Jugendsprache: Die Superdiversen
Englisch, Türkisch, Deutsch, Arabisch: Wie Jugendliche in Großstädten zwischen Sprachen hin- und herspringen und dadurch Sprache verändern, untersuchen Soziolinguisten. Einen großen Anteil an dem neuen Sprachengewirr haben soziale Netzwerke wie Facebook.
Zwei Däninnen unterhalten sich auf Facebook. Gülden hat ihrer Freundin Jonna versprochen, ein Geschenk zu basteln, ist aber noch nicht dazu gekommen. „Har købt the equipment“, schreibt Gülden („Ich hab schon alles dafür gekauft“). „Tje dig, morok, insAllah“ – „Nur für dich, meine Liebe, so Gott will.“ Zwei Sätze, die die Freundin genau versteht, obwohl darin neben Dänisch auch Englisch, Türkisch und Arabisch vorkommen. Die Antwort folgt prompt und ist ein ebensolcher Sprachcocktail. Allein, hier kommen noch Spanisch und Französisch hinzu. „Gracias, muchas gracias“, schreibt Jonna zurück. Sie warte gespannt. „Jeg wenter shpaendt, madame ;-)) love youuuuu.“
Die Frauen selbst würden diese Variation des Dänischen wohl als „Perkersprog“ (Perkersprache) bezeichnen. „Perker“ ist eine in Dänemark oft in rassistischer Absicht gebrauchte Bezeichnung für Menschen aus dem Mittleren Osten, zusammengesetzt aus „Perser“ und „Tyrker“ (Türker). „Perkersprog“ wird aber von Jugendlichen verschiedener Herkunft analog zum deutschen Begriff „Kanak Sprak“ benutzt, um ihren eigenen Slang zu kennzeichnen.
Sprachwissenschaftler sind da genauer. Janus Møller von der Universität Kopenhagen behauptet zum Beispiel, dass die einzelnen Satzfetzen längst keiner Sprache mehr zugeordnet werden können. Manche Wörter, etwa das arabische „inshallah“, haben einen konkreten Ursprung oder gar eine globale Bedeutung. Andere, wie das türkisch-dänische „tje dig“, entstehen erst im mehrsprachlichen Kontext oder ändern dort ihre Bedeutung. „Morok“ nennt man im Arabischen einen alten Mann. Hier ist die Freundin gemeint.
Für Møller ist der Facebook-Dialog Ausdruck radikaler Vielsprachigkeit. Dass die Frauen zwischen Sprachen hin- und herschalten (code-switching), hält er für ihre Art, mit der pluralistischen Gesellschaft umzugehen. „Durch Sprache positionieren wir uns“, sagt er. „Die Sprecherinnen zeigen, wie sie mit ihrer hochpluralistischen Umgebung umgehen.“ In Zeiten von Globalisierung und sogenannter „Superdiversität“ fragen Soziolinguisten wie Møller, was überhaupt noch als Sprache zählt und wie man solche Sprachschöpfungen analysieren kann. Wenn etwa eine Frau in Japan aufgewachsen ist, in Deutschland studiert hat, mit einem finnischen Mann verheiratet ist und in Indien arbeitet: Wie spricht sie dann mit ihren Kindern?
Sprache war nie ein geschlossenes System. Streng genommen hat jeder Mensch seine persönliche Art zu sprechen, und die ändert sich mit jedem Gesprächspartner. Soziolinguisten interessieren sich dafür, welche soziale Bedeutung verschiedene Sprachvariationen haben. Sie tun dies gern anhand von Jugendsprache in großen Städten. William Labov, der als Begründer der Soziolinguistik gilt, hat in den 1960er Jahren in New York untersucht, wie man eine soziale Schicht an ihrer englischen Aussprache erkennt.
Mittlerweile wird in allen großen Städten der Welt Sprachvariation erforscht. Obwohl soziale Faktoren wichtig bleiben, interessieren sich Soziolinguisten im Augenblick besonders für Vielsprachigkeit, die mit der rasanten Migration seit 1990 zusammenhängt.
Kiezdeutsch wird nicht nur in Berlin gesprochen
1100 Soziolinguisten haben ihre Forschungsergebnisse jetzt auf der Konferenz „Language and the City“ an der Freien Universität vorgestellt. Auch Berlin ist Thema, die Stadt, in der ethnische Superdiversität häufig mit dem jugendlichen „Kiezdeutsch“ verbunden wird. Heike Wiese von der Universität Potsdam hat es wissenschaftlich bekannt gemacht. Sie behauptet, dass Kiezdeutsch keine Verarmung der deutschen Sprache darstellt, sondern wie andere Dialekte eigene grammatische Regeln hat. Für Wiese ist Kiezdeutsch fest im Deutschen verankert. Weil Jugendliche aber sehr spielerisch mit Sprache umgehen, verändert sich Kiezdeutsch ständig, sagt die Potsdamer Sprachforscherin. Wiese kritisiert außerdem, dass die negative Wahrnehmung der Jugendsprache zur Abwertung ihrer Sprecher führt und will Lehrer für die Vielsprachigkeit ihrer Schüler sensibilisieren.
Kiezdeutsch wird nicht nur in Berlin gesprochen, sondern auch in Köln, München oder Hamburg. Von dort aus – und vermehrt über soziale Medien – verbreitet es sich. Großstädte sind somit Trendsetter und Katalysatoren für neue Sprachvarianten. Das waren sie von Anfang an. Im Zuge der Industrialisierung kamen schon im 16. Jahrhundert Arbeiter mit verschiedenen regionalen Dialekten in die Städte. Weil sie aufgrund ihres niedrigen Standes sowohl Kontakt zu Einwanderern hatten als auch zu den Menschen auf dem Land, waren es diese Arbeiter, die sprachliche Variation vorantrieben.
Heute ist das Internet wohl die größte Stadt. Auf Facebook werden in Kiezdeutsch Nachrichten hinterlassen. Und nicht zufällig hat Møller Gülden und Jonna dort bei ihrem Dialog beobachtet. Seine Kollegin Pia Quist bestätigt, dass sich Sprachwissenschaftler im Netz „richtig austoben“ – gerade bei der Untersuchung von Superdiversität.
So hipp der Begriff jedoch ist, er löst auch Widerspruch aus. Johanna Woydack vom King’s College in London bezweifelt, dass das Phänomen ein neues ist und erinnert an die Massenvertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg oder an die Millionenstädte in Afrika. Vielsprachigkeit sei vielerorts Alltag, sagt sie. Trotzdem werde die „Ideologie des Muttersprachlers“ aufrechterhalten, gerade durch die Globalisierung. Sie schreibt ihre Dissertation über ein internationales Call Center in London. Von dort aus rufen Italiener in Italien an, Russen in Russland. „Ich kann einem Schweden am Telefon nichts auf Englisch verkaufen“, sagt sie. „Und einem Schweizer nichts auf Deutsch.“
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität