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Die Ergebnisse des neuen Bildungstrends wurden am Freitag vorgestellt. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurde als Reaktion auf Deutschlands schwachen Resultate bei der Pisa-Studie (2000) gegründet. Die Schulleistungsstudie untersucht die Kompetenzstände der Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik im Ländervergleich.
© Fabian Sommer/dpa

Reaktionen auf Bildungsstudie: Sorge um Schülerleistung in Ostdeutschland

Die neuen Bildungstrends beinhalten widersprüchliche Signale. Klar ist nur: Im Hinblick auf den Mint-Fachkräftemangel gibt es keine positiven Aussichten.

Diffuse Ergebnisse, schwache Erklärungsversuche: Politiker, Gewerkschaften und Verbände taten sich am Freitag schwer mit der Einordnung der Resultate der neuesten bundesweiten Schulstudie. Zu widersprüchlich waren denn auch Signale.

Wie bereits berichtet, liegen Berlins Schülerinnen und Schüler weiterhin bundesweit hinten, Brandenburg und drei weitere ostdeutsche Länder lassen stark nach bei der Neuntklässlerstudie, an der bundesweit fast 45.000 Schüler teilnahmen. Alexander Lorz (CDU), Präsident der Kultusministerkonferenz und Kultusminister in Hessen, bewertete das Ergebnis als „durchwachsen“. Angesichts der großen Herausforderungen für die Schulen – wie eine immer heterogenere Schülerschaft – könne man aber durchaus zufrieden sein.

Ähnlich äußerte sich Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, das die Studie durchführte. Auch Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) nahm auf die gestiegene Heterogenität – mehr Zuwanderung, mehr Inklusion – Bezug und würdigte, dass Berlin die Mathematikleistungen von 2012 immerhin habe halten können. Allerdings sei es „keine Frage, dass wir bei den Leistungsdaten besser werden müssen“. Dies gilt besonders für die Naturwissenschaften: Jeder vierte Neuntklässler verfehlt die Mindestanforderungen in Chemie, in Physik jeder sechste. In diesen Fächern muss Berlin seit Langem überwiegen Quereinsteiger einstellen.

Will den Negativtrend der Brandenburger Schülerleistungen analysieren lassen: Bildungsministerin Britta Ernst (SPD).
Will den Negativtrend der Brandenburger Schülerleistungen analysieren lassen: Bildungsministerin Britta Ernst (SPD).
© Andreas Klaer

Brandenburg setzt jetzt auf Ursachenforschung

Brandenburg liegt zwar weiterhin über dem Bundesschnitt, hat sich aber – ebenso wie die anderen ostdeutschen Länder außer Sachsen – in allen Disziplinen verschlechtert. „Diese Entwicklung sehen wir mit Sorge und nehmen sie sehr ernst“, sagte Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD). Jetzt müsse eine „sorgfältige Analyse und Ursachenforschung folgen, um mit den Fachleuten entsprechende Schlussfolgerungen zu erarbeiten.“ Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sieht einen Zusammenhang zwischen der Pensionierungswelle und dem Leistungsrückgang in den neuen Ländern: Die noch in der DDR ausgebildeten Lehrer der naturwissenschaftlich-mathematischen Fächer hätten „überdurchschnittlich guten Unterricht gemacht“.

Brandenburg sei in den Fächern Mathematik und Biologie vom dem sehr guten dritten Platz von 2012 auf Platz 5 „abgerutscht“, formulierte das Brandenburger Bildungsministerium. Auch in den Fächern Chemie und Physik hätten sich die Kompetenzwerte der Brandenburger Schülerinnen und Schüler verschlechtert, lägen aber zum Teil weiter über dem Bundesdurchschnitt. Es sei ein großes Verdienst, so Ministerin Ernst, dass sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland „trotz der Zuwanderung seit dem Jahr 2015“ nicht verschlechtert hätten und es gelungen sei, die Kinder und Jugendlichen aus Zuwanderungs- und Flüchtlingsfamilien in den Schulen gut zu integrieren und zu fördern.

Neue Zahlen: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in den einzelnen Bundesländern.
Neue Zahlen: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in den einzelnen Bundesländern.
© Tsp

Gymnasien verloren Vorsprung

Ein auffälliges Ergebnis, das nach dem Erscheinen des Schulvergleichs Kontroversen auslöste, ist auch das schlechtere Abschneiden der Gymnasiasten. In Baden-Württemberg wird dieses Phänomen damit begründet, dass neuerdings mehr Kinder als früher ohne Grundschulempfehlung das Gymnasium besuchen dürfen. Stanat konnte das für die übrigen Länder nicht bestätigen. Daher konnte sie die schwächeren Ergebnisse nur konstatieren, aber nicht erklären.

Als die „eigentlich bedeutsame Nachricht“ beim Ländervergleich wertete die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, die Tatsache, dass mit Sachsen und Bayern die beiden Bundesländer mit dem „am stärksten gegliederten Schulsystem“, also mit mehreren Schulformen neben dem Gymnasium, kontinuierlich vorn zu finden seien. Es sei „deutlich“, dass die Gliederung dem Kompetenzerwerb aller Schülerinnen und Schüler auf allen Schularten diene. In diesen Bundesländern zähle zudem beim Übergang in die weiterführenden Schularten neben dem Elternwillen eben gerade auch die verbindliche Leistungsbewertung der Schülerinnen und Schüler.

Gegen die These vom stark gegliederten Schulsystem als Erfolgsgrund spricht allerdings, dass auch Thüringen zur Spitzengruppe gehört: Dort gibt es die Aufteilung in Haupt- und Realschulklientel nicht mehr.

Interesse für Naturwissenschaften wecken - darum geht es auch immer wieder bei Veranstaltungen der Universitäten wie hier bei der "Langen Nacht der Wissenschaften", wo sich schon Kinder über die farbenprächtige Welt der Chemie und die Gewinnung von Kristallen informieren können (Archivbild).
Interesse für Naturwissenschaften wecken - darum geht es auch immer wieder bei Veranstaltungen der Universitäten wie hier bei der "Langen Nacht der Wissenschaften", wo sich schon Kinder über die farbenprächtige Welt der Chemie und die Gewinnung von Kristallen informieren können (Archivbild).
© Wolfgang Kumm/dpa

GEW fordert „Unterstützungsmaßnahmen“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erneuerte ihre skeptische Haltung gegenüber Studien wie den IQB-Bildungstrend:. „Die quantitative Forschung muss durch qualitative Methoden der Unterrichtsforschung ergänzt werden", forderte die GEW-Bundesvorsitzende Ilka Hoffmann. Bei Problemen seien "gut evaluierte Unterstützungsmaßnahmen einzusetzen". “So hätten beispielsweise Bremen und Berlin, die im Bildungstrend nicht gut abschneiden, mit besonders großen sozialen und pädagogischen Herausforderungen an den Schulen zu kämpfen.

Dass es bei den „Unterstützungsmaßnahmen“ hapert, ist offenkundig: Selbst Schulen, die seit Jahren massive Probleme haben, kommen kaum voran. Auch das von hoher Erwartung begleitete und großem Aufwand betriebene Programm „Turnaround“ verpuffte anscheinend an einigen Schulen - unter ihnen auch Schulen mit den höchsten Schulabbrecherquoten der Stadt. Allerdings befinden sich diese Schulen auch in einem Teufelskreis: Wegen geringer Nachfrage müssen sie ihre freien Plätze mit frustrierten Rückläufern aus den Gymnasien und mit geflüchteten Schülern füllen, die die Abschlussquote weiter drücken, weil sie es nicht oftmals mehr schaffen können, ihren Rückstand aufzuholen. Diese Schulen leiden dann oft noch unter einer extrem hohen Schwänzerquote. Und Sie sind es auch, die am schwierigsten Fachlehrer finden.

In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.
In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.
© Tabelle: Tagesspiegel/Böttcher

IHK warnt vor den Folgen der schwachen Kompetenzen

„Berlin fehlen heute bereits die Fachkräfte im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT)“, mahnte Constantin Terton, der IHK-Bereichleiter für Fachkräfte und Innovation. In zehn Jahren würden dies laut IHK-Fachkräftemonitor 35.400 Arbeitsplätze betreffen. Laut den aktuellen Ergebnissen der IQB-Studie würden jedoch den Berliner Schülern „genau diese notwendigen MINT-Kompetenzen fehlen.“

Insbesondere die Ergebnisse für das Fach Mathematik seien „besorgniserregend.“ MINT-Berufe benötigten grundlegende mathematische Kompetenzen. Es werde deutlich, dass die bereits beschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung der Schulqualität „zu wenig die Sekundarstufe I im Blick haben.“

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