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Gegen Gewalt. Diese Demonstranten protestieren gegen "Ausländergewalt". Angestachelt wurden sie vom Fall der angeblichen Vergewaltigung einer 13-Jährigen.
© Reuters

Angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen: Russland vs. Westen: Hass schüren, Europa spalten

Russische Medien berichten über die Vergewaltigung eines Mädchens durch Flüchtlinge, die Polizei in Berlin dementiert. Der Fall markiert eine neue Stufe im Propagandakrieg Russlands mit dem Westen.

Russische Staatsmedien berichten über eine bestialische Vergewaltigung einer russischstämmigen 13-Jährigen durch Flüchtlinge in Berlin, Polizei und LKA dementieren die Geschichte – und trotzdem demonstrieren in ganz Deutschland tausende Menschen gegen „Ausländergewalt“. Es sind vor allem Russlanddeutsche, aber teilweise mischen Rechtsextremisten mit, so auch bei der Demo von 700 Menschen am vergangenen Wochenende vor dem Kanzleramt. Der Fall verdeutlicht die besondere Rolle Deutschlands in der spätestens seit 2012 laufenden Propagandaschlacht Russlands mit dem Westen.

Deutschland wird im Kreml als die Führungsmacht der EU wahrgenommen und ist nach den USA der wichtigste westliche Bezugspunkt. Es ist ein strategisches Ziel des Kreml, Europa auseinanderzudividieren. Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht den Bruch zwischen den langjährigen Partnern im Jahr 2012, als Wladimir Putin als Präsident zurückkehrte. „Zuvor hat die Wirtschaft die Beziehungen dominiert, aber spätestens im Ukraine-Konflikt wurde deutlich, dass diese guten informellen Kontakte nach Deutschland den Russen wenig bringen.“

Das nun immer aufgeregter vorgetragene Narrativ – die EU ist am Ende, Russland obenauf – werde mit aller Macht in die öffentliche Sphäre gepresst. Dabei sei natürlich nicht alles zentral gesteuert, aber ein Fall wie jener mit der erfundenen Vergewaltigung passiere „nicht einfach wegen ein paar übereifriger Journalisten“, erklärt Meister. Dazu passt, dass Außenminister Sergej Lawrow mehrere Tage, nachdem die Geschichte dementiert wurde, den deutschen Behörden Vertuschung vorwarf (siehe unten). Für Meister steckt Moskau in einer „Mobilisierungsspirale“. Immer neue Feinde müssen her – das sei für den Kreml nicht nur sicherheitsrelevant, sondern „überlebenswichtig“, schreibt auch Maxim Trudoljubow in der seriösen Tageszeitung „Wedomosti“. Es gebe mittlerweile so viele „Fakten“, die einzig im Riesenreich als solche gelten, dass sie wie ein Vorhang die Informationssphären Russlands und des Westens trennen. Verständigung werde so unmöglich.

Manche Propaganda-Seiten geben sich ganz seriös

In der Tat fällt dem Konsumenten russischer Staatsmedien auf, dass die Erregung über die von „Faschisten“ überrannte Ukraine abgeklungen ist. Ersetzt wurde sie zunächst durch den alten Freund und neuen Feind Türkei sowie durch die Heldentaten russischer Kampfflieger gegen Islamisten in Syrien – und seit der Kölner Neujahrsnacht durch den Hass auf Flüchtlinge. Erst Conchita Wurst und Homo-Ehe, nun islamische Horden – Europa muss am Ende sein.

Wie dreist Geschichten gefälscht werden, beschreibt Alexey Kovalev mit freiwilligen Helfern auf „noodleremover. news“, einer Art russischem „Bildblog“. Dort wird beispielsweise erklärt, wie die Falschmeldung über die Vergewaltigung durch Flüchtlinge über den Staatssender „Pervyj Kanal“ russischsprachige Medien in Russland selbst und in Deutschland durchdrungen hat. Aus Deutschland kommt sie dann wie über Bande gespielt zurück, garniert mit dem Zusatz, „wie deutsche Massenmedien berichten“. „Pervyj Kanal“ war schon bei der erfundenen Kreuzigung eines Dreijährigen durch ukrainische Soldaten in Slawjansk an vorderster Propagandafront aufgefallen – „es gibt natürlich nichts, was emotionaler ist als Gewalt gegen Kinder“, sagt Kovalev.
Die aktuelle Phase der Informationsschlacht begann für Kovalev Ende 2013, als die bis dahin gut beleumdete Nachrichtenagentur Ria Novosti in den staatlichen Konzern Rossija Segodnja integriert wurde. Kovalev hat früher selbst für Ria Novosti gearbeitet. Heute deckt der 34- Jährige auf, wie russische Medien „deutsche Experten“ zitieren, in Deutschland völlig unbekannt oder nur im rechtsextremen Milieu beachtet, wie Manuel Ochsenreiter von der Zeitschrift „Zuerst!“ beobachtet.

Schwächen werden geschickt ausgenutzt

Oft würden russische Medien auch ganz reale Schwächen und Besonderheiten der deutschen Gesellschaft ausnutzen, erklärt Kovalev. „Die Polizei hat im Fall des Mädchens sehr vorsichtig informiert, um die Rechte des Opfers zu wahren. In Russland gibt es aber keinen Opferschutz. Da denken die Menschen dann, dass die Polizei etwas verschweigt.“ Zielpublikum der Kampagnen seien die etwa vier bis sechs Millionen Russischsprechenden in Deutschland – aber auch Menschen in Russland. „Sie sollen nicht daran denken, dass die Brotpreise sich innerhalb eines Jahres verdoppelt haben, sondern glauben, im Vergleich zur EU gehe es ihnen noch gut.“

Zumindest in Russland scheint die Propagandaschlacht keine Vertrauenskrise auszulösen. Nach Zahlen der unabhängigen Meinungsforscher vom Lewada-Zentrum glaubten 2012 noch 47 Prozent der Russen den im Fernsehen vermittelten Informationen komplett oder weitgehend, Ende 2015 waren es 59 Prozent. Erfundene oder verzerrte Geschichten müssen sich dabei nicht einmal gegen die oft nur schwer zu ermittelnde Wahrheit durchsetzen, um erfolgreich zu sein. Es gibt im Russischen ein Sprichwort, das sinngemäß sagt: Entweder er hat geklaut oder er wurde beklaut. Gemeint ist: Irgendwas bleibt immer hängen.

Das ist über den Fall Lisa bekannt, das sagt die Politik:

Ein Mädchen verschwindet für 30 Stunden. Als es wieder auftaucht, präsentiert es als Erklärung, es sei entführt und vergewaltigt worden, und zwar von Ausländern. Ermittlungen ergeben zwar, dass davon nichts wahr ist. Doch nach der Kölner Silvesternacht ist die Stimmung aufgeheizt. Weil das Mädchen Russlanddeutsche ist, mischt sich Russlands Außenminister ein und wirft Deutschland vor, mit seinen Flüchtlingen nicht klarzukommen. Das wiederum stößt bei der Bundesregierung auf Kritik. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Mittwoch, es verbiete sich, „diesen Vorfall politisch zu instrumentalisieren“.

Ähnlich äußerte sich das Auswärtige Amt. Was wirklich geschah in der Zeit des Verschwindens, weiß bisher niemand. Klar ist aber, dass das Mädchen durchaus Sex mit Männern hatte, und zwar freiwillig – vor dem Verschwinden. „Einvernehmlichen Sex“ kann es mit einer 13-Jährigen aber nicht geben. Deshalb wird jetzt gegen zwei Männer – einer Türke, einer Deutschtürke – wegen schweren sexuellen Missbrauchs ermittelt. Das Mädchen sei in die „falschen Kreise“ geraten, sagte ein Berliner Ermittler. Die Schülerin habe bei ihren Befragungen vier verschiedene Versionen für die Zeit ihres Verschwindens präsentiert, hieß es (mit dpa)

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