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Ein Porträt der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
© imago images/photothek

Familienministerin behält Doktortitel: So begründet die FU, warum sie Giffey nur rügt

Das Gesamtbild der festgestellten Mängel rechtfertige die Entziehung des Doktorgrades nicht: So begründet die FU Berlin ihr Urteil im Fall Giffey.

Wie begründet die Freie Universität ihren Entschluss, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für ihre Dissertation eine Rüge zu erteilen – ihr aber nicht den Doktortitel zu entziehen? Mit der Rüge „missbilligt“ das Präsidium zwar, dass Giffey in ihrer Dissertation die Standards wissenschaftlichen Arbeitens „nicht durchgängig beachtet hat“, heißt es in der Mitteilung, die die FU am Mittwochabend gegen kurz vor 20 Uhr verschickte.

„Das Gesamtbild der festgestellten Mängel“ rechtfertige die Entziehung des Doktorgrades aber nicht.

Für die Prüfung der Dissertation hatte sich die FU seit Februar Zeit genommen – damals wurden die Plagiatsvorwürfe gegen Giffey bekannt. Den Fall prüfte ein fünfköpfiges Gremium, das einer Promotionskommission entspricht.

Dem Gremium gehörten drei Professorinnen und Professoren der Freien Universität, ein externer Professor sowie eine promovierte akademische Mitarbeiterin der FU an. Keines der Mitglieder hatte zuvor die Dissertation von Giffey begutachtet oder sonst in ihrem Promotionsverfahren mitgewirkt, teilte die FU mit.

Das FU-Präsidium beschloss "einstimmig"

Dieses Gremium schlug jetzt dem Präsidium vor, nur eine Rüge zu erteilen. Das Präsidium habe nach eingehender Prüfung und mehrstündiger Sitzung „einstimmig“ beschlossen, dieser Empfehlung zu folgen, heißt es.

Die Plagiatsvorwürfe gegen Giffey waren im Februar durch die Plattform „VroniPlag Wiki“ bekannt geworden. 119 Stellen gibt es demnach in Franziska Giffeys Doktorarbeit, die auf wissenschaftliches Fehlverhalten hinweisen – und das auf 76 von insgesamt 205 untersuchten Seiten. So habe Giffey in mindestens 72 Fällen für ihre Aussagen Quellen angegeben, die offenbar „willkürlich gewählt“ seien. Die Dokumentation ist seit Mai abgeschlossen und unter Giffeys Namen einsehbar – und nicht mehr nur wie zu Beginn anonym (hier geht es zur Dokumentation).

Das Prüfungsgremium habe jede einzelne der beanstandeten Fundstellen nach unabhängiger Einzelprüfung „durch jedes Mitglied und anschließender gemeinsamer Diskussion bewertet“, teilt die FU nun mit. Diese systematische Analyse sei die Grundlage für die Prüfung gewesen, ob eine Täuschung vorliege.

Die FU bezieht sich auf ein Urteil aus dem Jahr 2017

In ihrem Urteil bezieht sich die FU vor allem auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 – es handelt sich um das Urteil zu dem Plagiatsfall der FDP-Politikern Margarita Mathiopoulos. Das Gericht habe damals ausgeführt, die Plagiatsstellen müssten die Arbeit „quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen“. Eine quantitative Prägung sei zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtumfangs „überhandnehmen“. Von einer qualitativen Prägung sei zu sprechen, wenn die restliche Dissertation „den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt“.

Beides – die quantitative und die qualitative Prägung von Giffeys Arbeit – verneint die FU nun. Die beanstandeten Stellen würden mit Blick auf die ganze Dissertation „quantitativ“ eben nicht überhandnehmen. Die problematischsten Stellen würden zudem überwiegend das Kapitel „Begriffserklärung und Eignungsdimensionen von Beteiligungsinstrumenten“ der Dissertation betreffen.

Berücksichtige man die thematisch einführende Funktion dieses Kapitels wurde „auch eine qualitative Prägung im Sinne des Bundesverwaltungsgerichtes nicht bejaht“, führt die FU aus. Die Dissertation sei schließlich eine Einzelfallstudie auf der Basis von Leitfadeninterviews – „und leistet hier ihren wesentlichen Beitrag zum Kenntnisstand der empirischen Politikforschung über die EU-Politik“.

Ein VroniPlag Wiki-Mitglied reagiert erstaunt

Trotz der festgestellten Mängel könne also "nicht grundsätzlich“ in Frage gestellt werden, dass es sich bei der Dissertation „um eine eigenständige wissenschaftliche Leistung handelt“, folgert die FU: „Das Gesamtbild der festgestellten Mängel rechtfertigt die Entziehung des Doktorgrades nicht.“

Gerhard Dannemann, Juraprofessor an der Humboldt-Universität und Mitarbeiter bei VroniPlag Wiki, reagierte in einer ersten Reaktion erstaunt auf die Begründung der FU. Denn es gebe zahlreiche andere Urteile, nach denen es eben nicht zulässig sei, „alle Plagiatsstellen abzuziehen und zu schauen, ob der Rest der Arbeit gut genug ist“. Mit der Berufung auf das Urteil von 2017 zu einem anderen Plagiatsfall versuche die FU so „mehrere Jahrzehnte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beiseite zu schieben“.

Studierende vor der "Rostlaube" der Freien Universität an der Habelschwerdter Allee in Berlin-Dahlem.
Die "Rostlaube" der Freien Universität an der Habelschwerdter Allee in Berlin-Dahlem.
© Thilo Rückeis

Das hatte auch Klaus F. Gärditz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, erst vor kurzem im Tagesspiegel bekräftigt. „Eine halbe Seite ohne Quellenangabe würde reichen, um den Doktorgrad abzuerkennen“, sagte Gärditz. Natürlich könne eine Kommission Milde walten lassen, wenn es sich dabei um einen „schwierigen Grenzfall“ handle, bei dem etwa im ersten Satz von fünf abgeschriebenen Sätzen die Quelle noch richtig genannt sei. Prinzipiell müsse man sich aber daran orientieren, ob die Zitierstandards eingehalten wurden. Diese seien transparent und von Fach zu Fach im Wesentlichen dieselben.

Beanstandet wurden 119 Fragmente in Giffeys Dissertation

Aus Sicht von VroniPlag Wiki jedenfalls sind Giffeys Verstöße so gravierend, dass ein Entzug des Doktorgrads nahelag. Zu den 119 beanstandeten Fragmenten heißt es, sie seien „als Plagiat eingestuft“ worden. Plausibel erscheine „der Verdacht einer bewusst irreführenden, wider besseres Wissen erfolgten Angabe unzutreffender Quellen“.

„Willkürliche Referenzierungen“ sind das Plagiatsmuster, das VroniPlag Wiki am häufigsten erkennt. Dabei handelt es sich um Quellen, die nicht zum Text der Arbeit passen. So gibt Giffey bei der Definition des Begriffs „Zivilgesellschaft“ als Quelle drei Veröffentlichungen von drei Autoren an. Allerdings hat sie ihre Begriffserklärung nicht eigenständig aus diesen Quellen entwickelt, sondern aus einem vierten Werk übernommen, in dem die drei von Giffey genannten Quellen zitiert werden. In 66 Fällen werfen die Rechercheure Giffey zudem „Bauernopfer“ vor. Dabei wird nach einer aus der Sekundärliteratur zitierten Aussage durchaus eine Quellenangabe gemacht, dann aber weiter abgeschrieben, ohne dies noch als Zitat mit Quelle auszuweisen.

Tilmann Warnecke, Amory Burchard

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