Vogelzug: Reise ohne Rückkehr
Die Zahl der Zugvögel geht zurück. Das liegt an der Jagd im Mittelmeerraum – aber nicht nur.
Zugvögel, die von Europa aus in den Süden fliegen, leben ungleich gefährlicher als jene Tiere, die den Winter in der Heimat verbringen. So gehen die Bestände von Gartenrotschwänzen und Kuckucken deutlich schneller zurück als von Arten wie Kohlmeisen und Amseln, die hier überwintern. Ähnliche Beobachtungen sind auch aus Nordamerika bekannt, berichtet Franz Bairlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven. Im Fachmagazin „Science“ fordert er nun: „Um Zugvögel zu schützen, müssen wir auch außerhalb ihrer Brutgebiete etwas tun.“
Sender auf dem Rücken
Allerdings ist es schwierig herauszufinden, wo genau die Gefahren liegen. Zwar sind die Flugrouten großer und auffälliger Vögel wie Störche und Kraniche gut bekannt, nicht aber die Wege der viel häufigeren kleinen und unauffälligen Arten wie der Gartengrasmücke. Um das herauszufinden, nutzen Wissenschaftler kleine Sender. Diese können den Vögeln auf den Rücken geschnallt werden, ohne die Tiere dadurch stärker zu behindern, erläutert Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie (MPI) in Radolfzell am Bodensee. „Bei Wanderfalken aus Sibirien verschwanden solche Peil-Signale oft in bestimmten Gebieten in Afrika und Asien, in denen solche Vögel häufig gefangen werden“, berichtet er. Tragen also Jäger Schuld am Schwinden vieler Zugvögel? Tatsächlich werden jedes Jahr in Ägypten und in Italien jeweils mehr als fünf Millionen Vögel getötet, hinzu kommen jeweils eine Million im Libanon und auf Zypern.
Millionen Vögel fallen der Jagd zum Opfer
Nach aktuellen Schätzungen sterben im Mittelmeerraum jährlich bis zu 36 Millionen Zugvögel durch illegale Aktivitäten. Mit eklatanten Folgen: So rasten vor ihrer Weiterreise über das Mittelmeer und die Sahara mehr als 240 Vogelarten im Sumpfgebiet Hutovo Blato im Süden von Bosnien-Herzegowina. Bis 2012 schossen Wilderer dort massenweise Vögel, darunter vom Aussterben bedrohte Arten wie die Moorente. Seit 2013 unterstützt die Naturschutzstiftung Euronatur den Naturpark beim Überwachen des Jagdverbots. Die Wilderei sei nahezu verschwunden, berichtet Gabriel Schwaderer von Euronatur. Seither zählen die Naturschützer in der kalten Jahreszeit zehnmal mehr Vögel im Schutzgebiet.
Trotzdem wird ein Eindämmen der Jagd die Situation der Zugvögel aus Mitteleuropa nicht wesentlich verbessern, meint Franz Bairlein. „Sehr viele Vögel aus Mitteleuropa fliegen ja gar nicht über das östliche Mittelmeer, wo der Schwerpunkt der illegalen Jagd liegt.“ Wenn ihre Zahlen zurückgehen, muss es also weitere Ursachen geben. Nach Ansicht des Ornithologen spielt auch der Verlust von Lebensraum eine große Rolle.
Werden Sümpfe werden trocken gelegt, gibt es weniger Nahrung
Schwaderer sieht das genauso. Viele Zugvögel rasten in Sümpfen und auf Seen wie im Hutovo Blato Naturpark und fressen sich dort Speck als Energievorrat vor dem anstrengenden Flug nach Süden an, berichtet er. „Allein an der Ostküste der Adria sind in den vergangenen 100 Jahren drei Viertel dieser Feuchtgebiete verschwunden.“ Werden Sümpfe trockengelegt, um Landwirtschaft zu betreiben, verlieren die Zugvögel ihre „Tankstelle“, die sie auf dem Weg ins Winterquartier wie auf dem Nachhauseweg im Frühjahr ansteuern. Die Rastplätze sind enorm wichtig. Baierlein zufolge fressen sich Kleinvögel vor ihrem Flug über die Sahara im Nordwesten Afrikas so viel Speck an, dass sie ihr Gewicht verdoppeln.
Solche Vogel-Tankstellen verschwinden auch im 21. Jahrhundert noch. Die Saline Ulcinj in Montenegro ist so ein wichtiger Rastplatz. Solange die Tiere in der früheren Lagune genug Futter finden, stört es sie wenig, wenn dort gleichzeitig Salz gewonnen wird. „Wenn die Baupläne für Hotels verwirklicht werden, verlieren die Vögel einen ihrer letzten Rastplätze in der Region“, klagt Schwaderer.
Vogelzug soll von der Raumstation aus verfolgt werden
Auch die Winterquartiere der Zugvögel selbst sind in Gefahr. Südlich der Sahara wurden zwischen 1975 und 2000 jährlich fast 50 000 Quadratkilometer in Äcker und Weiden umgewandelt. Das entspricht etwa der Fläche der Schweiz, Jahr für Jahr. Wenn jedoch Wälder und Savannen verschwinden, verlieren viele Zugvögel ihre Nahrungsquelle. „Solche Veränderungen des Lebensraums sind derzeit anscheinend das größte Problem für Langstreckenzieher“, vermutet Ornithologe Bairlein.
Allerdings fehlen für viele Arten immer noch zentrale Informationen: Auf welchen Routen ziehen die Tiere nach Süden? Wo überwintern sie genau? Welche Gefahren lauern auf ihrem Weg und in den Winterquartieren? „Um das zu erfahren, müssen wir viele Tiere mit Sendern losfliegen lassen und ihr Schicksal über Funksignale verfolgen, die zum Beispiel von Satelliten oder von der Internationalen Raumstation empfangen werden“, sagt der MPI-Forscher Martin Wikelski.
„In der Zwischenzeit dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen“, sagt Bairlein. Schließlich kennen die Forscher bereits einige Probleme der Langstrecken-Reisenden. So nutzen Zugvögel wie Kuckucke, Gartenrotschwänze und Turteltauben in Afrika oft die ausladenden Kronen bestimmter Akazien-Arten. Im Schatten dieser Bäume bleibt mehr Feuchtigkeit im Boden, was auch dem Vieh zugutekommt, das die Hirten dort weiden lassen. Erklären Entwicklungshelfer solche Zusammenhänge der Bevölkerung, werden die Menschen sich für den Schutz dieser Akazien einsetzen. Zugvögel aus Europa und afrikanische Bauern profitieren dann gleichermaßen.