zum Hauptinhalt
Eine Mitarbeiterin des Nikolai Gamaleya Nationalzentrums für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau.
© Alexander Zemlianichenko Jr/Russian Direct Investment Fund/AP/dpa

Trotz Kritik an Russlands Corona-Impfstoff: Erste Staaten kündigen Interesse an „Sputnik V“ an

Viele halten eine zu frühe Massenimpfung mit dem Impfstoff für gefährlich. Doch nicht so Brasilien – eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder.

Den Wettlauf um die erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs hat Russland für sich entschieden – doch statt Jubel gibt es weltweit viel Kritik. Wirksamkeit und Sicherheit seien wegen der nicht abgeschlossenen dritten Testphase nicht zu beurteilen und der Impfstoff damit eine potenzielle Gefahr für die Bevölkerung, bemängeln Experten weltweit.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagierte zurückhaltend auf den vermeintlichen Erfolg. Die Forschung an einem Impfstoff solle gemäß bewährter Prozesse vonstattengehen, um sicherzustellen, dass der Impfstoff sicher und effektiv ist. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schaue skeptisch nach Russland: „Nach allem was wir wissen, ist das nicht hinreichend erprobt.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Dienstag die Zulassung des Impfstoffs „Sputnik V“ zur breiten Verwendung in der Bevölkerung bekanntgegeben. Sie erfolgte vor dem Vorliegen der Ergebnisse sogenannter Phase-III-Studien – ein Vorgehen, das dem international üblichen Ablauf widerspricht. Weder die Wirksamkeit noch die Nebenwirkungen lassen sich derzeit fundiert beurteilen.

„Dass die Russen solche Maßnahmen und Schritte überspringen, beunruhigt unsere Gemeinschaft von Impfwissenschaftlern“, sagte Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston (Texas) dem Fachjournal „Nature“. „Wenn sie es falsch machen, könnte das gesamte globale Vorhaben untergraben werden.“ Eine Massenimpfung mit einem nicht ausreichend getesteten Impfstoff sei unethisch, kritisierte Francois Balloux vom University College London.

„Bevor nicht alle klinischen Studien beendet sind, ist der Gebrauch von Impfstoffen wie eine Büchse der Pandora und dementsprechend potenziell auch gefährlich“, twitterte der Pressechef des iranischen Gesundheitsministeriums, Kianusch Dschahanpur, am Mittwoch. Alle Staaten sollten sich bewusst sein, dass ein Wettlauf um einen Impfstoff kein anderes Ziel verfolgen sollte als den Schutz der Gesundheit der Menschen, erklärte der Pressechef des Gesundheitsministeriums.

Interesse an russischem Impfstoff: Brasilien, die Philippinen und die Vereinigten Arabischen Emirate

Trotz der immensen Kritik gibt es aber auch Interesse an dem Mittel. Der brasilianische Bundesstaat Paraná kündigte an, ein Abkommen mit Russland zu schließen, um den Impfstoff selbst zu produzieren. „Die technisch-wissenschaftliche Kooperation öffnet die Möglichkeit, Impfstoff-Tests zu machen und die Impfung hier für die brasilianische Bevölkerung zu produzieren“, sagte der russische Konsul in Curitiba, Acef Said, der Deutschen Presse-Agentur.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Der Chef des russischen Investmentfonds, Kirill Dmitrijew, nannte neben Brasilien auch die Philippinen und die Vereinigten Arabischen Emirate als Länder, die Interesse an einer Produktion von „Sputnik V“ hätten. Es gebe darüber hinaus auch Interesse aus dem Ausland, an der dritten Testphase teilzunehmen.

Israel teilte mit, grundsätzlich an „Sputnik V“ interessiert zu sein. Es gebe bereits Beratungen über den neuen Impfstoff, hatte der israelische Gesundheitsminister Juli Edelstein am Dienstag gesagt.

Eine Freiwillige in Brasilien lässt sich mit einem Corona-Impfstoff des chinesischen Pharmakonzerns Sinovac impfen.
Eine Freiwillige in Brasilien lässt sich mit einem Corona-Impfstoff des chinesischen Pharmakonzerns Sinovac impfen.
© Andre Lucas/dpa

Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Erst wenige Menschen haben ihn im Rahmen einer Studie erhalten. Zu den ersten Menschen aus der Bevölkerung, die nun geimpft werden sollen, gehören medizinisches Personal und Lehrer.

Parallel dazu sollen die entscheidenden Phase-III-Tests mit Tausenden Probanden laufen. Der Name „Sputnik V“ soll an den ersten Satelliten im All erinnern, den die Sowjetunion 1957 gestartet hatte – und damit vor den USA.

Russischer Impfstoff: Trump will Putin aufholen

US-Präsident Donald Trump versprach dem amerikanischen Volk nach Russlands Ankündigung schnelle Fortschritte bei der Entwicklung eines eigenen Impfstoffes. „Wir sind auf dem besten Weg, schnell 100 Millionen Dosen zu produzieren, sobald der Impfstoff zugelassen ist, und kurz danach bis zu 500 Millionen“, sagte er. Mehrere aussichtsreiche Stoffe seien in der letzten Erprobungsphase und stünden vor einer Zulassung.

Einer Liste der Weltgesundheitsorganisation vom Montag zufolge werden derzeit sechs andere Impfstoff-Kandidaten in einer Phase-III-Studie getestet.

Nur ein gut wirksamer Impfstoff kann Experten zufolge eine rasche und deutliche Wende in der Corona-Pandemie bringen, ohne dass strenge Lockdown-Regeln nötig sind. (dpa)

Zur Startseite