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In einer Kita liest ein größeres Kind Kleineren aus einem deutschsprachigen Buch vor.
© epd

Deutsch-Pflicht für Migranten?: Am besten mehrsprachig

Deutschpflicht für Migrantenfamilien, wie sie die CSU einführen wollte? Sprachwissenschaftler raten dringend ab, plädieren für die Muttersprache - und frühes Deutsch in der Kita.

Ihren Vorstoß für eine Deutschpflicht in Familien mit Zuwanderungsgeschichte hat die CSU abgemildert. Aber die „Motivation und Anregung“, zu Hause und in der Öffentlichkeit Deutsch und nicht die Muttersprache zu sprechen, will man aufrechterhalten. Gegen den Grundsatz, dass die deutsche Sprache der Hauptschlüssel zur Integration sei, könne doch niemand etwas haben, wurde CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Montag zitiert. Doch der Weg dorthin bleibt umstritten. Sprachwissenschaftler warnen entschieden davor, dass Eltern, die von Haus aus etwa Türkisch oder Arabisch sprechen, ihre Kinder auf Deutsch erziehen.

„Sprechen die Eltern Deutsch nicht auf einem muttersprachlichem Niveau, vermitteln sie ihren Kindern ihren Akzent und ihre grammatischen Fehler“, sagt Natalia Gagarina, Projektleiterin am Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS). Zu Hause Türkisch, Arabisch, Russisch oder Kroatisch – eben die Familiensprache der Eltern. Mit dem Umfeld, in der Kita und in der Schule Deutsch – richtiges Deutsch. Das fordern Gagarina und ihre Kollegen am ZAS sowie vom Berliner Interdisziplinären Verbund für Mehrsprachigkeit (Bivem) seit Jahren.

Zuhause die Sprache sprechen, die man am besten beherrscht

„Sprechen Sie mit Ihrem Kind die Sprache, die Sie selbst am besten beherrschen und die Ihnen am nächsten ist“, heißt es in einem Flyer, den Bivem in Berliner Kitas und Schulen verteilt. Familiensprachen seien wichtig für die Identität des Kindes und für die Eltern-Kind-Beziehung. Die Eltern werden aufgefordert, in der Familie intensiv zu kommunizieren, auch schon mit Babys viel zu sprechen.

„Die Grundlagen der Sprache, die morphosyntaktischen Fähigkeiten, werden in den ersten drei Lebensjahren gelegt, bei den rhythmischen und melodischen Spracheigenschaften sind sogar die ersten 12 Monate entscheidend“, sagt Gagarina. Deshalb sei es wichtig, dass nicht Fehler im Deutschen eingeübt werden. „In der Kita und in der Schule müssen die Kinder dann umlernen.“

Deutsch ist aus der Sicht der Sprachwissenschaftler keineswegs unwichtig, im Gegenteil: Zur Mehrsprachigkeits-Kampagne von Berliner Sprachwissenschaftlern am ZAS und an den Universitäten gehört es, den Eltern nahezulegen, die Kinder frühzeitig und regelmäßig in die Kita zu bringen – und damit in eine Umgebung, in der sie von deutschen Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern Deutsch lernen. Eine Kita-Pflicht fordern die Sprachwissenschaftler nicht. „Ein intensiver, nachhaltiger Input ist auch in anderen, muttersprachlich deutschen Familien und im Freundeskreis möglich“, sagt Gagarina. Nach ihren Studien sei es allerdings unerlässlich, dass die Kinder neben der Familiensprache frühzeitig mit Deutsch in Berührung kommen. Die Eltern müssten schon vor dem zweiten Geburtstag auch für intensive deutsche Sprachkontakte sorgen.

Zweisprachigkeit ist weithin akzeptiert - wenn es um Englisch geht

Die Kinder mit Zweisprachigkeit zu überfordern, bräuchten Eltern nicht zu fürchten, sagt ZAS-Direktor Manfred Krifka: „Kinder können spielend mit zwei oder auch mehr Sprachen aufwachsen.“ Dass es sogar vorteilhaft ist, mehrsprachig sozialisiert zu werden, ist eigentlich weithin akzeptiert. Bilinguale Kinder profitieren in der kognitiven Entwicklung, haben bessere Chancen auf dem globalisierten Arbeitsmarkt. Doch diese Einsichten haben sich bislang eher für Weltsprachen wie das Englische oder andere westeuropäische Sprachen durchgesetzt. „Migrantensprachen“ wie Türkisch oder Arabisch werden bis heute häufig abgewertet – wie jetzt durch die CSU.

Doch in den vergangenen Jahren hat sich in Politik und Öffentlichkeit einiges bewegt: Nicht deutscher Muttersprache zu sein, wurde lange nur als Defizit gesehen. Heute gilt Zwei- oder Mehrsprachigkeit als Bereicherung. Sogar Kiezdeutsch – lange als Ghettosprache geächtet – findet Akzeptanz. Initiativen wie Bivem, die Mehrsprachigkeit erforschen und propagieren, werden staatlich unterstützt, gerade hat der Senat die Förderung verlängert. Und das Bundesbildungsministerium fördert seit kurzem an der Uni Hamburg mit gut drei Millionen Euro eine Studie, die sprachliche Fähigkeiten von 1800 Schülern mit deutsch-türkischem, deutsch-russischem und monolingual deutschem Sprachhintergrund untersucht. Sie gehe davon aus, dass die Herkunftssprachen nicht von Nachteil sind, sondern eine besondere Ressource für den Bildungserfolg darstellen, erklärt Studienleiterin Ingrid Gogolin.

"Etwas bleibt von unsinnigen Initiativen immer hängen"

Könnte man da den CSU-Vorstoß nicht einfach ignorieren? Schließlich diskreditierte er sich allein durch den absurden Gedanken an eine Sprachpolizei, die eine Deutschpflicht durchsetzen müsste. Und was am Wochenende noch nach einem Modell aussah, das zumindest Teile der CDU mittragen könnten, klang am Montag schon deutlich moderater. Nein, am ZAS ist man überzeugt, reagieren zu müssen. „Etwas bleibt auch von unsinnigen Initiativen immer hängen“, heißt es.

Kita-Erzieherinnen, die das Türkische oder Arabische für nicht förderungswürdig halten, könnten erneut auf Familien einwirken, zu Hause unbedingt Deutsch zu sprechen. Eltern, die gerade mühsam Mut zu ihrer Muttersprache schöpften, würden verunsichert. Und die eigentliche Herausforderung droht in den Hindergrund gedrängt zu werden: Kitas und Schulen so auszustatten, dass die den Kindern auch wirklich ein gutes Deutsch vermitteln und Lehramtsstudierende so auszubilden, dass sie mehrsprachige Kinder und Klassen optimal fördern können.

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