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Vier junge Frauen sitzen beim Sprachunterricht an einem Tisch.
© Reuters

Vielsprachigkeit: Polyglotte treffen sich in Berlin

Babylonische Verhältnisse in Berlin: In den kommenden Tagen treffen sich 350 Polyglotte in der Stadt. Viele fangen mit Esperanto an - und können dann nicht mehr aufhören, Sprachen zu sammeln.

Das antike Babylon ist nicht nur Symbol von Sünde und menschlichem Hochmut, es liefert auch den Ursprungsmythos für die Vielzahl der menschlichen Sprachen, als Strafe Gottes für den Turmbau. Wenn Berlin in den nächsten Tagen Babylon ähnelt, liegt das aber nicht an prekären Bauprojekten. In Mitte treffen sich vom 1. bis zum 4. Mai 350 Vielsprachler aus 53 Ländern, um sich auszutauschen und Vorträgen zu lauschen mit Titeln wie „Why Esperanto helpt und inspira zu lernen outras langues“ oder „Etruscan and the joys of Trümmersprachen“. International war das Interesse so groß, dass die Veranstaltung seit Längerem ausgebucht ist.

Der Drang, viele Sprachen zu lernen - vielleicht alle der Welt

Judith Meyer ist die Hauptorganisatorin des Polyglot Gathering, das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Schon mit zwölf Jahren fand sie mit populärwissenschaftlichen Büchern wie „Sprachen die Neandertaler Englisch?“ Zugang zur Linguistik. Meyer sagt, sie verspürte damals „den Drang, viele Sprachen zu lernen – vielleicht alle Sprachen der Welt“. Die Sprachangebote ihrer kleinstädtischen Schule reichten bald nicht mehr. Mit einer Mentorin lernte sie über das Internet binnen fünf Monaten die Plansprache Esperanto. „Das war für mich der Auslöser, dass ich zum Beispiel mit 18 Jahren gesagt habe, ich lerne jetzt Chinesisch.“

Heute arbeitet Meyer als Computerlinguistin in Berlin. Auch wenn die 30-Jährige nicht alle Sprachen der Welt gelernt hat – etwa 7000 werden noch verwendet –, bringt sie es auf eine beachtliche Sammlung: Außer Deutsch spricht sie Englisch, Französisch, Esperanto und Chinesisch fließend, unterrichtet Latein und kann sich auf sieben weiteren verständigen, darunter Indonesisch und Suaheli. Damit zählt sie zu den Hyperpolyglotten, Menschen, die außergewöhnlich viele Sprachen beherrschen, mindestens aber elf.

Beim Einstieg in die Vielsprachigkeit hilft Esperanto

Ab wie vielen Sprachen jemand als polyglott gilt, ist nicht festgelegt. Chuck Smith, Berliner Programmierer mit amerikanischen Wurzeln und Referent bei dem Treffen, spricht sechs. Er bekam im Berufsleben Kontakt zu Sprachen, las deutsche Brettspielanleitungen und lebte ein Jahr in Rotterdam. Wie Meyer hat auch Smith viel von einer Weltsprache profitiert, die einst am Reißbrett entstanden ist: „Mit Esperanto kann man weitere Sprachen einfacher lernen“, sagt er.

Und wie geht es weiter auf dem Weg zur Vielsprachigkeit? Benny Lewis stellt in Berlin seinen Blog „Fluent in 3 Months“ vor. Seine These: Jeder könne in kurzer Zeit Kompetenz in einer Fremdsprache erwerben. Der gebürtige Ire jedenfalls sprach mit Anfang 20 nur Englisch, trotz elf Jahren Gälisch und fünf Jahren Deutsch in der Schule. Nach sechs erfolglosen Monaten in Spanien erhielt er den Rat, dass er, um eine Sprache zu lernen, einfach anfangen müsste, sie zu sprechen und Fehler dabei in Kauf zu nehmen. Lewis tat’s und kann nun nicht mehr aufhören.

Üben, üben, üben - und dann ab ins Sprachbad

Meyer kommt schon an ihre Grenzen, fürchtet, Sprachen wieder zu vergessen. Deshalb übt sie zwei Stunden täglich, wirft sich möglichst oft ins Sprachbad – im Austausch mit Muttersprachlern, in der Esperanto-Gruppe oder beim chinesischen Theater. Und rät zu konkreten Lernzielen: Anfang des Jahres nahm sie sich vor, in 90 Tagen Hebräisch so weit zu lernen, dass sie eine viertelstündige Unterhaltung führen kann. Der Praxistest erfolgt beim Gathering.

Philipp Sickmann

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