Experte über Umgang mit Impfzweiflern: „Sie haben nicht verstanden, wie die neuen Impfstoffe funktionieren“
Der Epidemiologe Herwig Kollaritsch hat ein Buch mit Pro- und Contra-Argumenten zur Corona-Impfung geschrieben. So blickt er auf die kommenden Wochen.
Herwig Kollaritsch studierte und habilitierte in seiner Heimatstadt Wien Medizin und spezialisierte sich auf Reisemedizin, Impfwesen, Epidemiologie, und Mikrobiologie. Er ist Mitglied des österreichischen nationalen Impfgremiums (NIG). Gemeinsam mit der Journalistin Silvia Jelincicz schrieb er das Buch „Pro & Contra: Corona-Impfung. Tipps für die persönliche Impfentscheidung“.
Herr Kollaritsch, Sie haben ein Buch geschrieben, das die Entscheidung für oder gegen eine Corona-Impfung erleichtern soll. Haben Sie sich persönlich schon entschieden?
Ja, ich will mich auf jeden Fall impfen lassen, und zwar so früh wie möglich. Wenn ich mich aus dieser unangenehmen Situation befreien und mich freier bewegen kann, auch beruflich, dann ist das ein derartiger Komfortgewinn, dass ich dafür zwei Tage mit schmerzendem Arm gerne in Kauf nehme.
Sie sagen in Ihrem Buch aber auch: „Eine Impfung ist kein Hustenzuckerl“
Das habe ich bewusst mit hineingenommen, weil wir es hier mit Impfstoffen zu tun haben, von denen wir wissen, dass sie etwas reaktogener als die üblichen Impfungen sind, die wir kennen. Die RNA-Impfung ruft in unserem Organismus eine Reaktion hervor, die wir spüren – was aber nicht bedeutet, dass sie schädlich ist.
Das liegt eben an der speziellen Immunantwort, die diese Impfungen hervorrufen, die aber gleichzeitig sehr hochwertig ist. Diese Reaktion muss man noch einmal unterscheiden von Impfnebenwirkungen, denn eine Reaktion ist ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem arbeitet: Wenn Sie etwa einen Schnupfen haben, sind Ihre Symptome auch ein Zeichen dafür, dass ihr Körper gerade Viren bekämpft – ein wünschenswertes Signal.
Wie sieht es denn tatsächlich aus mit der Verträglichkeit?
Die ersten Zahlen von Pfizer zeigen, dass die überwiegende Zahl der Reaktionen mild oder mäßiggradig waren, nur ein kleiner Teil war als „stark“ klassifiziert. Ein interessantes Ergebnis ist, dass ältere Menschen die Impfung signifikant besser vertragen. Das liegt möglicherweise daran, dass auch das Immunsystem altert und es nicht mehr so reaktogen ist wie bei jüngeren Menschen.
Aktuell sind Schlagzeilen zu lesen wie „Können RNA-Impfungen Menschen mutieren lassen?“. Wie kann man solchen Befürchtungen entgegentreten?
Es ist leider Gottes so, dass die Menschen, die diese Behauptungen streuen, nicht verstanden haben, wie ein mRNA-Impfstoff funktioniert. RNA geht nicht in den Zellkern, im Gegenteil: Sie wird aus dem Zellkern ausgeschleust. Im Zellkern sitzt die DNA, das ist ganz was anderes.
Was hier befürchtet wird, nennt sich Insertionsmutagenese, als dass durch Insertion eines Erbguts das Erbgut in der Zelle verändert wird. Das funktioniert aber nicht mit RNA. Man könnte höchstens noch befürchten, dass die RNA selbst sich in der Zelle vermehrt, aber auch das ist bei diesem Impfstoff nicht möglich, weil sie vernichtet wird, nachdem die mRNA abgelesen wurde und eine Immunreaktion in Gang gesetzt hat.
Es ist so, als ob ich eine Planskizze für ein Haus habe, das ich dann baue und dann werfe ich den Plan weg.
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Wie kann man denn sowas jemandem erklären, der keinen Zugang zu Ihrem Buch hat oder vielleicht auch nicht die Vorbildung, um RNA von DNA unterscheiden zu können?
Der Versuch, den ich immer wieder mache, ist zu erklären, dass wir nichts tun, was es in der Natur nicht auch gibt. Wir lassen unseren Körper einen Impfstoff produzieren. Das hat den Vorteil, dass es unter sehr kontrollierten Bedingungen abläuft, weil dieser Prozess ständig in der Zelle abläuft, nur eben mit Proteinen, die von unserem Immunsystem nicht als fremd erkannt werden.
Aber wir haben eben auch Sensoren in der Zelle, die Fremdproteine erkennen und die Immunreaktion in Gang setzen. Für mich haben RNA-Impfstoffe sogar einen besonderen Vorteil, weil sie zu den reinsten Vakzinen überhaupt gehören: Da sind keine Vektorviren drin, keine Rückstände eine Gewebekultur, auf der die Vakzine gezüchtet wurde. Es ist ein vollsynthetisches Produkt, dass chemisch gut zu kontrollieren ist und deshalb in gleichbleibender Qualität vorliegt.
Wenn Sie in eigener Praxis einen Zweifler oder eine Zweiflerin sitzen hätten – wie würden Sie mit dieser Person sprechen?
Zunächst einmal würde ich den Patienten bitten, eine persönliche Nutzen-Risiko-Abwägung zu treffen. Es gibt verschiedene Ebenen: Erstens kennen wir die Zahlen zu Fällen und Sterblichkeit, hier in Österreich sind bisher 4000 Menschen am Coronavirus gestorben. Es ist keine Option, so eine Pandemie dauerhaft durchzuhalten und so viele Tote in Kauf zu nehmen.
Zweitens können wir diese Einschränkungen, die physischen wie auch die psychischen und wirtschaftlichen, nicht über Jahre in Kauf nehmen. Und drittens würde ich einem jungen Menschen, der sich nicht gefährdet sieht, sagen: Wir leben in einer Solidargemeinschaft.
Es gibt außer den unmittelbaren Coronafällen langfristige Kollateralschäden, das Gesundheitssystem hält so etwas nicht lange aus und Menschen müssen ihre Operationen und Chemotherapien verschieben mit entsprechenden Folgen. Noch einmal in nackten Zahlen: Wenn wir von den 4000 Coronatoten in neun Monaten 90 Prozent verhindern können, dann haben wir noch etwa 600 im Jahr. Und dafür lohnt es sich doch.
Und was ist mit den Impfschäden und -nebenwirkungen? In Deutschland fürchten 60 Prozent der 40- bis 49-Jährigen Nebenwirkung den Vakzine aufgrund ihres schnellen Entwicklungs- und Zulassungsprozesses.
Sicher ist, dass wir keine schweren Nebenwirkungen haben bis zu einer Frequenz von eins zu 10.000, für seltenere Nebenwirkungen werden die Daten in der begleitenden Erhebung gesammelt werden. Dann werden wir einschätzen können, ob das fiktive Risiko von schwereren Nebenwirkungen besteht.
Daran glaube ich persönlich aber nicht, weil es sich um einen inaktivierten Impfstoff handelt und nicht um einen Lebend-Impfstoff, der in Bezug auf seine Arzneimittelsicherheit schwerer zu berechnen ist als ein inaktivierter. Die Engländer haben jetzt kolportiert, dass es zwei allergische Reaktionen gab.
Da wird jeder, der mit Impfungen arbeitet, den Mund zu einem wissenden Lächeln verziehen, weil wir das schon kennen: Bei jedem Impfstoff kann eine allergische Reaktion auftreten, vor allem bei Menschen, die schon einmal eine allergische Reaktion auf einen Impfstoff hatten oder die eine ellenlange Liste mit Allergien haben. Das muss man vorher erfragen und nachbeobachten, das ist aber nichts, was lebensbedrohlich ist.
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Ärzte und Politiker sollten also lieber schonungslos ehrlich sein, als den Impfstoff als Wundermittel zu verklären.
Man muss den Menschen gegenüber vollkommen offen sein: Ich sage den Leuten immer, was wir wissen und wie sie sich verhalten sollen. Bekämen sie von der Impfung Fieber, sollten sie ein fiebersenkendes Mittel nehmen, einen schmerzenden Arm mit Umschlägen kühlen. Die allergischen Reaktionen sollten sofort auftreten, das sollte schon in der halbstündigen Nachbeobachtung an der Impfstation auffallen.
Sie haben in kurzer Zeit ein Stück Wissenschaftskommunikation vorgelegt, auch hier in Deutschland gab es viele schnelle Beiträge zu Corona – etwa ein Video von Mai-Thi Nguyen-Kim, das zum meistgesehenen Video auf Youtube in Deutschland 2020 wurde. Ist es eine gute Zeit, Wissenschaftskommunikator zu sein oder bekommen Sie auch viel Gegenwind?
Den spüre ich ganz massiv. Ich könnte Ihnen eine Sammlung von E-Mails schicken, in denen ich massiven Beschimpfungen ausgesetzt bin. Ich arbeite seit 40 Jahren an der Entwicklung von Impfstoffen mit und bin einfach von diesem Thema einfach überzeugt. Ich habe gesehen, was Impfungen in der Vergangenheit für unsere Gesundheitssystem bedeutet haben und das wird auch hier so sein, auch wenn die Impfgegner sich formieren.
Ich weiß, dass diese nicht missionierbar sind, deshalb diskutiere ich mit Hardcore-Impfgegnern auch nicht, genauso wenig wie mit Leuten, die an die Existenz von Corona nicht glauben. Das fällt dann in die Kategorie der Menschen, die glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Es gibt eben nach wie vor Unverbesserliche, die Tatsachen nicht akzeptieren wollen.
Mich stört aber, dass Impfgegner in den Medien und im Internet so stark aktiv und dadurch zu viel repräsentiert sind. Die Gefahr ist, dass eine medizinisch-wissenschaftliche Abhandlung nicht so griffig ist wie eine Verschwörungstheorie.
Wie hoch, glauben Sie, ist der Anteil derjenigen, die zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern stehen? Statistiken weisen für Deutschland auf knapp 40 Prozent hin, der überzeugt ist. Der Rest ist unsicher oder dagegen.
Das ist in Österreich ähnlich, ich glaube, dass der überwiegende Anteil noch nicht überzeugt ist. Die Hälfte dieser Menschen, also insgesamt 25 bis 30 Prozent, braucht noch überzeugendere Argumente. Und etwa zwölf Prozent der Gesamtheit könnte mit viel Mühe überzeugt werden, da braucht es wirklich gute Kommunikation.
Mir persönlich haben trotz aller Kritik die Videos des Robert Koch-Instituts zur Prävention gut gefallen. Man muss es in einer Sprache bringen, die die Bevölkerung versteht, durchaus mit Humor. Und was auch sehr wichtig ist: Man braucht Influencer und Testimonials, die die Idee in die Bevölkerung hineintragen. Das sollten nicht unbedingt Politiker sein, sondern eher Persönlichkeiten. die im öffentlichen Leben stehen und von der Impfung überzeugt sind, denn halbherzig darf es auch nicht sein.
Was halten Sie von denn von dem Vorstoß des Ethikrat-Mitglieds Stefan Augsberg, eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen einzuführen?
Ich bin grundsätzlich ein Gegner der Impfpflicht, weil sich bei Impfpflichten immer die Fronten verhärten und die Impfgegner immer Mittel und Wege gefunden haben, die Verpflichtung zu umgehen. Es ging also ins Leere. Wenn man sie durch die Hintertür einführt, also als Erfordernis für die Ausübung bestimmter Berufe, dann machte mich das auch nicht glücklich, aber ich könnte es akzeptieren. Allerdings auch nur dann, wenn die Impfung in der Lage ist, die Transmission zu beeinflussen, etwa bei Angestellten im Pflege- und Gesundheitsbereich.
Diese Regelung haben wir ja schon bei Masern, etwa bei Säuglingspflegenden. Aber auch bei den Gesundheitsberufen wäre es das allerletzte Mittel, weil gerade diese ein sensibler Bereich sind. Die Leute dort haben sich mit der Materie beschäftigt, und man kann mit Überzeugungsarbeit viel mehr erreichen. Leider haben wir in Österreich Angehörige der Gesundheitsberufe, auch Ärzte, die sagen, dass sie sich nicht impfen lassen wollen. Wenn man sie fragt, warum, kommen aber keine sachlichen Argumente. Das ist bedauerlich, weil man dann nicht entsprechend diskutieren kann.
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