Extremwetter und Klimawandel: Über den Wolken aus der Puste
Dem Jetstream - jenem Höhenwind, in den kerosinbewusste Piloten gerne einbiegen - geht die Kraft aus. Das derzeitige Langzeit-Extremwetter könnte die Folge sein - und zukünftiges auch.
Der Jetstream ist ins Gerede gekommen. Denn dieser schnelle Höhenwind, in den treibstoffbewusste Flugkapitäne gerne einbiegen, wenn er dorthin weht, wo sie hinmüssen, ist möglicherweise einer der Hauptakteure des anhaltend heißen und trockenen Sommers 2018. Er bläst in diesem Sommer so schwach, dass er nicht mehr der große Wetterwechsler ist, der in mehr oder weniger rascher Folge Hochs und Tiefs aus dem Atlantik heranführen kann. Seit Monaten liegt über Nordeuropa vielmehr ein Hoch, das kein Tief mehr vertreiben konnte.
Kleinerer Unterschied
Den Grund für das Beharrungsvermögen des Hochs glauben Meteorologen in den eisigen Polarregionen gefunden zu haben. Diese sind nicht mehr ganz so eisig wie früher. Der Temperaturunterschied zwischen nordpolaren und den weiter südlichen Zonen ist etwas kleiner geworden. Das nimmt dem Höhenwind Kraft. Denn „es ist der Temperaturgegensatz zwischen Arktis und Äquator, der den Jetstream antreibt“, sagt die Meteorologin Jennifer Francis von der Rutgers University in den USA.
Das funktioniert normalerweise so: Warme Luft steigt nach oben. Deshalb ist über warmen Luftmassen der Luftdruck auch in größeren Höhen noch relativ hoch. Über südlichen warmen Zonen liegt also in aller Regel ein „Höhenhoch“. In den kälteren Regionen des Nordens dagegen sinkt die kalte Luft ab und verdichtet sich am Boden. Der Luftdruck in der Höhe sinkt deshalb und über polaren kalten Luftmassen liegt dann also ein „Höhentief“.
Zwischen etwa 40 und 60 Grad nördlicher Breite treffen in der sogenannten Polarfront kalte Luftmassen aus den Polarregionen auf warme Luftmassen aus dem Süden. Sie bringen jeweils ihr Höhenhoch und Höhentief mit, zwischen denen ein Druckgefälle entsteht. Dieses erzeugt einen starken Höhenwind, der aus dem südlichen Höhenhoch heraus nach Norden Richtung Höhentief weht. Die Drehung der Erde reißt diesen Wind allerdings auch gehörig in Richtung Osten mit. Diesen zusätzlichen Ostschwung entsprechend der Rotation am Ort seiner Entstehung behält der Höhenwind auch dann noch weitgehend bei, wenn er schon weit nach Norden hinaufgeweht ist. Die Geschwindigkeit jedoch, mit der sich unten auf der Erde selber jeder Ort ebenfalls nach Osten dreht, wird immer kleiner, je näher er am Nordpol liegt. Deshalb gewinnt der Höhenwind im Vergleich zu der sich unter ihm immer langsamer nach Osten drehenden Erde einen zunehmenden östlichen Vorsprung, je weiter er nach Norden vorankommt.
Östliche Kurve
Von der Erdoberfläche aus gesehen macht der ursprünglich nach Norden wehende Höhenwind also eine Kurve nach Osten. Es sieht so aus, als hätte ihn eine unsichtbare Kraft gepackt und aus seiner Nordrichtung abgelenkt. Der erste Physiker, der im Jahr 1835 diese scheinbare Kraft ausführlich beschrieb, war der französische Physiker Gaspard Gustave de Coriolis. Ihm zu Ehren nennt man sie heute Corioliskraft.
Die Corioliskraft also dreht den ursprünglich nach Norden wehenden Höhenwind allmählich nach Osten. So entsteht der sogenannte Polar-Jetstream, der die Erde in einer Höhe von zehn bis 15 Kilometern, also in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre, von West nach Ost umrundet. Die Windgeschwindigkeiten in ihm liegen meist bei 150 bis 200 Kilometern pro Stunde, können aber auch auf über 500 km/h ansteigen.
Kleine Störungen des Jetstreams, wenn er zum Beispiel über hohe Berge hinwegweht, können ihn aus seiner Bahn lenken. Ein komplexes Wechselspiel aus Strömungsverdichtungen und -verdünnungen, Druckzunahmen und -abnahmen, Geschwindigkeitserhöhungen und -rückgängen sowie den zugehörigen Stärken und Richtungen der Corioliskräfte verstärkt diese Störungen der Jetströmung. Sogenannte Rossby-Wellen entstehen hierdurch. Benannt sind diese Höhenwindkurven nach dem schwedischen Meteorologen Carl-Gustaf Rossby: Statt geradeaus zu strömen, mäandriert der Polar-Jetstream in mehr oder weniger weit ausholenden Bögen. Die unterschiedlichen Strömungsverhältnisse in den Rossby-Wellen des Höhen-Jetstreams wirken sich auch auf die Luftschichten unterhalb aus: Südlich einer Rossby-Rechtskurve des Jetstreams entsteht in tieferen Luftschichten ein Gebiet hohen Luftdrucks, nördlich einer Rossby-Linkskurve entwickelt sich jeweils ein Gebiet tieferen Luftdrucks. Und zusammen mit den Rossby-Wellen wandern auch die zugehörigen Hoch- und Tiefdruckgebiete langsam um die mittleren und nördlichen Breiten des Globus. Ein kräftiger Jetstream begrenzt aber auch das Ausmaß der Rossby-Mäander, strafft sie.
Schwächerer Höhenwind
„Wenn der Temperaturunterschied zwischen Süd und Nord abnimmt, sollte der Jetstream-Wind schwächer werden, und genau das beobachten wir“, so Jennifer Francis. Und je langsamer die Windgeschwindigkeiten innerhalb des Jetstreams werden, desto weiter ausholend werden seine Rossby-Mäanderwellen. „Dass der Jetstream sich öfter über lange Zeit stark windet, ist ein recht neues Phänomen – das macht es noch bedeutsamer“, sagt Dim Coumou von der Freien Universität Amsterdam. Er ist Mitautor einer Studie über den Einfluss des Klimawandels auf den Jetstream und die daraus folgenden extremen Wetterlagen. Denn je weiter die Rossby-Wellen nach Norden hinauf- und dann wieder hinab nach Süden schwingen, desto langsamer kommen gleichzeitig nach Osten voran. Weitere Folgen des Jetstream-Schlingerkurses beschreibt der Umweltforscher James Screen von der Universität Exeter in England so: „Die Rossby-Wellen neigen dann dazu, in einem quasistationären Zustand stecken zu bleiben.“ Die Westströmung werde blockiert, das Wetter verharre wochenlang in demselben Zustand: „Ein Hochdruckgebiet zum Beispiel kann dann lang andauernde Hitze und Trockenheit bringen.“
Meteorologen nennen eine solche Situation „Omega-Lage“. Denn die Rossby-Welle um das zentrale Hochdruckgebiet herum zusammen mit zwei flankierenden Tiefdruckgebieten sieht aus wie jener griechische Buchstabe. Eine solche Omega-Lage mit einem ortsfesten Hoch über Skandinavien und Russland bestimmt seit Wochen den trockenen Sommer 2018 in ganz Europa.
Dunklerer Norden
Die Frage, in welchem Maße die Situation in diesem Jahr bereits Folge des Klimawandels ist, wird man erst in einigen Jahrzehnten beantworten können. Eines jedoch gilt als Fakt im Jetstream-Wetter-Puzzle: Die Arktis erwärmt sich seit Jahrzehnten schneller als der Rest der Erde. Auch in diesem Sommer wird das arktische Meereis wieder zusammenschmelzen auf eine Fläche, die nur noch halb so groß ist wie vor 40 Jahren zur gleichen Zeit. Und je größer die freie, dunkle Wasserfläche ist, desto mehr Sonnenenergie fängt sie auf. Entsprechend wärmer wird auch die Luft in der Arktis. Sie steigt auf und erhöht den Luftdruck in höheren Luftschichten. Entsprechend kleiner wird der Druckunterschied in der Höhe zwischen den polaren und südlichen Regionen. Und entsprechend schwächer wird der von diesem Druckunterschied angetriebene Jetstream.
Deshalb ist folgende Prognose zumindest plausibel: Wettersituationen mit schwachem und weit nach Norden und Süden mäandrierendem Polar-Jetstream, dessen Rossby-Wellen nur noch langsam nach Osten vorankommen, werden häufiger werden. Dabei entstehende Hochdrucklagen werden im Vergleich zu früher also länger anhalten. Tiefdrucklagen aber ebenso. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung beschreibt es so: „Wenn in einer Region über Wochen das gleiche Wetter herrscht, können sich sonnige Tage in eine schwere Hitzewelle auswachsen oder Regen in eine Flutkatastrophe.“ Und im Winter würden lange Kältewellen oder schwere Schneefälle wahrscheinlicher. Denn wenn dann eine Rossby-Welle weit nach Süden schwingt, öffnet sich gleichsam die Tür des arktischen Kühlschranks. Dann strömt kalte Polarluft nach Süden. Und wenn der Kaltluft-Trog – eingezwängt durch flankierende Hochdruckgebiete und aufgrund schwachen Jetstreams – nicht weiterwandert, bleibt die polare Kühlschranktür lange offen.
Genau das passierte etwa im Januar 2017 in Deutschland, aber auch Anfang 2018 in Florida. Die Skeptiker des Klimawandels kommentierten diese Kältewellen gerne und gewollt ironisch, sie seien wohl Folge des Klimawandels. Sie hatten – ungewollt ironisch – vermutlich recht.