Kosmodrom Wostotschny: Russlands neues Tor zum Weltraum
Erstmals soll eine Rakete vom sibirischen Wostotschny aus starten – künftig auch mit Kosmonauten. Das Kosmodrom soll Baikonur entlasten und damit die Abhängigkeit von Kasachstan verringern.
Nach mehreren Verzögerungen, Querelen um Korruption und Pfusch am Bau ist es endlich so weit: Am Mittwoch soll erstmals eine Rakete vom neuen russischen Raumfahrtzentrum Wostotschny – übersetzt: „Östlicher“ – abheben. Um 4.01 Uhr (MESZ) soll es losgehen, an Bord der „Sojus“ befinden sich drei Satelliten. Wirklich fertig ist das Raumfahrtzentrum – die Russen sagen Kosmodrom – noch nicht. Der nächste Start wird für 2017 erwartet; der reguläre Betrieb dürfte 2018 anlaufen, schätzt Igor Komarow, Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos.
Die neue Startanlage bedeutet zugleich einen langsamen Abschied vom traditionsreichen Kosmodrom in Baikonur. Von dort flog Juri Gagarin als erster Mensch ins All, auch der deutsche Astronaut Alexander Gerst verließ dort 2014 die Erde, um ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation (ISS) zu arbeiten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion stand die russische Raumfahrt vor dem Problem, dass ihr wichtigster Startkomplex außerhalb des Landes in Kasachstan lag. Jedes Jahr zahlt Russland eine Pacht von 115 Millionen Dollar für die Nutzung, der Vertrag läuft noch bis 2050.
Wostotschny ist 8000 Kilometer vom Machtzentrum Moskau entfernt
Die Stimmung in Kasachstan ist gemischt. Einerseits kommt mit Baikonur Geld ins Land (beziehungsweise wurde ein Teil der Staatsschulden beglichen), auf der anderen Seite steht die Angst vor Umweltschäden. Bei Fehlstarts können große Mengen des giftigen UDMH-Treibstoffs freigesetzt werden.
Im Jahr 2007 gab Präsident Wladimir Putin den Auftrag, ein neues Raumfahrtzentrum zu bauen, um die Abhängigkeit von Kasachstan zu verringern. Ende 2008 wurde der Standort Wostotschny im fernen Sibirien ausgewählt. Auf den ersten Blick erscheint das widersinnig, schließlich befindet sich die Industrie, die Raketenteile, Satelliten und Raumsonden baut, im Westen des Landes – all das muss nun über tausende Kilometer nach Osten transportiert werden. Auch Forschungseinrichtungen und vor allem die Politik sind weit weg: Man sollte nicht die Wirkung unterschätzen, die es hat, wenn Regierungsmitglieder und Entscheider aus Wirtschaft und Wissenschaft einen Raketenstart selbst erleben. Aus diesem Grund gibt es regelmäßig VIP-Flüge zu den Starts von Weltraummissionen, nicht nur in Russland.
Für Wostotschny spricht die geografische Lage. Je näher sich ein Raketenstartplatz am Äquator befindet, umso mehr Last kann das Geschoss ins All befördern, weil es zusätzlich den Schwung der Erdrotation nutzt. Aus diesem Grund wurde das Kennedy-Space-Center in Florida errichtet und das europäische Startzentrum bei Kourou in Französisch-Guayana. Je nach Zielorbit fliegen die Raketen von beiden Orten meist in Richtung Osten davon. Sollte etwas schiefgehen, stürzen Trümmerteile ins Meer statt aufs Festland, das möglicherweise bewohnt ist.
Auch Wostotschny befindet sich relativ weit südlich, zumindest aus russischer Perspektive, und die Raketen fliegen bald über dem Pazifik. Per Eisenbahn, Schnellstraßen, Flughafen und Seehäfen soll das Kosmodrom für Mensch und Material gut zu erreichen sein. Der Ausbau des ehemaligen Militärgeländes indes verlief schleppend. Mehrfach wurde von Baupfusch berichtet, nach Angaben der Agentur Itartass klagen mehr als 1100 Arbeiter über ausstehende Gehälter in Höhe von 1,7 Millionen Euro. Weitere Millionenbeträge sollen unauffindbar sein, woraufhin mehrere Verantwortliche verhaftet wurden.
2030 will Russland Kosmonauten zum Mond bringen
Der Erstflug soll endlich positive Schlagzeilen liefern. Besonders stolz berichtet Roskosmos-Chef Komarow von dem 52 Meter hohen mobilen Versorgungsturm. Dieser wird über die aufrecht stehende Rakete gefahren und schützt die Arbeiter bei der Startvorbereitung vor dem Wetter. Zwischen minus 50 und plus 40 Grad schwanken die Temperaturen in der Gegend.
Ob die Starts so zahlreich erfolgen wie gewünscht, ist offen. Das Fachmagazin "russianspaceweb.com" berichtet, dass es für die „Sojus“ in Wostotschny bisher nur einen Startauftrag gibt, schließlich gibt es noch weitere Startorte wie Plessezk oder Kourou. Nun hofft man, einige Starts für die Satellitenflotte von "One Web" zu bekommen, die weltweit die Internetversorgung verbessern soll.
Neben der „Sojus“-Rakete soll künftig auch die schwere „Angara“ dort abheben. Die Betreiber hoffen, nicht nur russische Satelliten, sondern auch Fracht von ausländischen Organisationen ins All zu befördern, um Geld zu verdienen. Bemannte Flüge sind ebenfalls geplant, aber nicht vor 2023. Komarow kündigt an, 2030 erstmals einen russischen Kosmonauten zum Mond zu bringen.
Zudem plane Russland den Bau einer Mondstation, die womöglich am Südpol des Erdtrabanten entstehen soll. Die Gegend gilt unter Mondforschern als besonders spannend. Auch der Chef der europäischen Raumfahrtagentur Esa, Johann-Dietrich Wörner, träumt von einer Station am Pol – ob aus diesen Ideen eine internationale Kooperation erwächst, muss sich zeigen.
Staatschef Putin, der dem Kreml zufolge erst „im letzten Moment“ über eine Anreise zum Start entscheiden will, betonte schon im Vorfeld, dass Wostotschny Basis für friedliche Zusammenarbeit mit anderen Ländern sein soll. „Vielleicht gelingt es uns, dass wir uns über den Kosmos auch auf der Erde besser verstehen.“ (mit dpa)