasziniert von diesem einmaligen Gesicht, ein Gesicht, wie es heute keines mehr gibt in der Politik.
Während einer Reise nach Köln setzte ich mich am 15. Oktober 1963 von der Gruppe ab und fuhr nach Bonn. Es war der letzte Tag im Amt des ersten Bundeskanzlers. Im Münster wurde zu Ehren Adenauers ein Pontifikalamt zelebriert. Ich stand eingekeilt in einer großen Menschenmenge vor der Kirche, und als Adenauer dann an der Seite des Bundespräsidenten Heinrich Lübke am Hauptportal erschien, sah ich das Opfer meiner künstlerischen Begierde zum ersten Mal leibhaftig vor mir.
Es war wohl die Zeit, in der ich beschloss, den Fotoapparat erneut in Gang setzen zu lassen und dem alten Herrn zu Leibe zu rücken.
Damals konnte man sich den Poltitgrößen noch bis auf wenige Zentimeter nähern
Nach einem Gastauftritt beim CDU-Parteitag 1965 in Düsseldorf, den ich ohne Kamera auf der Tribüne verbrachte, war der Druck, meinem Helden nun endlich als angehender Fotokünstler gegenüberzustehen, so groß, dass ich im September 1965 von Berlin nach Bonn trampte, um meine ersten Bilder von Adenauer auf dem Münsterplatz zu machen. Es war gegen Ende des Bundestagswahlkampfes, und der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands trat als Hauptredner auf. Damals konnte man sich den Poltitgrößen noch bis auf wenige Zentimeter nähern – was für mich wichtig war, denn mein Fotoapparat hatte nur ein Objektiv für alle Fälle.
Ich war ohne Auftrag unterwegs, nicht qualifiziert und nicht gebeten. Dennoch war es möglich, Adenauer zu begegnen. Er wohnte in Rhöndorf, Zennigsweg 8a, in einem Haus hoch über der Straße. Um seinen Dienstwagen zu besteigen, musste der alte Herr täglich einen steilen Weg in beide Richtungen bewältigen. Neben dem Wagen standen sein treuer Chauffeur Peter Seibert und ein Personenschützer. Diese Menschen waren für mich von elementarer Wichtigkeit. Wenn sie Mitleid mit einem hatten, halfen sie dabei, einmal im Polizeiwagen mitfahren zu dürfen. Dann hatte man es geschafft.
Am 19. September 1965 war ich zur Stelle, als Konrad Adenauer in Rhöndorf wählen ging. Davon gibt es ein Foto, auf dem er mich lächelnd begrüßt. Dieses Bild hat mein Freund Anton Gehr jun. gemacht, der bei vielen Anlässen an meiner Seite war.
Er lud mich im Frühjahr an den Comer See - zu spät
Adenauer ging, wie immer an Wahlabenden, früh zu Bett. Ludwig Erhard blieb Bundeskanzler einer Koalition aus CDU/CSU und FDP. Willy Brandt, der gegen Erhard angetreten war, blieb in Berlin. Am 4. Januar 1966, es war der Vorabend des 90. Geburtstags von Konrad Adenauer, gab die CDU ein großes Fest für den Jubilar in der Bonner Beethovenhalle. Ich war dabei. Am nächsten Tag ehrte der Deutsche Bundestag seinen Alterspräsidenten mit einem Empfang im Foyer des Bundeshauses.
Ich hatte damals gute Beziehungen zum Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Rainer Candidus Barzel, und konnte ihn überzeugen, dem Jubilar eine eigens zu diesem Zweck von mir angefertigte Porträtzeichnung persönlich zu überreichen. Barzel parkte mich in seinem Büro, und ich wartete auf meinen großen Auftritt. Leider hatte man mich vergessen, und ein Bediensteter des Bundeshauses geleitete den todtraurigen Künstler am Abend ins Freie. Das Bild landete wohl in der sogenannten Gruselkammer, in der ungebetene Geschenke für Politiker ein trostloses Dasein fristen.
Im März 1966 wurde der Bundesparteitag der CDU in Bonn veranstaltet. In diesem Jahr war Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ich hatte eine Akkreditierung als Fotograf – und eine zweite Verabredung mit Rainer Barzel. Er hatte es geschafft, Konrad Adenauer zu überzeugen, sich meine bis dahin entstandenen Fotografien anzuschauen. So saß ich dann für einige Minuten hoch oben am Präsidiumstisch neben dem noch amtierenden Vorsitzenden der CDU. Es war mein 26. Geburtstag. Neben der Präsentation meiner Bilder hatte ich noch ein wichtiges Anliegen: ein Besuch in Cadenabbia am Comer See, dem legendären Feriendomizil Adenauers. Ich bekam die mündliche Zusage für das nächste Frühjahr. Leider war das zu spät.
Ein letztes Mal sah ich Konrad Adenauer an seinem 91. Geburtstag
Ich habe den Abgeordneten Konrad Adenauer im Landtagswahlkampf begleitet, immer nah dran am Polizeiwagen. Peter Seibert und ein paar Getreue hielten die schützende Hand über mich. Ein langer Wahlkampf ging im Juni mit einer Rede Adenauers im Kölner Gürzenich zu Ende – und während seine Begleiter physisch am Limit waren, ging der Altkanzler und Wahlkämpfer aufrecht und in blendender Verfassung zu seinem Wagen, um nach Rhöndorf zu entschwinden.
Ein letztes Mal sah ich Konrad Adenauer an seinem 91. Geburtstag im Januar 1967. Ich war fotografierender Gast bei einem Frühstück, einem Empfang in der Godesberger Redoute und einem sogenannten Herrenessen im Hotel Königshof in Bonn.
Am 19. April 1967 gegen Mittag saß ich mit meinem Südtiroler Bergfreund Ferdl Mair in der Auronzo-Hütte, unterhalb der Südwände der Drei Zinnen in den Dolomiten bei Spaghetti mit hausgemachtem Sugo von der Großmutter. Im Transistorradio wurde der Tod Adenauers bekanntgegeben.
Eine Ausstellung meiner Bilder wird es leider nicht geben
Im ersten Licht des neuen Tages stolperte ich auf Holzkisten ohne Sicherheitsbindung im Tiefschnee zu Tal. Ab der Baumgrenze wurde es ein Problem. Ich war aber rechtzeitig in Köln, um beim Auszug der Trauergemeinde aus dem Hohen Dom zu Köln dabei zu sein.
Es hat noch fast 20 Jahre gedauert, ehe ich zusammen mit Golo Mann mein Buch über Konrad Adenauer veröffentlichen durfte. Es enthält zusätzlich zu den Porträts Aufnahmen der Räume des Rhöndorfer Wohnhauses und Gartens. Außerdem bin ich nach Cadenabbia gereist und habe die von Adenauer geliebten Plätze und Wege fotografiert. Einschließlich der verwahrlosten Bocciaanlage.
Seit 36 Jahren wohne ich nur wenige Kilometer vom Rhöndorfer Friedhof entfernt, auf dem Adenauer seine letzte Ruhe gefunden hat. Eine Ausstellung meiner Bilder wird es leider nicht geben, da niemand in Deutschland bereit ist, dieses Zeitdokument der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Von Konrad R. Müller ist im Kehrer Verlag erschienen: "LICHT GESTALTEN – Fotografien von 1960 bis 2010".
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