Medizinstudium: Studieren mit Risiken und Nebenwirkungen
Die Reform des Medizinstudiums muss zu richtig guten Ärzten führen. Aber nutzt der bisherige Masterplan wirklich alle Chancen? Ein Gastbeitrag.
Lange Wartezeiten, ungeeignete Auswahl der Studierenden, praxisfernes Studium mit zu wenig Patientenkontakt – so lauten seit vielen Jahren die Kritikpunkte an der Medizinerausbildung. Hinzu kommt die offensichtlich geringe Attraktivität der Landarzttätigkeit. Gesundheits- und Wissenschaftsministerien von Bund und Ländern wollen nun handeln und arbeiten an einem „Masterplan Medizinstudium“. Gegen diesen Gesetzesentwurf demonstrierten jedoch vor Kurzem zahlreiche Studierende unter dem Motto „richtig gute Ärzte werden“.
Einigkeit besteht bei der Beurteilung des Entwurfs zum Masterplan nur in der Einschätzung, dass die Konzentration auf die Abiturnote bei der Zulassung zum Medizinstudium zu relativieren sei. Der Vorschlag, mindestens zwei weitere Auswahlkriterien wie Auswahltests sowie soziales und fachliches Engagement heranzuziehen, das ist wiederum ein Schritt in die richtige Richtung. Der Teufel wird zwar im Detail stecken, aber die Universitäten haben die Möglichkeit, individuell zu reagieren. Jetzt schon gibt es ganz unterschiedliche Vorschläge findiger Universitäten, um dem ungebrochenen Ansturm der AbiturientInnen auf das Medizinstudium beizukommen. So kann man etwa an der Universität Würzburg mit einem Preis bei „Jugend forscht“ auf Landes- oder Bundesebene seinen Abi-Schnitt um 0,2 verbessern.
Welche finanziellen Mittel aber müssen von den Universitäten zur Verfügung gestellt werden, um aufwendige Auswahltests durchzuführen? Und ist nicht zu befürchten, dass findige Unternehmer sehr schnell betuchten Studierenden entsprechende Trainingsmodule anbieten werden, um die neuen Auswahltests zu bestehen?
Die "Landarztquote" wurde von den Studierenden kritisiert - zu Recht
Die Kritik der Medizinstudierenden richtet sich auch gegen die Einführung einer „Landarztquote“ – die Studienplatzvergabe an jene Studierenden also, die sich auf eine berufliche Tätigkeit auf dem Land verpflichten, wie sie die Unionsparteien nun fordern. Ihr erteilten die Studierenden zu Recht eine Absage: Sie ist weder umsetzbar noch zielführend. Um den Ärztemangel auf dem Land zu beheben, bedarf es vielmehr neuer Instrumente, denn die Lebensbedingungen im ländlichen Raum haben sich geändert und mit ihnen auch die Arbeitsbedingungen in der medizinischen Versorgung.
Niedergelassene Ärzte waren und sind immer Multitalente. In Anbetracht der Digitalisierung der Medizin sind große Umwälzungen im Gange, für die die Bundesregierung beachtliche Forschungsgelder bereitstellt. Diagnostik und Versorgung von Patienten werden in Zukunft zunehmend über Service-Plattformen erfolgen. Junge Ärzte und Ärztinnen auf dem Land brauchen daher vermehrt Know how in Beratung, Begleitung, IT-Technik, Geschäftsführung, Psychologie und Management. Hier müssen innovative Konzepte her. Ärztezentren oder gesundheitsbezogene lokale Versorgungskonzepte werden entwickelt und die Telemedizin hält Einzug. An diesen Themen muss gearbeitet werden, wenn der Landarzt und die Landärztin auch in Zukunft attraktiv sein sollen.
Die Erfahrungen der Reformstudiengänge sollten aufgenommen werden
Verschiedene Universitäten, allen voran die Charité in Berlin, haben bereits Modell- und Reformstudiengänge für Medizin eingeführt. Deren Evaluierungsergebnisse stehen noch aus und sollten dringend vom Gesetzgeber für die künftige Gestaltung des Studiums genutzt werden, auch wenn es dann mit der Reform ein wenig länger dauern sollte.
Einfache Lösungen gibt es nicht. Und angesichts der Tatsache, dass künftig über 70 Prozent der Ärzte weiblich sein werden, gilt es vor allem über die Mehrfachbelastung von Ärztinnen nachzudenken – schon um zu verhindern, dass nicht alle aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lieber in die Pharmaindustrie abwandern. Lohnend erscheint es mir, über Familienfreundlichkeit und möglicherweise Frauen exkludierende Karrierepfade in der Medizin bereits im Studium nachzudenken und attraktive Konzepte zu entwickeln.
Ich befürchte daher, dass der Masterplan mit seinen Vorschlägen nicht genügend auf die Aufgaben in der Medizin von morgen ausgerichtet sein könnte. Wir müssen den Mut haben, junge Ärzte und Ärztinnen schon im Studium mit den globalen Herausforderungen, dem demografischen Wandel oder den zunehmend internationalen Patientengruppen zu konfrontieren. Diese Chance dürfen wir jetzt nicht verpassen!
Daniela De Ridder ist Mitglied des Bundestages. Im Bildungsausschuss ist sie für die SPD-Fraktion Berichterstatterin zur Reform des Medizinstudiums.