Russische Propaganda: Wie aus 87 Panzern 3600 werden
Die EU-Kommission geht gezielt gegen russische Falschnachrichten und Desinformationen vor und warnt: Künftig wird vor allem Deutschland ins Visier rücken.
Neulich gab es einen klassischen Fall von gezielter Falschinformation: Der Betreiber einer kleinen Internetseite mit Sitz im ukrainischen Donezk-Becken meldete Mitte Januar, die Nato rüste sich für einen Krieg mit Russland. 3600 Panzer würden gerade gegen Russland in Stellung gebracht.
Die Nachricht von der massiven Aufrüstung wurde umgehend von Sendern, Webseiten und Bloggern aufgenommen und verbreitete sich in Windeseile. Die frei erfundene Zahl von tausenden Panzern fand ihren Weg sogar in die Beiträge von seriösen Medien wie etwa vom britischen Independent und dem Schwedischen Radio. Manche Medien brachten später eine Richtigstellung, andere nicht.
Wie so häufig, wenn in diesen Wochen systematische Falschnachrichten entlarvt werden. Es gibt meist einen wahren Kern. Darum herum wird dann aber von interessierter Seite eine wabernde Masse von Lügen und Unterstellungen gepackt. Wahr ist, dass die Nato gerade die Präsenz im Osten des Bündnisgebietes verstärkt. Dies ist die Reaktion des Bündnisses darauf, dass Moskau der Ukraine die Krim entrissen hat und im Osten des Landes die Aufständischen unterstützt.
Viele "Nachrichten" sind verkürzt, verdreht - und manche ganz erfunden
Aber von Tausenden Panzern, die da angeblich rollen, kann keine Rede sein. Es sind lediglich 87 Panzer, die als Verstärkung in die östlichen Bündnisländer verlegt werden. Es ist unklar, wer die Lüge in die Welt gesetzt hat. Klar ist die Botschaft der Falsch-Nachricht – die Menschen sollen glauben, dass die Nato ein Aggressor ist und Russland bedroht wird. Das ist ein ständig wiederkehrendes Motiv von Falsch-Nachrichten, für die die EU-Experten Kreml-nahe Kräfte verantwortlich machen.
Die Lüge mit den 3600 Panzern ist dreist: Die Streitkräfte der USA verfügen insgesamt über 8848 Panzer. Wenn die Nato 3600 Panzer in den Osten ihres Bündnisgebiets verlegt hätte, wären dies 40 Prozent aller US-Panzer gewesen. Im großen Stil über die Propaganda-Lüge mit den Panzern hat dann ein Newsletter der EU-Kommission vergangene Woche aufgeklärt.
Elf Mitarbeiter prüfen in Brüssel Nachrichten - und versuchen, sie richtigzustellen
Jeden Donnerstag wird die „Disinformation Review“ (deutsch: Falschnachrichten-Überblick) im Netz frei geschaltet, die über neue Fälle informiert. Seit anderthalb Jahren arbeitet eine kleine Truppe von Experten beim Auswärtigen Dienst der EU (EEAS) und versucht, die Falsch-Propaganda aus Moskau zu identifizieren und richtig zu stellen. Elf Mitarbeiter sind dafür im Einsatz, sieben werden von den Mitgliedsstaaten bezahlt. Alle sind Kommunikationsprofis, die meisten perfekt in Russisch.
Die Brüsseler Experten für strategische Kommunikation haben ein Netzwerk gebildet, um systematische Falschnachrichten, die die Kreml-Politik begleiten, zu identifizieren. Derzeit beteiligen sich daran rund 400 Journalisten, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und andere Beobachter aus 30 Ländern. Wann immer ihnen eine Nachricht verdächtig erscheint, schlagen sie Alarm oder recherchieren selbst.
Die Experten sind sich sicher: Übergeordnetes Ziel der gezielten Falsch-Nachrichten ist, die Regierung von Russlands Wladimir Putin besser dastehen zu lassen. Es gehe nicht einmal immer darum, die Fakten zu manipulieren. Häufig soll nur Unsicherheit geschürt, Zwietracht gesät werden zwischen den Religionen, zwischen den Völkern, zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten, zwischen der EU und der Nato.
Angela Merkel ist zur Hauptzielscheibe geworden
Mal heißt es, Wissenschaftler würden Hinweisen nachgehen, wonach die Amerikaner nicht die ersten auf dem Mond waren. Dann wird geraunt, Kanzlerin Angela Merkel wolle Weihnachtsbäume verbieten. Vielfach geht es thematisch um Syrien und die Ukraine, zwei Regionen, wo Moskau sich in jüngster Zeit eingemischt hat und dafür international viel Kritik bekommt.
Hauptzielscheibe für die russische Propaganda ist inzwischen die deutsche Kanzlerin geworden. Seit den Übergriffen in der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte ist Merkel auffällig häufig der Gegenstand der Falsch-Informationen. Da wird verbreitet, die CDU- Politikerin stecke mit islamistischen Attentätern unter einer Decke, sie habe mit ihnen Selfies gemacht. Die Experten vom EEAS sind daher in enger Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden in Deutschland. Allen Beobachtern ist klar, dass im Bundestagswahlkampf böswillige Falschnachrichten erstmals eine große Rolle spielen werden.