Konkurrenz im Weltraum: Russische Raumfahrt auf Passagiersuche
Ohne die Sojus-Rückfahrkarten zur Internationalen Raumstation fehlen wichtige Einnahmen für künftige Projekte. Roskosmos braucht eine neue Strategie.
Nachdem die „Crew Dragon 2“ am 30. Mai um 22:23 Uhr Moskauer Zeit erfolgreich an die internationale Raumstation ISS angedockt hatte, twitterte Dmitri Rogosin, der Chef der russischen Weltraumbehörde Roskosmos, höfliche Glückwünsche an Elon Musk und außerdem den Satz: „Ich sehe einer weiteren Kooperation mit Freude entgegen.“ Tatsächlich müssen in Moskau die Alarmglocken geschrillt haben.
Mit der Wiederaufnahme der bemannten Raumfahrt der USA endete nach fast einem Jahrzehnt das russische, äußerst lukrative Monopol. Jeder Platz eines US-Astronauten in einer Sojus-Kapsel kostete die Nasa 80 Millionen Dollar. Musk bietet seine Flüge dem Vernehmen nach für 60 Millionen pro Astronaut an.
In den letzten Jahren hatte sich zwischen Musk und Rogosin ein Twitter-Dialog entwickelt. Dabei halten sich die Verantwortlichen für die russische Raumfahrt für gewöhnlich aus öffentlichen Diskussionen heraus. Rogosin, als vormaliger russischer Nato-Botschafter in Brüssel und dann Vizepremier, ist anders gestrickt.
Als die Nasa vor einigen Jahren bekannt gab, sie wolle ihre bemannten Flüge mithilfe der Falcon-Raketen von Elon Musk wieder aufnehmen, spottete Rogosin, da könnten die amerikanischen Kollegen ja gleich versuchen, mit einem Trampolin zur ISS zu springen.
Offenbar war das sogar ein Ansporn für Musk und die Nasa, sich wieder unabhängig von russischer Hilfe zu machen. Jetzt twitterte Musk zurück: „Das Trampolin hat funktioniert.“
Passagierflüge und Trägerraketen
Der Chef des Moskauer Instituts für Kosmospolitik Iwan Moissejew analysiert die Situation: „Wegen einiger weniger Worte des Vize-Premiers hat Russland einige Milliarden Dollar verloren.“ Im Mai sei wohl der letzte Vertrag für den Flug eines Amerikaners mit einem Sojus-Raumschiff zur ISS geschlossen worden. Der Start soll im Oktober 2020 erfolgen.
Ähnliches passiere wohl mit Lieferungen von Raketentriebwerken an die USA. Die US-Trägerraketen „Atlas“ und „Antares“ fliegen seit vielen Jahren mit russischen Antrieben. Im Jahr 2013 hatte jedoch ein Mitglied des russischen Sicherheitsrates den USA gedroht, die Lieferungen zu beenden, wenn diese Triebwerke auch für nuklear bestückte Interkontinentalraketen genutzt würden.
In der Folge beschloss der US-Kongress, die Finanzierung des Imports russischer Technik zu beenden. Inzwischen hofft die Ukraine, die Marktlücke zu nutzen.
„Russland hat seinen Anteil am internationalen Raumfahrtmarkt verloren“, sagt Moissejew. Auch schwere Satelliten, die früher mit „Proton“-Trägerraketen ins All gebracht wurden, können in den USA, China und auch von der europäischen Weltraumagentur Esa billiger transportiert werden.
Neuorganisation über zehn Jahre
Aber Moissejew gewinnt den Entwicklungen einen positiven Aspekt ab: „Der größte Nutzen des Erfolgs von Space X könnte darin bestehen, dass die russische Führung alle Versprechungen von einer leuchtenden kosmischen Zukunft, die Roskosmos laufend abgibt, beiseitewischt und sich den tatsächlichen Problemen der russischen Kosmonautik widmet.“
Moissejew zielt darauf ab, die Staatsagentur Roskosmos zu zerschlagen und private Unternehmen im Wettbewerb zuzulassen. Die Ineffizienz des russischen Systems zeigt sich ihm etwa darin, dass für die Raumfahrtsparte von Musk rund 8000 Menschen arbeiten. In allen Unternehmen von Roskosmos sind es dagegen rund 250 000 Menschen.
Zudem seien aus der russischen Kosmos-Industrie keine neuen Technologien entwickelt worden. Es würde lediglich Technik modifiziert, die vor 50 Jahren entwickelt wurde. Der Verfall technischer Kompetenz beschleunige sich sogar noch, beobachtet Moissejew. Eine Neuorganisation sei nicht über Nacht zu schaffen, sondern erfordere wohl bis zu zehn Jahre.
Unerwartete Ankündigung
Dass der internationale Markt für Russland verloren sei, wird bei Roskosmos energisch bestritten. Als Passagiere für ISS-Flüge hofft man auf betuchte private Kunden. Dabei ist daran gedacht, zwei der drei Plätze in einer Sojus-Kapsel für Weltraum-Touristen zur Verfügung zu stellen. Nur noch der Pilot wäre ein Profi. Aber auch das sei nicht wirklich nötig, heißt es in Moskau, denn die russischen Systeme seien für den vollautomatischen Betrieb oder die Steuerung vom Flugleitzentrum ausgelegt.
Die Träume von einer „leuchtenden Zukunft“ der russischen Raumfahrt mag Rogosin nicht aufgeben. In seinen zwei Jahren an der Spitze von Roskosmos habe er das Management aller Unternehmen mit „jüngerem und motivierterem“ Personal besetzt, zog er kürzlich Bilanz. Dadurch sei es gelungen, den Innovationsstau zu beenden.
Der Bau neuer Raketen vom Typ „Sojus 5“ und die Entwicklung einer schweren Trägerrakete haben begonnen. „Wir denken über ein neues System bemannter Raumschiffe nach, die zu Orbitalstationen fliegen können“, sagt Rogosin dazu. Er erinnerte dabei an die sowjetische wiederverwendbare Raumfähre „Buran“, die nie bemannt geflogen ist.
Unerwartet kam die Ankündigung Rogosins, Russland wolle eine Raumstation als Nachfolger der ISS bauen. Auf diesem Gebiet sei Russland schon immer führend gewesen, sagte er Mitte Mai, „deshalb beginnt unverzüglich die Arbeit zur Schaffung einer neuen Orbitalstation.“
Der Flug zum Mond ist plötzlich nicht mehr so wichtig. Die Pläne der USA, die Flüge zum Erdtrabanten 2024 wieder aufzunehmen, kommentierte Rogosin: „Was den Mond angeht, sollten wir nicht so reagieren, wie seinerzeit die Sowjetunion auf die Strategische Verteidigungsinitiative der USA.“ In den 1980er Jahren hatte der damalige US-Präsident Ronald Reagan den Aufbau eines auch weltraumgestützten Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen angeordnet. Es sei kolossal viel Geld in eine fantastische Idee gesteckt worden, die dann nicht realisiert wurde, so Rogosin. In der Sowjetunion waren Versuche unternommen worden, die Systeme weiterzuentwickeln, sodass die Raketen nicht abgeschossen werden konnten.
„Wir sind nicht bereit, uns an irgendeinem Wettlauf zum Mond zu beteiligen“, sagt Rogosin. Hintergrund könnte aber auch sein, dass Russland nach Ansicht von Experten technisch nicht in der Lage ist, vor 2030 bemannte Flüge zum Mond durchzuführen.
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