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Klare Ansage: Premier Stefan Löfven warnt die Bürger.
© Anders Wiklund/TT Agency/AFP
Update

Schon mehr als 2000 Coronavirus-Tote: Premier Löfven spricht Schweden letzte Warnung aus

Die Zahl der Toten in Schweden erreicht eine neue Schwelle. Noch bleibt die Regierung bei ihrem moderaten Kurs. Doch der Premier droht mit schärferen Maßnahmen.

Schweden hat in der Coronavirus-Pandemie der Zahl von 2000 Todesfällen überschritten. Dies teilte die Gesundheitsbehörde in Stockholm mit. Insgesamt sind bis Donnerstag 2021 Menschen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstorben, 84 mehr als am Vortag. Schweden steht wegen seines Umgangs mit der Pandemie im Fokus, da die Regierung nur vergleichsweise geringe Beschränkungen des Alltags erlassen hat.

Angesichts von Bildern gut besuchter Lokale in zum Beispiel Stockholm oder Göteborg hatte Ministerpräsident Stefan Löfven am Mittwoch eine Art letzter Warnung ausgesprochen. „Glauben Sie nicht für einen Augenblick, dass wir die Krise gemeistert haben“, sagte der Sozialdemokrat in einer Pressekonferenz in Stockholm.

„Die Gefahr ist noch lange nicht vorbei.“ Die überwiegende Mehrheit der Bürger habe sich bisher an die Empfehlungen wie die Abstandsregeln gehalten. Aber: „Wir sind bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen.“ Allen Gastronomen müsse klar sein, „dass Restaurants und Bars geschlossen werden, wenn man sich nicht an die Regeln hält“.

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Anders als in den anderen skandinavischen Ländern, wo zum Teil erste Lockerungen umgesetzt werden, und in weiten Teilen Europas, greift die schwedische Regierung bisher nicht mit äußerst strikten Maßnahmen wie der Schließung von Kindertagesstätten, Grundschulen und Restaurants in den Alltag ihrer Bürger ein. Cafés und Lokale, Friseure, Einkaufszentren und Fitnessstudios sind weiter geöffnet. Es gilt inzwischen aber ein Gesetz, dass es der Regierung ermöglichen würde, sofort drastische verschärfte Maßnahmen anzuordnen.

Mehr als die Hälfte aller Toten in Stockholm

Aufgrund der vergleichsweise hohen Zahl der Todesfälle waren die Forderungen lauter geworden, die rot-grüne Minderheitsregierung müsse die Restriktionen deutlich verschärfen. Nach einem leichten Rückgang vor dem Wochenende war bereits am Dienstag ein Anstieg verstorbener Patienten um 185 neue Fälle gemeldet worden.

Die Lokale wie hier in Stockholm am Dienstag sind gut besucht.
Die Lokale wie hier in Stockholm am Dienstag sind gut besucht.
© Jonathan Nackstrand/AFP

Mehr als die Hälfte aller Todesfälle (1070) wurden in der Region der Hauptstadt Stockholm verzeichnet. Nach Angaben des Staatsepidemiologen Anders Tegnell, der die Regierung berät, seien Nachmeldungen aus den zurückliegenden Wochen der Grund für die vergleichsweise hohen Zahlen der vergangenen Tage. In Deutschland gab es bis Donnerstag rund 5200 Tote.

Die Zahl der bestätigten Infektionen in Schweden lag am Donnerstag bei rund 16.755 ein Anstieg um knapp 751. „Die Zahlen von heute sind ziemlich hoch, das werden wir uns genauer anschauen“, sagte Tegnells Stellvertreter Anders Wallensten. Viele der neuen Fälle kämen aus Stockholm. „Das ist zwar nur ein Tag. Aber wir sehen absolut keinen Rückgang.“

Am Vortag hatte die Gesundheitsbehörde mit Blick auf Stockholm noch optimistischer geklungen. Viele der knapp 700 neuen Infektionen, die am Mittwoch gemeldet worden waren, stammten demnach nicht aus der Hauptstadt.“ Dort sei die Lage relativ stabil, hatte Tegnell gesagt. „Das sind gute Nachrichten.“ Grund für den Anstieg sei, dass in anderen Teilen des Landes inzwischen mehr getestet werde, auch beim medizinischen Personal.

Norwegen, Dänemark und Finnland hatten anders reagiert

Fakt ist, dass Schweden mit seinen rund 10,2 Millionen Einwohnern mit rund 173 Todesfällen pro eine Million Einwohner deutlich höher liegt als die Nachbarländer Norwegen und Dänemark, deren Bevölkerung nur halb so groß ist und die für ihre Länder Lockdowns angeordnet hatten. Deutschland verzeichnet ebenfalls deutlich weniger Fälle. Auch die am Mittwoch veröffentliche offizielle Sterbestatistik zeigt, dass es in Schweden in der ersten April-Hälfte einen deutlichen Anstieg der Todesfälle gab.

Anzahl der Verstorbenen pro eine Million Einwohner (Stand Mittwoch, 22. April, 14 Uhr; Quelle Sveriges Television/Johns Hopkins Universität/Worldometer)

  • Schweden: 173,3
  • Norwegen: 34,2
  • Dänemark: 63,8
  • Finnland: 25,6
  • Deutschland: 60,7
  • USA: 137,1
  • Italien: 407,9
  • Spanien: 455,5
  • Großbritannien: 261,4
  • Frankreich: 311
  • Südkorea: 4,65

Die rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Löfven hat in der Pandemie von Beginn an auf die Vernunft der Bürger gesetzt und appelliert an das Verantwortungsbewusstsein. Zudem wurden einige Restriktionen wie ein Verbot von Versammlungen von mehr als 50 Menschen und ein Besuchsverbot in Altenheimen erlassen. Löfven mahnte wiederholt in Ansprachen und Interviews davor, wie ernst die Lage durch das Coronavirus sei und dass die Krise auch Schweden noch lange beschäftigen werde.

„Wir werden mit Tausenden Toten rechnen müssen“, hatte Löfven gesagt

Zum Ausmaß der Pandemie in seinem Land sagte der Premier am 3. April der Zeitung „Dagens Nyheter“ (DN), Schweden verfolge die Strategie, den Anstieg der Infektionsfälle zu verzögern, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. „Aber das beinhaltet zugleich, dass wir weitere Schwerkranke haben werden, die Intensivpflege benötigen, wir werden bedeutend mehr Tote haben. Wir werden mit Tausenden Toten rechnen müssen. Darauf sollten wir uns einstellen.“ Diese Aussage wiederholte er am vergangenen Freitag in einer Pressekonferenz.

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Regierungsberater Tegnell hält nichts von den Lockdown-Maßnahmen anderer Länder („Es ist nicht die Lösung, alles zu schließen“), auch die Schließungen der Kindertagesstätten und Grundschulen sei nicht notwendig. „Wir glauben, wir erreichen mit Freiwilligkeit genauso viel wie andere Länder mit Restriktionen“, sagte Tegnell am Montag erneut. Es sei wenig wahrscheinlich, dass Schweden die Richtung ändere.

Seit Beginn der Krise appelliert Tegnell allerdings auch quasi täglich an die Bürger, sich an die Empfehlungen von Regierung und Gesundheitsbehörde zu halten: soziale Kontakte minimieren, Abstand halten, Hände waschen, ältere Bürger besonders schützen und die Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen einhalten. Menschen über 70 sollten zu Hause bleiben, wer auch nur die geringsten Krankheitssymptome hat, nicht zur Arbeit gehen.

Mediziner fordern schärferen Kurs gegen Coronavirus

Dass dies ausreicht, finden längst nicht alle. Bereits Mitte März hatten knapp 2000 Wissenschaftler in einem Brief ein Umdenken der schwedischen Regierung gefordert. 22  Forscher lösten dann mit einem Artikel mit der gleichen Forderung am 14. April in der Zeitung DN eine heftige mediale Debatte aus.

Unter ihnen ist Bo Lundbäck, Professor für klinische Epidemiologie von Lungenerkrankungen in Göteborg. Er hält die hohen Todeszahlen für inakzeptabel und den Preis, den Schweden im Coronavirus-Kampf bezahlt, für zu hoch. „Ich sehe nicht, dass Schweden eine konkrete Strategie verfolgt und ich sehe auch keinen Trend“, sagte er am Dienstag im Gespräch mit der Deutsche Presse-Agentur. „Die Richtlinien sind viel zu vage und die Menschen sind verwirrt.“

„Schweden gegen den Rest der Welt“

Dass die Kneipen und Einkaufszentren in Stockholm am Wochenende immer noch voll waren, zeige, dass die Botschaft nicht richtig angekommen sei. „Die Leute scheinen zu glauben, das hier sei ein Eishockeyspiel: Schweden gegen den Rest der Welt.“

Auch Tegnell hatte nach dem Wochenende gesagt, dass das Gedränge in Lokalen – besonders in der Hauptstadt – beunruhigend sei. Dort gelten eigentlich Abstandsregeln, serviert werden darf nur an Tischen. Die Behörden führen Kontrollen durch, bei Verstößen sollen die Lokale geschlossen werden.

Weil es immer noch Hunderte neuer Ansteckungen täglich gebe, forderte Lundbäck die Schließung aller Schulen und einen besseren Schutz des Personals in den Altersheimen. Ein Drittel der Todesfälle im Land wurden aus Pflegeeinrichtungen gemeldet. „Wir in Schweden glauben, wir sind besser als die anderen und müssen nicht auf die WHO hören. Das ist dumm“, sagte Lundbäck.

Am Dienstag teilte die Gesundheitsbehörde unter Berufung auf ein statistisches Modell mit, dass der Höhepunkt der Pandemie im Land am 15. April erreicht gewesen sein könnte und man danach von weniger Fällen ausgehe könne. Das Modell besagt auch, dass am 1. Mai in der besonders vom Coronavirus betroffenen Region der Hauptstadt Stockholm ein Drittel der Einwohner infiziert gewesen sein könnten.

Hintergründe zum Coronavirus:

Staatsepidemiologe Tegnell beruft sich – wie andere Experten allerdings auch – immer wieder auf die „Herdenimmunität“ – das heißt, die Verbreitung des Virus wird gestoppt, weil immer mehr Menschen dagegen immun sind, sei es, weil sie die Krankheit überwunden haben oder geimpft wurden.

Jüngste Veröffentlichungen auch der WHO machen aber die Zweifel deutlich, die es in der Wissenschaft gibt. So teilte die WHO mit, wahrscheinlich seien deutlich weniger Menschen weltweit gegen das Coronavirus immun als erhofft. Ersten Studienergebnissen zufolge tragen im Schnitt nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen das Virus in sich.

Das heißt, dass sich bisher wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Bevölkerung mit dem Virus infiziert hat. Aufgrund der Erfahrungen mit anderen Viren gehen viele Wissenschaftler zwar davon aus, dass von Covid-19 genesene Menschen vor einer zweiten Erkrankung geschützt sein sollten – wobei aber auch unklar sei, wie lange – Beweise für eine dann bestehende Immunität gibt es aber bislang ebenso wenig wie einen Impfstoff.

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Die Frage nach einer möglichen Immunität könnte für den weiteren Verlauf der Pandemie also auch in Schweden von großer Bedeutung sein. In Deutschland warnen der Charité-Virologe Christian Drosten und der Epidemiologe Michael Meyer-Hermann bereits vor einer zweiten Covid-19-Welle.

„Schwedens Weg muss nicht falsch sein“, sagte Professor Claus Wendt vom Lehrstuhl für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems der Uni Siegen, der die Hintergründe des schwedischen Sonderwegs analysiert hat, der dpa. Das Land habe gute Voraussetzungen, der Pandemie zu begegnen.

Die Schweden seien allgemein bei guter Gesundheit, es gebe wenig Armut und soziale Ungleichheit und die Gesundheitsdaten der Menschen seien erfasst. „Ein ähnliches Datenniveau, um die Entwicklung und Ausbreitung von Krankheiten im Zeitverlauf zu erfassen, ist für Deutschland nicht erhältlich“, sagte Wendt.

Schwedischer Epidemiologe warnt Deutschland

Auch der schwedische Epidemiologe und Regierungsberater Johan Giesecke, Tegnells Vorgänger, verteidigte am Donnerstag den Kurs seines Landes – und kritisierte Deutschland. Grund für die knallharten Maßnahmen in vielen Ländern Europas sei gewesen, „dass sich Politiker in ganz Europa ein Rennen geliefert haben, wer härter und schneller durchgreift“, sagte er der „Bild“.

Der Epidemiologe Anders Tegnell berät die Regierung.
Der Epidemiologe Anders Tegnell berät die Regierung.
© Jonas Ekstromer/TT News Agency/AFP

Fakt jedoch sei: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, dass Lockdowns tatsächlich einen Effekt haben.“ Was die Ausbreitung des Coronavirus verlangsame, sei Händewaschen und soziale Distanzierung. Es brauche aber „keine Gesetze und keine Polizei“, damit sich die Bürger an die Regeln halten. „Die Menschen sind nicht dumm.“

„Wir sollten die Todeszahlen in einem Jahr zählen“

Die Strategie von Bundeskanzlerin Angela Merkel sei im Gegensatz zu Schwedens Vorgehen „nicht nachhaltig“. Deutschland könne „nicht auf Dauer in diesem Stillstand bleiben“ und werde „seine Beschränkungen aufheben, weil es nicht anders geht“. Das führe jedoch dazu, was die Bundesregierung bekämpfen wollte: „Es wird wieder mehr Infektionen geben.“

Das Argument, dass die Kontaktsperren die Krankenhäuser vor dem Kollaps gerettet hätten, lässt Giesecke nicht gelten. „Die Prognosen für den Bedarf an Krankenhausbetten waren zu hoch.“ Studien, die vor Hunderttausenden Toten warnten, seien „extrem übertrieben“. Die meisten EU-Länder hätten ausreichende Kapazitäten. Der Professor garantiert: „Unser Gesundheitssystem ist nicht kollabiert und es wird nicht kollabieren.“

Mit Blick auf die vergleichsweise hohe Zahl der Todesfälle in seinem Land sagt Giesecke: „Wir sollten die Todeszahlen in einem Jahr zählen.“ Die Länder mit den härteren Maßnahmen würden dann genauso viele Tote haben wie Schweden. „Der einzige Unterschied zu Schweden ist, dass die Todesfälle in diesen Ländern später passieren – nachdem sie ihre Maßnahmen gelockert haben.“

Löfvens Sozialdemokraten legen in Umfrage deutlich zu

Die Schweden jedenfalls unterstützen aktuell den Kurs ihrer Regierung. Den zweiten Monat in Folge legten die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Löfven in einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des schwedischen Senders SVT deutlich zu. Die Partei kommt nun auf 30,4 Prozent, das sind 4,8 Prozentpunkte mehr als im Vormonat.

Der Demoskop Torbjörn Sjöström vom Meinungsforschungsinstitut Novus sagte SVT, dass der Grund für den Zuwachs der Sozialdemokraten in der zwischen dem 30. März und dem 19. April durchgeführten Befragung ihr Krisenmanagement sei. „Sie legen in dieser Phase zu, weil es ein hohes Vertrauen in die Behörden gibt und das Gefühl besteht, die Pandemie sei irgendwie unter Kontrolle“, sagte Sjöström. Überraschend ist das Ergebnis auch deshalb, weil die rechtspopulistischen Schwedendemokraten vor zwei Monaten noch vor den Sozialdemokraten lagen – mit mehr als zehn Prozentpunkten. Jetzt kommt die Partei auf knapp 20 Prozent.

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