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Kein Ort mehr zum Studieren und Forschen. Zwischen einem Wohnheim und der Architekturfakultät der Universität von Aleppo explodierte am 15. Januar 2013 eine Autobombe und tötete 15 Menschen, Dutzende wurden verletzt. Die Sicherheitslage und die teils zerstörte Infrastruktur machen Forschung und Lehre unmöglich.
© AFP

Menschen bewegen 2017 - Lange Nacht der Ideen: Verfolgter Wissenschaftler: „Ich bin wieder ein ganzer Mensch“

Die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung hilft gefährdeten Wissenschaftlern, ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen

Philipp Schwartz hat sich um die Wissenschaft außergewöhnlich verdient gemacht. Und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen, weil der Neuropathologe auf seinem Forschungsfeld, dem zerebralen Geburtstrauma, bahnbrechende Ergebnisse erzielen konnte. Zum anderen – und diese Leistung erscheint sogar noch bemerkenswerter –, weil er während der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten die „Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland“ gründete. Die ermöglichte Tausenden von verfolgten Forschern nicht nur das Überleben, sondern auch die Fortführung ihrer Profession in finsteren Zeiten.

Schwartz, ein säkularer Jude, musste nach dem Erlass der sogenannten Reichsermächtigungsgesetze 1933 selbst überstürzt seine Heimat Frankfurt verlassen, nachdem er nur knapp der Verhaftung entronnen war. Er fand Exil in Zürich, von wo aus er die Ausreise entlassener deutscher Hochschullehrer nebst deren Mitarbeitern und Angehörigen zu organisieren begann. Bis 1945 war die „Notgemeinschaft“ an der Vermittlung von über 2600 Verfolgten aus Deutschland, Österreich und Böhmen beteiligt. Ein Kapitel der Geschichte, das lange zu wenig Beachtung und vor allem Anerkennung gefunden hat. „Ich möchte nicht versäumen darauf hinzuweisen“, so Schwartz noch 1972 in einer Rede, „dass meine Tätigkeit als Begründer und Entwickler einer Emigrantenorganisation in Deutschland nicht nur während der Hitlerherrschaft, sondern auch nach ihrem Zusammenbruch als deutschfeindlich betrachtet wurde.“

Humanist. Der Neuropathologe Philipp Schwartz, säkularer Jude, war ein begnadeter Forscher. Und er half von den Nazis verfolgten Wissenschaftlern, im Exil weiter ihrer Arbeit nachzugehen.
Humanist. Der Neuropathologe Philipp Schwartz, säkularer Jude, war ein begnadeter Forscher. Und er half von den Nazis verfolgten Wissenschaftlern, im Exil weiter ihrer Arbeit nachzugehen.
©  Archiv G. Kreft

Nun ist nach Philipp Schwartz eine Initiative benannt, die sein humanistisches Wirken unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart fortsetzt. Sie hilft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in ihrer Heimat Repression oder Verfolgung ausgesetzt sind. Mit einem Stipendium der Schwartz-Initiative können sie an einer deutschen Hochschule oder Forschungseinrichtung für zwei Jahre Fuß fassen.

Die Idee zu diesem Programm entwickelten die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und das Auswärtige Amt bereits 2015. Aufgrund der raschen Förderung durch private Stifter konnte schon Ende des Jahres eine erste Ausschreibungsrunde gestartet werden, durch die Finanzierung des Auswärtigen Amtes ist das Projekt seitdem kontinuierlich gewachsen. Gegenwärtig läuft bereits die dritte Ausschreibungsrunde.

Die Initiative will ein Zeichen setzen für die Weltoffenheit der deutschen Wissenschaft. Zugleich aber bereichern die Stipendiaten die hiesige Forschungslandschaft durch ihre Expertise, ihre Ideen, ihren wachen Blick von außen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind schließlich kritische Denker, die es gewohnt sind, die vorgefundenen Gegebenheiten zu hinterfragen und ihre Meinung offen zu äußern.

Genau aus diesem Grund freilich geraten sie in totalitären Systemen auch besonders schnell ins Visier der Herrschenden – und somit in eine Gefahrensituation, die sie oftmals zur Flucht zwingt, zum Gang ins Exil.

„Die Unterdrückung der Freiheit von Wissenschaft und Forschung“, betont Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, „geht immer Hand in Hand mit der Unterdrückung von abweichenden Meinungen.“ Deshalb sei der Einsatz der Philipp Schwartz-Stiftung für unterdrückte Forscherinnen und Forscher auch als Einsatz für die Meinungsfreiheit insgesamt zu verstehen.

Chancen zur beruflichen Neuroientierung

Derzeit werden 68 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Philipp Schwartz-Stipendien an bundesweit 46 Hochschulen und Forschungseinrichtungen gefördert. Sie bekommen die Chance zur beruflichen Neuorientierung an ihrer Gasteinrichtung, können mit Unterstützung von Mentoren die Möglichkeiten im deutschen Wissenschaftssystem ausloten – oder auch die im außerakademischen Bereich, beispielsweise in der forschenden Industrie. Zudem stehen ihnen Sprachkurse und weitere Bildungsangebote offen. „Die Bereitschaft zur Aufnahme von gefährdeten Forschenden ist groß“, lobt Aufderheide, der darin einen Beleg „für die Solidarität unter Wissenschaftlern“ sieht.

Die Mehrzahl der Aufgenommenen stammt aus Syrien (31 Stipendiaten), gefolgt von der Türkei (28 Stipendiaten). Weitere Herkunftsländer sind Irak, Jemen, Sudan oder Libyen.

Gerade die verschärfte Lage in der Türkei macht sich momentan bemerkbar. „Zwischen der ersten und der zweiten Ausschreibungsrunde ist der Zuspruch von türkischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern merklich gestiegen“, berichtet Aufderheide. In der zweiten Runde bildeten sie bereits die größte Gruppe. Was nicht zuletzt eine bittere Umkehr der Geschichte bedeutet.

Zwischen 1933 und 1945 bot schließlich die Türkei – in der Staatsgründer Kemal Atatürk mit einer grundlegenden Modernisierung des Bildungssystems begonnen hatte – mehr als dreihundert entlassenen deutschen Wissenschaftlern, Künstlern und Architekten eine sichere Zuflucht. Philipp Schwartz war schon im Sommer 1933 nach Istanbul gereist und hatte in Verhandlungen mit türkischen Regierungsvertretern die Anstellung von 30 Professoren an der 1933 neu eröffneten Universität in Istanbul erreicht. Sie leisteten in der Folge auch einen Beitrag zum Aufbau der modernen Türkei.

Die Gründe, aus denen heute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ihrer Heimat fliehen, sind freilich vielfältig. Für die Menschen in Syrien geht es aufgrund des anhaltenden Krieges oft ums schiere Überleben. Die Türkei verlassen viele, weil eine wissenschaftliche Tätigkeit praktisch nicht mehr möglich ist. Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben allein im vergangenen Jahr ihre Anstellung verloren, dürfen keine Arbeit mehr im öffentlichen Dienst suchen und sehen sich etwa mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein.

Nicht wenige der Stipendiaten ziehen es vor, sich nicht öffentlich zu äußern. Entweder, weil es für sie ein persönliches Risiko bedeuten würde. Oder weil Angehörige noch in der Heimat leben, um deren Wohlergehen sie fürchten müssen.

"Forschung war nahezu unmöglich"

Die Rechtswissenschaftlerin Anan Alsheikh Haidar, Stipendiatin an der Uni Köln, ist allerdings bereit, ihre Geschichte zu erzählen. Die in Salamiyah geborene Syrerin war nach verschiedenen Auslandsstudien als Dozentin an der Universität in Damaskus sowie für die Syrian Virtual University tätig. Zudem recherchierte sie für ihre Dissertation über die Regionalisierung des Internationalen Strafrechts mit Schwerpunkt auf dem Nahen Osten. Unter schwierigen Bedingungen allerdings – nicht zuletzt, weil in Syrien so oft der Strom ausfiel und es keine Internetverbindung gab. „Forschung“, sagt die Rechtwissenschaftlerin, „war nahezu unmöglich.“

Schwerer aber wog, dass Haidar und ihr Ehemann Housamedden Darwish, der sich mit Artikeln gegen Assad und ISIS vorgewagt hatte, als Regimegegner konkret von Verhaftung bedroht waren. 2014 mussten sie ihre Heimat verlassen. Haidar bewarb sich um ein Stipendium bei der Philipp Schwartz-Initiative und fand Unterstützung unter anderem durch Professor Claus Kreß, den Direktor des Kölner Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht. „Ohne die Schwartz-Initiative“, sagt Haidar, die in Deutschland nun an ihrer Dissertation weiterarbeitet, „hätte ich meine akademische Laufbahn nie fortsetzen können.“

Im „Humboldt Kosmos“, dem Magazin der Humboldt-Stiftung, haben zudem einige der ersten Stipendiaten Einblicke in ihre Fluchtbiografien und das neue Leben auf Zeit gegeben. Darunter der Mikrobiologe Nedal Said, der als Assad-Gegner Syrien mit seiner Frau und drei kleinen Kindern unter Lebensgefahr verlassen musste und ein Jahr in einem türkischen Flüchtlingslager zubrachte – bis er 2015 allein, zunächst in einem kleinen Boot, nach Deutschland gelangte. Heute ist Said im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig beschäftigt und lernt Deutsch. „Ich bin wieder ein ganzer Mensch“, so der syrische Wissenschaftler.

Die Translationswissenschaftlerin Meral Camci aus Istanbul wiederum erhielt in ihrer Heimat die Kündigung, weil sie einen Friedensappell gegen die Bombardierung der kurdischen Gebiete unterzeichnet hatte. In der Folge wurde sie auch vorübergehend verhaftet. Mittlerweile ist sie Schwartz-Stipendiatin an der Universität Mainz, wo sie ihr Projekt über die Entwicklung eines feministischen Diskurses in der Türkei weiterführt.

Trotz der Gefahren reist sie zwischendurch aber auch zurück in die Heimat – um vor Ort zu recherchieren und die Friedensbewegung zu unterstützen.

Die meisten Stipendiaten träumen von einer Rückkehr in die Heimat

Die meisten der Stipendiaten träumen davon, in ihre Heimat zurückzukehren. Eine dauerhafte Perspektive würde sich in Deutschland wohl auch nicht allen bieten, zu angespannt ist die Situation auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt. Wahrscheinlich gäbe es Nischen für einige speziell qualifizierte Forscherinnen und Forscher, aber auch das ist ohne Gewähr.

Nach ihren Zukunftsperspektiven gefragt, antwortet Anan Alsheikh Haidar, dass es ihr momentan schwer falle, Pläne zu schmieden, „weil ich gerade erst bei null wieder angefangen habe“. Auf jeden Fall will sie ihre Deutschkenntnisse vertiefen, „hart arbeiten und meine Karriere als Wissenschaftlerin fortsetzen“.

Ein wichtiger Punkt ist natürlich, dass die Schwartz-Stipendiaten mit ihrem Fachwissen in den Herkunftsländern dringend gebraucht werden – „wenn es dort hoffentlich eines nicht allzu fernen Tages zum Wiederaufbau kommt“, so Enno Aufderheide. Oder wenn sich eine neu erblühende Demokratie auf die Notwendigkeit kritischer Geister zurückbesinnt.

Die Alexander von Humboldt-Stiftung präsentiert sich bei der "Langen Nacht der Ideen" am 12.Mai von 18 bis 23 Uhr im WissenschaftsForum Berlin am Gendarmenmarkt, Markgrafenstraße 37, 10117 Berlin.

Weitere Texte zum Thema Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite Menschen bewegen

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