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Überfordert. Unruhe, Unaufmerksamkeit und Impulsivität sind typische ADHS-Symptome.
© Julian Stratenschulte, picture alliance / dpa

ADHS: Schlechter Schlaf und wenig Freunde

Wer ein Zappelphilipp ist, hat es nicht leicht. Doch es gibt Fortschritte bei der Diagnose und Therapie von ADHS.

Es ist eine Untersuchung mit Gewicht, die Forscher um den Dänen Ole Jakob Storebø kürzlich vorlegten. Schließlich haben sie dafür die Daten von 18 000 Heranwachsenden mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom ADHS im Alter zwischen drei und 18 Jahren aus insgesamt 185 Einzelstudien analysiert. Ein Fazit aus der Datenfülle der Cochrane-Analyse: Diejenigen unter den Kindern und Jugendlichen, die die Substanz Methylphenidat (Ritalin) einnahmen, trugen keine lebensbedrohlichen Nebenwirkungen davon – obwohl in den letzten Jahren vereinzelt über schwere Herzprobleme berichtet worden war. Allerdings schlagen die Mittel den Kindern häufig auf den Appetit, und sie haben im Vergleich mit Altersgenossen mehr als doppelt so häufig Schlafprobleme.

Dass die Heranwachsenden unter Methylphenidat länger brauchen, um einzuschlafen, einen weniger erholsamen und noch dazu kürzeren Nachtschlaf haben, bestätigte eine amerikanische Untersuchung, deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Pediatrics“ veröffentlicht wurden. Katherine Kidwell und Team von der Universität Nebraska-Lincoln hatten dafür neun Studien mit verschiedenen Präparaten herangezogen, in denen der Schlaf der Kinder vor der Einnahme als Vergleich diente. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang deutlich: Je häufiger und je später am Tag ein Kind Stimulanzien einnimmt, desto stärker sind die Auswirkungen auf die Nachtruhe. Die Autoren wünschen sich, dass die Ärzte, die die Kinder betreuen, mit den Familien über dieses Problem sprechen und dass sie es durch niedrige Dosierung und das passende Einnahmeschema lindern.

Trotz aller Kritik: Die Pillen können ein Segen sein

Ein Grund, generell auf die Mittel zu verzichten, die die Verfügbarkeit der Hirnbotenstoffe Dopamin und Noradrenalin erhöhen, ist das Schlaf-Problem aber nicht. Selbst die grundsätzlich sehr kritische Cochrane-Analyse ergab, dass die Psychostimulanzien in dreifacher Hinsicht segensreich sein können. Die Mittel reduzierten nach Einschätzung der Lehrer die ADHS-Symptome der Kinder, zugleich nahmen sie weniger auffälliges Verhalten wahr. Und die Eltern berichteten zumindest in einem Teil der Studien über eine bessere Lebensqualität in der Familie. Problematisch sei allerdings, dass nach mehr als 50 Jahren Forschung noch keine klaren Strategien existierten, um die Kinder herauszufischen, die von den Medikamenten profitieren.

Leider konnten die Kinder für diese Studien nicht befragt werden. Für sie dürfte – neben ihrem Status in der Schule und der Atmosphäre zu Hause – besonders wichtig sein, ob sie Freunde haben, mit denen sie sich gut verstehen. ADHS-Symptome wie Unruhe, Unaufmerksamkeit und Impulsivität führen oftmals dazu, dass sich Beziehungen zu Gleichaltrigen für sie schwieriger gestalten. Entwicklungspsychologen um Frode Stenseng von der Universität Trondheim und Jay Belsky aus Kalifornien fragten sich vor einigen Jahren, ob auch umgekehrt ein Schuh daraus wird. Schwierige oder fehlende Beziehungen zu „Peers“ könnten ja theoretisch auch ADHS-Symptome erst hervorrufen oder zumindest verstärken. Wenn beides zusammenkommt, könnte ein Teufelskreis entstehen.

Die Bildgebung könnte bei der Diagnose helfen

Die Forscher untersuchten in der „Trondheim Early Secure“-Studie Kinder zwischen ihrem vierten und ihrem achten Lebensjahr, außerdem befragten sie Eltern und Lehrer. Das Ergebnis: Wer als Kindergartenkind mehr ADHS-Symptome zeigte, hatte später in der Grundschule schlechtere Beziehungen zu Gleichaltrigen. Wer als Kindergartenkind schlechtere Beziehungen zu anderen Kindern hatte, dem konnten umgekehrt aber auch mehr ADHS-Symptome in der Grundschulzeit vorausgesagt werden. „Beides, ADHS-Symptome und Ablehnung durch Altersgenossen, ist verbunden. Aber beides beeinflusst sich wahrscheinlich über die Jahre auch gegenseitig“, sagt Entwicklungspsychologe Belsky. Wichtig sei auf jeden Fall, den Kindern bei der ADHS-Behandlung auch auf dem Gebiet ihrer sozialen Beziehungen zu helfen.

An der norwegischen Studie mit Kindergarten- und Grundschulkindern kann man bemängeln, dass sie sich nicht auf formelle kinderpsychiatrische Diagnosen stützte. Immer wieder wird kritisiert, dass das Etikett „ADHS“ Kindern heute von Ärzten, aber auch von Eltern und Lehrern zu leichtfertig angeheftet wird. Forscher von der Medizinischen Hochschule der Universität Stanford zeigten sich in ihrer im „Journal of Biological Psychiatry“ veröffentlichten Studie überzeugt davon, dass die Diagnostik mittels moderner Bildgebung objektiver werden kann. Als sie 180 Kinder mit und ohne ADHS-Diagnose in den funktionellen Magnetresonanz-Tomografen (fMRT) steckten, bemerkten sie deutliche Unterschiede in der Vernetzung von Hirnarealen, deren temporärer Zusammenschluss Menschen dabei hilft, Prioritäten zu setzen und ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Studienleiter Weidong Cai meint, dass sich daraus ein verlässliches Anzeichen entwickeln lässt, das dabei hilft, Kinder mit ADHS von ihren Altersgenossen auf objektiverer Basis zu unterscheiden.

"Ganz am Anfang"

Wie wird es mit der Diagnostik und Therapie von ADHS weitergehen? „Wir stehen vermutlich erst am Anfang einer Entwicklung, die sowohl diagnostisch durch die Neurowissenschaften als auch hinsichtlich der Definition des Störungsbildes ADHS grundlegende Entwicklungen bringen wird“, meint ADHS-Spezialist Michael Huss von der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Rheinhessen- Fachklinik in Mainz. Das bedeute aber nicht, dass ADHS nicht existiert. „Das wäre ein Trugschluss“, sagt er. Allerdings werde man wesentlich differenzierter an das Thema herangehen müssen. „Und das wird vermutlich dazu führen, dass die Schwerpunkte unserer Therapieangebote – einschließlich des Verhältnisses von Medikamenten und anderen Maßnahmen – verändert und ergänzt werden.“

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