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Verborgene Identität. Im März 2014 besetzten russische Truppen im Zuge der Krim-Annexion eine Kaserne in dem Land. Die Soldaten trugen keine Hoheitszeichen, und der Kreml leugnete deren russische Herkunft.
© picture alliance / CITYPRESS24

Propaganda in Russland: Putins neue Kriege

Der Journalist und Student des Masterstudiengangs Europawissenschaften Steffen Dobbert untersucht in seiner Abschlussarbeit die Propaganda-Aktivitäten Russlands im Ausland.

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl ist besorgt: Kann die russische Regierung den Ausgang der Bundestagswahl beeinflussen? In Interviews warnt er vor Hacker-Angriffen und zieht Vergleiche zum Präsidenten-Wahlkampf in den USA. Die Geheimdienste dort sind sich jedenfalls sicher, dass IT-Experten im Auftrag des russischen Präsidenten Wladimir Putin in sozialen Netzwerken Stimmung gegen Hillary Clinton gemacht und E-Mails der Demokratischen Partei im Wahlkampf 2016 gehackt haben.

„Ich war überrascht, wie viele Elemente der Desinformation ich im US-Wahlkampf wiedererkannt habe“, sagt auch Steffen Dobbert. Der Journalist ist Absolvent des Postgraduiertenmasterstudiengangs Europawissenschaften, der 1998 auf Initiative des Auswärtigen Amtes eingerichtet wurde und gemeinsam von Freier Universität, Humboldt-Universität und Technischer Universität Berlin getragen wird. Seine Abschlussarbeit trägt den Titel: Die Lügen des Kreml: Wie die EU in Anbetracht des Georgien- und Ukraine-Krieges auf die neue russische hybride Kriegsführung reagieren kann. „Erfolgreiche Kriegsführung wird heute weniger durch militärische Waffensysteme bestimmt, als vielmehr durch eine überlegene soziale Organisation und Informationsverbreitung“, sagt Steffen Dobbert.

„In den neuen hybriden Kriegen unserer Zeit sind Informationen zur Beeinflussung der Öffentlichkeit die wichtigste Waffe.“ Diese gezielte Desinformation ist Teil einer neuen Form militärischer Auseinandersetzung, die in der Literatur auch „hybrider Krieg“ genannt wird: Ein Staat attackiert, teilweise in geheimen Operationen, die Computersysteme des angegriffenen Landes, desinformiert die Öffentlichkeit, entwickelt eine Form kriegsbegleitender Diplomatie, die besonders auf politischen und wirtschaftlichen Druck setzt, und agiert daneben konventionell militärisch mit Luft- und Bodenangriffen.

Das Vorgehen des Kremls hat eine neue Qualität

Neu ist diese Strategie freilich nicht: Schon die Mongolen ließen bei ihren Eroberungszügen im 13. Jahrhundert immer auch Überlebende entfliehen, die den Schrecken in der Umgebung verbal verbreiteten; im Zweiten Weltkrieg warf die Air Force der Briten Flugblätter über deutschen Städten ab, in denen zum Widerstand aufgerufen wurde. Und vielleicht wäre der irakische Staatschef Saddam Hussein noch heute an der Macht, hätte im Februar 2003 der damalige US-Außenminister Colin Powell nicht vor dem UN-Sicherheitsrat zur Prime Time über die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gelogen, wie inzwischen erwiesen ist.

Doch Steffen Dobbert zufolge hat das Vorgehen des Kremls eine neue Qualität. Der Journalist hat die Rolle Russlands in den Konflikten in Georgien und der Ukraine untersucht und kommt zu dem Schluss, dass das russische Militär die pro-russischen Aufständischen in beiden Ländern von Anfang an gezielt unterstützt hat und dabei bewusst auf eine Strategie der Verschleierung setzte.

Begleitet worden seien diese militärischen Operationen von einer ausgeklügelten Informationspolitik, sagt Steffen Dobbert: „Im Georgien-Krieg etwa bestätigte Russland noch Wochen nach dem offiziellen Kriegsende die Zugehörigkeit des umkämpften Südossetiens zu Georgien. Dabei hatte die Duma bereits am 21. März 2008 – lange vor dem offiziellen Kriegsbeginn – eine Erklärung verabschiedet. Darin wies das russische Parlament den Staatspräsidenten an, nach einer Option zu suchen, die den beiden Gebieten die Unabhängigkeit von Georgien ermöglicht.“ Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung war Dmitri Medwedew gerade zum neuen russischen Präsidenten gewählt worden; damals amtierte allerdings noch sein Vorgänger – und späterer Nachfolger – Wladimir Putin.

Russland führt einen hybriden Krieg gegen den Westen

Verborgene Identität. Im März 2014 besetzten russische Truppen im Zuge der Krim-Annexion eine Kaserne in dem Land. Die Soldaten trugen keine Hoheitszeichen, und der Kreml leugnete deren russische Herkunft.
Verborgene Identität. Im März 2014 besetzten russische Truppen im Zuge der Krim-Annexion eine Kaserne in dem Land. Die Soldaten trugen keine Hoheitszeichen, und der Kreml leugnete deren russische Herkunft.
© picture alliance / CITYPRESS24

Zudem wurden kurz vor Kriegsbeginn TV-, Radio- und Printjournalisten russischer Staatsmedien in die umstrittene Region Südossetien gebracht, um sich auf die Berichterstattung über einen Krieg vorzubereiten, der offiziell noch gar nicht begonnen hatte. „Russland konnte dadurch selbst produzierte TV-Bilder der Militäraktionen nutzen. Im Gegensatz dazu war die georgische Seite auf einen Informationskrieg weniger gut vorbereitet.“ Zudem habe der Kreml erstmals in der russischen Militärgeschichte einen täglich live berichtenden professionellen Militärsprecher eingesetzt, sagt Dobbert: „Er verkündete in TV-Interviews eine für die russische Öffentlichkeit vorgesehene Deutung des Kriegsverlaufs und diente dadurch als Informationsquelle für Nachrichtenagenturen in Russland und der restlichen Welt.“

In seiner Analyse hat Steffen Dobbert auch in den beiden untersuchten Kriegen die drei Phasen der Vorbereitung eines solchen hybriden Krieges durch Russland ausgemacht: Zunächst wurde der Konflikt geheim vorbereitet, um das Überraschungsmoment sowohl militärisch als auch in Bezug auf die öffentliche Meinung auszunutzen.

In der Angriffsphase operieren meist Soldaten ohne hoheitliche Erkennungszeichen, die die lokale Polizei entwaffnen oder mit neuen Zielen in die eigenen Reihen eingliedern. Der Einsatz eigener Truppen wird dabei in der Weltöffentlichkeit geleugnet. In der Stabilisierungsphase schließlich werden Referenden durchgesetzt, Grenzen gesichert und der Rubel als Zahlungsmittel eingeführt. Die Versorgung der Bevölkerung wird von Russland aus sichergestellt, und es wird mithilfe internationaler Diplomatie um Verständnis und Anerkennung für die neuen Gebiete geworben.

Mit Fake News versucht Kreml, Angela Merkel zu diskreditieren

Wer, wie die deutsche Bundeskanzlerin, Kritik an der neuen Kriegspolitik Russlands übt, auf den fokussieren sich Desinformationskampagnen und Propaganda. Das zeigt die Auswertung von 59 Millionen russischen Presseartikeln zwischen Januar 2014 und Mai 2016. Dabei erfinden russische Medien auch Fakten, um das Bild Angela Merkels zu beschädigen: So behaupteten russische Fernsehsender im Januar 2016, die 13-jährige Russlanddeutsche Lisa sei in Berlin von Asylbewerbern entführt und 30 Stunden lang vergewaltigt worden.

Die Ermittlungen der Polizei liefen ins Leere, der Fall war erfunden, das Verfahren wurde eingestellt. Dennoch war die Behauptung in der Welt und der Beitrag des russischen Senders, der über YouTube mit deutschen Untertiteln verbreitet und millionenfach geschaut wurde, führte schließlich zu Demonstrationen in Deutschland. Sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow erhob in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen Deutschland. Ein Vorgeschmack auf zukünftige Kampagnen aus Russland im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes in diesem Jahr? Und kann man diesen Angriffen begegnen?

Steffen Dobbert schlägt eine europäische Strategie vor: So soll ein neu konzipierter EU-Presserat verstärkt die Glaubwürdigkeit in der europäischen Medienlandschaft überwachen und faktenuntreue Medien benennen. Zudem könnte ein EU-Auslandsgeheimdienst Desinformationskampagnen enttarnen und Cyber- attacken abwehren. „Beide Ansätze erscheinen in der momentanen Lage der Union nach dem Brexit und vor den Wahlen in mehreren Mitgliedsstaaten jedoch visionär“, sagt er und findet einen anderen Ansatz sinnvoll: „Einzelne Mitgliedsstaaten könnten mit ihren Geheimdiensten und mithilfe der Medien ebenfalls effektiv gegen hybride Bedrohungen aus Moskau vorgehen.“

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