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 Gam-Covid-Vac, oder inzwischen "Sputnik-5", heißt der Impfstoff aus dem Moskauer Gamaleya Forschungsinstitut für Epidemiologie und Mikrobiologie, der trotz ausstehender Prüfung in Russland jetzt zugelassen wurde.
© imago images/ITAR-TASS

Der russische Corona-Impfstoff „Sputnik-V“: So viel Mut wie nötig, so wenig Leichtsinn wie möglich

Russland lässt ein kaum geprüftes Vakzin zu - und riskiert Vertrauensverluste in Impfstoffe. Aber ist mehr Risiko in der Pandemie nicht nötig? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Gesundheitliche Risiken geht jeder von uns jeden Tag ein. Auf dem Weg zur Arbeit, bei der Pausenzigarette, beim Skifahren. Meist findet die Abwägung von Gefahr und Nutzen aus dem Bauch heraus statt.

Für die eigene Entscheidung ist das in einer freien Gesellschaft auch richtig so.

Was aber, wenn staatliche Stellen entscheiden sollen, wie hoch das Risiko ist, das wir eingehen, etwa wenn wir einen Impfstoff bekommen? Dann sollte Risikominimierung das oberste Gebot sein.

Weltweit hat sich spätestens seit dem Contergan-Skandal ein mehrstufiges Testsystem entwickelt, das die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten sicherstellen soll. Erst nach der dritten klinischen Prüfphase kann die Sicherheit einer Arznei hinreichend beurteilt und die Zulassung erteilt werden.

Die russische Regierung meint nun, schlauer als die Wissenschaft zu sein und schon vor Abschluss dieser dritten Phase die Wirkung des Vakzins vorhersehen zu können. Trotz des Risikos für die Bürger wurde „Sputnik-V“ zugelassen – nur um „Erster“ in einem vermeintlichen „Rennen“ um einen Covid-19-Impfstoff zu sein.

Putins PR-Coup darf die Debatte über eine angemessen beschleunigte Impfstoffsuche nicht behindern

Doch es ist wohlfeil, Putins Kaltblütigkeit einfach nur zu verdammen. Denn die Pandemie strapaziert allenthalben Grundregeln, auf die sich Gesellschaften bislang verständigt hatten.

Auch im „Westen“ wurde der Ablauf der Impfstoffentwicklung nicht nur atemberaubend beschleunigt – von durchschnittlich 10 Jahren auf etwa 10 Monate.

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Auch hier haben namhafte Forscher, etwa Steven Salzberg von der Johns Hopkins University in Baltimore, darüber nachgedacht, die dritte Prüfphase gewissermaßen auszulassen bzw. gleichzeitig mit der breiten Anwendung an Millionen von US-Amerikanern zu beginnen – ganz wie in Russland.

Nach Protest von Kollegen zog Salzberg seine Idee zurück. Die Risiken seien größer und die Vorteile geringer als der Bioinformatiker geahnt habe. Versuche an nur wenigen Dutzend oder Hunderten Probanden, wie in Phase 1 und 2 üblich, reichten nicht aus. Er hat recht.

Blick auf das Gebäude von Binnofarm, dort soll "Sputnik-V", der russische Corona-Impfstoff, hergestellt werden.
Blick auf das Gebäude von Binnofarm, dort soll "Sputnik-V", der russische Corona-Impfstoff, hergestellt werden.
© Alexander NEMENOV/AFP

[Mehr zum Thema Covid-19-Impfstoffe: Diese Vakzinkandidaten werden derzeit geprüft - ein Überblick]

Dennoch ist es legitim, die Frage zu stellen, ob die Nutzen-Risikoabwägung unter den Pandemiebedingungen anders ausfallen könnte. Schon vor Corona war es ja nicht so, dass nach Tests an etwa 30.000 Menschen und zum Zeitpunkt der Zulassung Sicherheit und Verträglichkeit eines Impfstoffs immer zweifelsfrei geklärt gewesen seien. Experten wissen, dass seltene, aber fatale Nebenwirkungen eines Impfstoffs mitunter erst nach Millionen von Infizierten erkennbar werden.

Wieviel mehr an Risiko ist zumutbar, wieviel mehr wollen wir gar eingehen, um die Pandemie zu beenden?

Welches Risiko also kann man Menschen jetzt, in dieser Situation zumuten? Sind wir wegen Corona bereit, bestimmte Prinzipien über Bord zu werfen? Oder welches Risiko sind die Menschen in dieser Gesellschaft bereit zu akzeptieren, um einen erneuten Lockdown und die damit einhergehenden Folgen abzuwenden?

Darüber nachzudenken, wie sich die Impfstoffentwicklung verantwortungsbewusst beschleunigen lässt, bedeutet nicht, den russischen Schritt zu billigen. Denn es gibt gangbare Optionen: Anstatt in der Phase-3-Prüfung monatelang abzuwarten, bis gesunde Probanden zufällig mit dem Virus in Berührung kommen, könnte man sie in einer so genannten Challenge-Studie absichtlich mit Sars-CoV-2 infizieren.

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Undenkbar? In den USA wird das durchaus diskutiert. Und Tübinger Forscher konfrontierten 2017 Probanden mit dem Malaria-Erreger, gegen den sie zuvor mit einem experimentellen Vakzin geimpft worden waren. Solche Versuche sind umstritten. Doch Ethikkommissionen akzeptieren sie mitunter, wenn ethische Standards eingehalten werden, wie etwa Aufklärung über die Risiken und Freiwilligkeit der Entscheidung.

Im Fall des Covid-19-Impfstoffs ist allerdings zu bedenken, dass für eine demokratische Debatte kaum Zeit ist. Und sie ist riskant, angesichts des Drucks aus Politik und Wirtschaft auf die – hierzulande immerhin unabhängigen – Arzneimittelzulassungsbehörden. Dort weiß man, dass einmal verspieltes Vertrauen nur mühsam wieder hergestellt werden kann, und achtet trotz aller Beschleunigung auf die Sicherheitsanforderungen.

Katastrophale Folgen, sollte das Vakzin scheitern - für jegliche Impfungen

Denn die Folgen der Zulassung eines unsicheren Impfstoffs, der die Covid-19-Erkrankung womöglich sogar verschlimmert oder schwere Nebenwirkungen auslöst, wären drastisch: „Das wäre nicht nur für die globale Pandemiebekämpfung katastrophal, sondern für sämtliche Impfaktivitäten“, sagt Joachim Hombach von der Strategischen Expertengruppe für Immunisierung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf.

Und das ist ein Risiko, dass wir auf keinen Fall eingehen dürfen. Denn daran hängen weit mehr Menschenleben, als Covid-19 je kosten wird.

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