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In der Türkei wird im September 2016 gegen die Suspendierung von Wissenschaftlern demonstriert.
© Reuters

Gastbeitrag zur Internationalisierungsstrategie: Freiheit der Forschung weltweit sichern

Die Wissenschaftsfreiheit gerät weltweit unter Druck. Die Bundesregierung muss klarstellen, wie sie bedrohte Forscher unterstützen will, fordern Politiker von SPD, Linke und Grüne in einem Gastbeitrag.

Weltweit erleben wir ein Erstarken nationalistischer, autoritärer und fremdenfeindlicher politischer Bewegungen. Immer länger scheint die Liste der Länder zu werden, in denen Journalistinnen und Journalisten, Andersgläubige und Andersdenkende und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert, eingekerkert oder gar getötet werden.

Hochschulen geraten als Orte kritischen Denkens zunehmend unter Druck. Weltweit schrumpfen die Budgets für die Wissenschaft und vielerorts sind Strömungen auf dem Vormarsch, die Identität in Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsdiffamierung finden. Wissenschaftliche Faktenlagen wie der Klimawandel oder Ergebnisse der Gender-Forschung werden diskreditiert oder gar geleugnet.

Fortschrittliche und demokratische Kräfte sind gefordert, sich diesem Trend entgegenzustellen. Wir müssen Neugier, Wahrheitssuche und Erkenntnisgewinn befördern – mit einem nachhaltigen Mittelaufwuchs und mit mehr Beteiligung von bislang unterrepräsentierten gesellschaftlichen Gruppen am wissenschaftlichen Diskurs. Und das nicht nur, um den Anfängen in unserem Land zu wehren, sondern auch in europäischer und weltweiter Solidarität.

Dramatisch: Die Lage in der Türkei

Besonders dramatisch ist die Lage in der Türkei. Wenn Teile der Opposition verhaftet sowie die Presse- und Wissenschaftsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt werden, dann sind das tiefe Eingriffe in die Freiheitsrechte. Es reicht nicht aus, die Lage dort bloß „mit Sorge“ zu beobachten, sondern es braucht tatsächlichen politischen Druck. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in ihrer Heimat unterdrückt werden, sollte sichere Unterkunft in Deutschland angeboten werden.

Auch in zahlreichen anderen Ländern wie China, Russland, Iran, Irak oder Ägypten fürchten kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Freiheit oder sogar ihr Leben. Gerade die Sozial- und Geisteswissenschaften stehen weltweit unter Druck. Jede Forschung, die soziale Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse in den Blick nimmt, wird von Diktatoren, Demagogen und Nationalisten mit Vehemenz unterdrückt und bekämpft. Daher gehört sie von Demokratinnen und Demokraten genauso vehement geschützt, gestärkt und abgesichert.

Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben gezielt Initiativen ergriffen, um bedrohten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zumindest vorübergehend eine neue Heimat zu bieten. Ein Beispiel ist die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung. 24 deutsche Hochschulen sind bereits dem „Scholars-at-Risk-Netzwerk“ beigetreten, das sich für die Unterstützung verfolgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einsetzt.

Es bedarf expliziter Leitlinien für die Zusammenarbeit

Wenn die Bundesregierung in den nächsten Wochen ihre Internationalisierungsstrategie vorstellen wird, muss sie klare Aussagen treffen, wie sie die Freiheit von Wissenschaft und Forschung sichern und fördern und wie sie bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen will. Niemand will Austausch und Kooperation direkt abbrechen, wenn sich die Lage in einem Land verschlechtert. Es bedarf aber expliziterer Leitlinien für die Zusammenarbeit, auch um denjenigen den Rücken zu stärken, die solche Kooperationen aktiv gestalten.

Internationale Austauschprogramme, Forschungs- und Hochschulpartnerschaften bringen „Wandel durch Annäherung“ und echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Konkrete Hilfen und wissenschaftspolitische Interventionen gewinnen umso mehr an Kraft, je stärker Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik im engen Schulterschluss zusammenarbeiten.

Zu einer neuen Internationalisierungsstrategie muss gehören, Erkenntnisse zur Bedrohungslage von Studierenden und Forschenden systematisch zu sammeln, zu bewerten und zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeiten zum Schutz verfolgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Wissenschaftsorganisationen sind auszuweiten. Auch ein flexibler Fonds für Studierende und Promovierende aus Staaten mit gefährdeter Wissenschaftsfreiheit für die Mittlerorganisationen wie die Alexander von Humboldt-Stiftung, den Deutschen Akademischen Auslandsdienst und die Studierendenwerke könnte hier helfen.

Kleinräumige Egoismen überwinden

Wir leben in Zeiten, in denen Teile der Gesellschaft von einer Rückkehr in kleinräumige Egoismen träumen. Wissenschaft und Forschung müssen darum zeigen, welche Erfolge, welche Innovationen und welche Erkenntnisfortschritte möglich sind, wenn Menschen ohne Ansicht der Person in Freiheit nach den besten Lösungen für die Zukunft der Menschheit suchen. Auf der anderen Seite sind für den gezielten Einsatz zum Schutz von Personen und Strukturen nicht nur Kontakte und Beziehungen, sondern auch systematisch gewonnene und aufbereitete Erkenntnisse notwendig.

Eine „Notgemeinschaft“ war es, die 1933 als erste Anlaufstelle für damals verfolgte deutsche Hochschullehrer gegründet wurde, die neue Arbeitsstellen im Ausland suchten. Bitter die Zeiten, in denen dieses Denken in Notgemeinschaften wieder nötig wird. Umso wichtiger ist es, jetzt auch in Deutschland und darüber hinaus in Europa Zeichen „praktischer Solidarität“ zu setzen.

- Die Autor*innen sind die wissenschaftspolitischen Sprecher*innen für ihre Fraktionen im Bundestag: Kai Gehring für die Grünen, Nicole Gohlke für die Linke, Ernst-Dieter Rossmann für die SPD.

Kai Gehring, Nicole Gohlke, Ernst-Dieter Rossmann

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